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Friedensnobelpreisträger will aus Wiener Ehrengrab schreien

Erstellt am 09.11.2009 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde mal gelesen und am 10.11.2009 zuletzt geändert.

http://ka-mpus.extrahertz.de/wp-content/uploads/2009/09/friedenstaaube.bmpDer Vertrag von Lissabon ursprünglich auch EU-Grundlagenvertrag bzw. „Reformvertrag“ tritt nun am 1.12.2009 Kraft. Er ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der am 13. Dezember 2007 unter portugiesischer Ratspräsidentschaft in Lissabon unterzeichnet wurde. Der Vertrag übernahm heftig kritisiert von vielen friedensbewegten Menschen fast alle wesentlichen Inhalte des abgelehnten Verfassungsentwurfs für Europa. Im Gegensatz zur geplanten Verfassung ersetzt er aber nicht das bisherige Vertragswerk, sondern er ändert und ergänzt juristisch spitzfindig und nicht einmal für EuroparechtlerInnen ohne Kopfzerbreichen durchschaubar die bestehenden Vertragsgrundlagen des europäischen Integrationsverbandes (EG- und EU-Vertrag). Und wenn ich bestürzt bin frage ich trotzdem – was tun und was lassen?Insbesondere soll die Europäische Union nun eine einheitlichere Struktur und Rechtspersönlichkeit erhalten.

Die wichtigsten Neuerungen des Reformvertrages

Sie betreffen

  1. die Ausweitung des Prinzips der qualifizierten Mehrheit für die meisten Politikbereiche bei Entscheidungen des Ministerrates,
  2. die Einführung des Amtes eines Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik,
  3. eine Ausweitung der Rechte des Europäischen Parlaments,
  4. die Einführung eines europäischen Bürgerbegehrens,
  5. eine stärkere Einbindung der nationalen Parlamente in den europäischen Gesetzgebungsprozess sowie
  6. die Einführung eines Klagerechts für nationale Parlamente vor dem Europäischen Gerichtshof,
  7. die Rechtsverbindlichkeit der EU-Grundrechtecharta und
  8. die Regelung eines EU-Austritts.

Die empirisch recht klar belegte weitere Ausrichtung der EU auf Neoliberalismus trotz massiver Krise dieses Systems wird seitens vieler Menschen in den neuen sozialen Bewegungen diagnostiziert. Denn 

  1. der „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet“ (Art. 177).
  2. Aufrüstung – „die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ (Art. 41, 3)
  3. Die EU-Rüstungsagentur heißt nur zwar Verteidigungsagentur sie ist aber alles andere als eine rational pazifistische Friedensagentur im Sinne von A.H. Fried.
  4. Ein grenzüberschreitendes Streikrecht in der EU wird es auch weiterhin nicht geben.
  5. (Informationsstelle Militarisierung e.V. 23.6.07)

 

Grundrechtecharta

Die Grundrechtecharta wurde aus dem Vertrag herausgenommen und dafür ein Verweis eingefügt, der sie in allen Staaten außer Großbritannien für bindend erklärt. Der Tschechische Präsident hat heuer auch noch einen Ausstieg aus dieser Charta erwirkt.

Junge Welt 25.6.07:

In [der Grundrechtecharta] … stehen so schöne Dinge wie etwa das

  1. »Recht auf Bildung«,
  2. »Gleichheit von Frauen und Männern«,
  3. »Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen«,
  4. »Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit« sowie
  5. »Gesundheitsschutz«.

Vor allem Gewerkschaften erhofften sich davon eine Korrektur der neoliberalen Politik der EU. Doch die Bedeutung der Charta wurde über die Jahre Schritt für Schritt eingeschränkt. So wurde etwa klargestellt, daß »sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten in keiner Weise erweitert«. Jetzt soll sie ganz aus dem zukünftigen Vertragstext herausfallen. Lediglich verwiesen werden soll noch auf sie.

Telepolis 24.6.07:

Die sogenannte „Grundrechtscharta“ birgt für natürliche Personen (im Gegensatz zu juristischen) gegenüber dem derzeitigen Grundrechtsschutz fast aller europäischen Staaten deutliche Verschlechterungen.

Im einzigen Land, in dem die „Grundrechtscharta“ zumindest theoretisch Verbesserungen hätte bringen können, in Großbritannien (wo es keine geschriebene Verfassung gibt), soll sie aber nicht gelten.

http://farm3.static.flickr.com/2608/4091735229_0edcbc769b_m.jpgWiens Friedensnobelpreisträger A.H. Fried war einer der wohl wichtigsten Vordenker friedlicher Integration in Europa und der Begründer des Rationalen Pazifismus. Nun haben die EU-Technokraten mit den von den BürgerInnen abgezweigten Mitteln alle

  1. Einwände von Europas rationalen PazifistInnen abgelegt und ihr Konzept der der Pax-EU festgeschrieben und durchgesetzt.
  2. Die Integrationsgewinne werden im Europa der faulen Kompromisse vor allem an die Reichen und Superreichen verteilt.
  3. Die Lasten werde auf die breite Masse der ärmeren BürgerInnen und auf die noch ärmeren BürgerInnen in den Ländern an der Peripherie Europas verteilt.

Das EU-Regime nach Lissabon 2009

Es hat eine kaum darstellbare Legitimität aus Sicht rationaler PazifistInnen. In guter Pazifistischer Tradition bedeutet das einen starken Aufwind der Pflicht zum Ungehorsam im Sinne Gandhis gegen alle neoliberalen Mißstände im Europa des Establischments.

Wie verkündete D. H. Thoreau im 19. Jahrhundert in der US-Union:

»Ich finde, wir sollten erst Menschen sein, und danach Untertanen.
Man sollte nicht den Respekt vor dem Gesetz pflegen, sondern vor der Gerechtigkeit. (…)
Dieses Volk muß aufhören, …. zu halten und in … Krieg zu führen, und
wenn es seine Existenz als Volk kosten würde. Es gibt Tausende, die im Prinzip gegen Krieg und … sind und die doch praktisch nichts unternehmen, um sie zu beseitigen.
Der Mensch ist nicht unbedingt verpflichtet, sich der Austilgung des Unrechts zu widmen, und sei es noch so monströs. Er kann sich auch anderen Angelegenheiten mit Anstand widmen; aber zum mindesten ist es seine Pflicht, sich nicht mit dem Unrecht einzulassen, und wenn er schon keinen Gedanken daran wenden will, es doch wenigstens nicht praktisch zu unterstützen. (…) Wenn aber das Gesetz so beschaffen ist, daß es notwendigerweise aus dir den Arm des Unrechts an einem anderen macht, dann sage ich, brich das Gesetz. Mach dein Leben zu einem Gegengewicht, um die Maschine aufzuhalten. Jedenfalls muß ich zusehen, daß ich mich nicht zu dem Unrecht hergebe, das ich verdamme.
Ein Mensch sollte nicht alles tun, sondern etwas; und weil er nicht alles tun kann, soll er nicht ausgerechnet etwas Unrechtes tun. (…)
Unter einer Regierung, die irgend jemanden unrechtmäßig einsperrt, ist das Gefängnis der angemessene Platz für einen gerechten Menschen. (…)“
Ich mache mir das Vergnügen, mir eine EU vorzustellen, die es sich leisten kann, zu allen Menschen gerecht zu sein, und in der das Individuum auch in Afghanistan, im Tschad, … achtungsvoll als Nachbar behandelt wird auch, wenn in seinem Staat wichtige Rohstoffe oder Märkte vorhanden sind.

Vernünftige Ziele einer EU-Friedensbewegung ab 1.12.2009 wären:

  1. Erringung qualifizierten Mehrheit für  zivile Europäsiche Friedensprojekte und pazifistischer Entscheidungen des EU-Ministerrates,
  2. die Conversion Amtes eines Hohen Vertreters der Union zu einem Amt für rationalen Pazifismus und globale Integration mit friedlichen Mitteln
  3. eine Ausweitung der Rechte des Europäischen Parlaments zu Initiativrechten im Bereich der Friedens- und Sozialpolitik ohne militärische Mittel.
  4. Ein europäisches Bürgerbegehren zur schrittweisen Abrüstung aller Armeen auf ein Minimum. Schrittweise Senkung der Rüstungsausgaben im weitesten Sinne auf maximal 1 Prozent des Sozialsprodukts der Staaten der EU. Umwidmung der derzeitigen Rüstungsausgaben zugunsten einer EU-Innen und Außenpolitik mit friedlichen Mitteln.
  5. Maximale Einbindung der nationalen Parlamente in den europäischen Gesetzgebungsprozess insbesondere im Bereich positiver Friedens- und Sozialpolitik sowie
  6. Einbringung möglichst fundierter und zahlreicher Klagen beim Europäischen Gerichtshof durch nationale Parlamente, wenn Menschenrechte, Völkerrecht oder errungene nationale Grundrechte durch EU-Beamte und Politiker beschädigt werden.
  7. Europäisches Bürgerbegehren für eine verständliche EU-Verfassung die für alle Staaten der Union die EU-Grundrechtecharta rechtsverbindlich aufnimmt und die EU-Organe verpflichtet sie aktiv zu pflegen und sozial und friedensfördernd auszubauen.
  8. Kooperation neutraler und friedenspolitisch ambitionierte EWR-Staaten die im Falle einer weiteren Militarisierung und Vermögenskonzentration in der EU die Möglichkeit eines EU-Austritts ergreifen und Neutralität und Friedenspolitik im Rahmen des EWR koopartiv realisieren.

Fried’s Geist ist unauslöschlich auch wenn sein zentrales Werk zu den Grundlagen des revolutionären Pazifismus in keiner öffentlichen Bibliothek Österreichs steht. Wie heißt es so schön des weniger Gewalt desto mehr Revolution. Wenn die Rüstungslobby am stärksten scheint ist der Boden für eine neue breite Friedensbewegung am größten.

 

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