Wissenschaftler und Friedensbewegung warnen vor Militärinterventionen
Laut Pressemitteilung zum Abschluss des 13. Friedenspolitischen
Ratschlags, 2. /3. Dezember 2006 an der Universität Kassel, im Wortlaut
Kassel, 3. Dezember 2006 –
Knapp 400 Menschen nahmen am Wochenende am diesjährigen Friedenspolitischen Ratschlag teil, der von der AG Friedensforschung an der Universität Kassel veranstaltet wird. In drei Plenarveranstaltungen
und 22
Diskussionsrunden und Workshops stellten Wissenschaftler, Politiker und Mitglieder der Friedensbewegung ein breitgefächertes Programm dar, das unter dem Motto stand:
- „Ignorieren?
- Intervenieren?
- Sich engagieren!“
In zahlreichen Referaten und Diskussionen wurde dem gegenwärtigen
Trend, Konflikte in der Welt vornehmlich mit militärischen Mitteln zu
begegnen, eine Absage erteilt. An den prominenten Beispielen, wo
Militärinterventionen stattgefunden haben, lasse sich zeigen, so
bilanzierte Kongressorganisator Peter Strutynski in seinem
Eingangsreferat, dass sich die Verhältnisse nicht nachhaltig gebessert,
sondern in den meisten Fällen sogar desaströs entwickelt hätten. Die
Beispiele sind Somalia (Intervention 1992-94), Balkan (90er Jahre),
Haiti (1994 und 2004), Afghanistan (2001 bis heute), Irak (2001 bis
heute), Naher Osten (permanent), Kongo (2004 und 2006). Es wäre
unsinnig zu glauben, so resümierte Lühr Henken (Hamburg) in einem
speziellen Workshop, ein „robuster“ Einsatz von außen im Sudan könne
die dortige Gewalt stoppen oder gar die vielschichtigen Probleme lösen.
Der bekannte Exil-Iraner Bahman Nirumand (Berlin) warnte in seinem
Vortrag eindringlich vor einem drohenden Krieg gegen den Iran. Er würde
nicht nur die iranische Gesellschaft, auch die Opposition,
zusammenschweißen und hinter die Linie des autoritären Mullah-Regimes
bringen und damit einen politischen Wandel verunmöglichen, sondern er
würde auch die ganze Region zur Explosion bringen.
Der Völkerrechtler Norman Paech (Hamburg) brach in seinem Vortrag
eine Lanze für das Völkerrecht, insbesondere das in der Charta
der Vereinten Nationen verankerte Gewaltverbot. Überlegungen
unliebsame Regime mittels Interventionen zu stürzen und auf diese
Weise Menschenrechte oder Demokratie zu „exportieren“, wie es die
US-Militärdoktrin vorsieht und mittlerweile auch von der
Bundesregierung propagiert wird, seinen völkerrechtswidrig und
führten ohnehin nicht zu den gewünschten Ergebnissen.
Die Medien- und Islamissenschaftlerin Sabine Schiffer (Erlangen)
widmete sich in ihrem Beitrag der Bedeutung von Feindbildern bei
der Vorbereitung von Kriegen. „Islam“, „Islamismus“ oder
„islamischer Fundamentalismus“ würden heute häufig in
Zusammenhang mit terroristischen Gefahren genannt. Umstandslos
habe im Westen das Feindbild Islam das aus dem Kalten Krieg
stammende Feindbild Kommunismus ersetzt.
Die Überwindung tief sitzender Feindbilder im Nahen Osten,
insbesondere im israelisch-palästinensischen Konflikt könne
letztlich auch nur dadurch geschehen, dass die beteiligten
Konfliktparteien sich in ihrem Existenzrecht gegenseitig
anerkennen und dass Israel das eigene Sicherheitsproblem auch als
Sicherheitsproblem der anderen Seite begreift. In einer von
Werner Ruf (Kassel) geleiteten Podiumsdiskussion waren sich alle
Beteiligten darin einig, dass ohne die Gründung eines
lebensfähigen palästinensischen Staates kein Friede im Nahen
Osten zu erreichen sei.
Unter dem Titel „Ist Nächstenliebe antisemitisch?“ sprach Rolf
Verleger, Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden in
Deutschland, über das Wesen des Judentums und die Geschichte des
Staates Israel. Verlegers Beitrag lag die Frage zugrunde, ob man
als Jude die israelische Politik kritisieren dürfe. „Das Gebot
der Nächstenliebe ist der zentrale Kern der jüdischen Religion“,
erklärte er. Doch Angesichts des Unrechts, das den Palästinensern
von israelischer Seite aus angetan werde, sei von Nächstenliebe
nicht mehr viel zu erkennen. Statt dessen würden Israel-Kritiker
häufig sogar als Antisemiten bezeichnet. Israel selbst habe aber
eine moralische Korrektur dringend nötig, da das gewaltsame
Vorgehen im Namen der Terrorbekämpfung tiefste Erbitterung bei
der arabischen Bevölkerung hervorrufe und langfristig Israels
Existenz gefährde.
Im abschließenden Podiumsgespräch über die Perspektiven der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft forderten die Teilnehmer
Johannes M. Becker (Zentrum für Konfliktforschungen, Uni
Marburg), Monika Knoche MdB Die LINKE, Tobias Pflüger (MdEP) und
Thomas Roithner (Österreichisches Studienzentrum für
Konfliktlösung) einen Kurswechsel in der EU-Politik. Anstatt
weiter an der gescheiterten EU-Verfassung festzuhalten, gehe es
darum, die Militarisierung der EU (z.B. durch die Aufstellung von
Battlegroups) zu stoppen und die EU auf eine zivile Außenpolitik
zu verpflichten. Die Friedensforschung wird ermuntert, in ihrer
Suche nach zivilen Alternativen fortzufahren und ihre Ergebnisse
in der Öffentlichkeit breiter und verständlicher bekannt zu
machen.
Peter Strutynski
(AG Friedensforschung)
Fürbitten:
Denken – diskutieren – beten – handeln
für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung
Fürbitten beim Friedensgottesdienst am 2. Dezember 2006 in Kassel
(erstellt von der Aktionsgemeinschaft ChristInnen für die Friedensbewegung)
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!
Gemeinsam überlegen wir, wie wir uns besser für eine gerechtere und
friedlichere Welt einsetzen können. Gemeinsam setzen wir uns
Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ein, gemeinsam
engagieren wir uns in Friedensinitiativen und in der Friedensforschung,
in Betrieben und Gewerkschaften, in Schulen, Universitäten und anderen
Bildungseinrichtungen, in politischen Organisationen sowie in Pfarren
und kirchlichen Gruppen.
Gemeinsam beten wir zu nun zu dir, unseren Vater und unsere Mutter, du
Gott des Friedens und der Gerechtigkeit. Wie die Prophetinnen und
Propheten klagen wir dir unser Leid, wie viele Menschen, die vor uns
und die sich heute, für eine gerechtere Welt engagieren, mahnen wir zur
Umkehr und versuchen, am Aufbau deines Reiches mitzuarbeiten.
„Noch nie war die Gefahr eines Atomkrieges so groß wie heute“ (Mohamed
El Baradei, Direktor der IAEO, Friedensnobelpreisträger). Gott des
Lebens, mit einem Atomkrieg ist deine gesamte Schöpfung sterblich
geworden. Wir bitten dich für unseren Einsatz für eine atomwaffenfreie
Welt, für die vielen Menschen, die sich weltweit für Abolition
2020 einsetzen.
„Die Deutschen müssen das Töten lernen“ (Titelseite Der Spiegel Nr. 47,
20.11.2006), Gott des Friedens, „Krieg ist immer eine Niederlage der
Menschheit“. (Johannes Paul II.) Wir bitten dich für unsere
Friedensarbeit, unsere Aktivitäten gegen Rüstungsproduktion und gegen
Waffenhandel, gegen militärische Interventionen, die nur den
wirtschaftlich Mächtigen dienen, gegen Aufrüstung und Krieg, für eine
Lösung der Konflikte mit gewaltfreien Mitteln, für eine Welt ohne Krieg.
„Im Jahr 2000 sind 36 Millionen Menschen an Hunger gestorben oder an
Krankheiten, die durch einen Mangel an Mikronutrimenten (Vitamine,
Mineralstoffe, Spurenelemente) verursacht sind. Der Hunger ist folglich
die hauptsächlichste Todesursache auf unserem Planeten. Und dieser
Hunger ist von Menschenhand gemacht. Wer an Hunger stirbt, stirbt als
Opfer eines Mordes.“ (Jean Ziegler, Das Imperium der Schande). Gott der
Gerechtigkeit, wir bitten dich für unser Engagement für eine weltweite
Gerechtigkeit und internationale Solidarität, für eine Welt, in der die
politischen und sozialen Menschenrechte verwirklicht sind, für eine
weltweite Wirtschaft, in der der Mensch und nicht der Profit im
Mittelpunkt steht.
„Mehr als sieben Millionen Menschen, darunter zwei Millionen Kinder und
Jugendliche, lebten Ende 2005 in Deutschland von Leistungen auf dem
Sozialhilfeniveau.“ (Evangelische Kirche Deutschlands) Gott, die ein
Leben aller Menschen in Fülle will. Wir bitten dich für unser
Engagement eine gerechtere Verteilung von Arbeit, Einkommen, Besitz und
Lebenschancen, für eine wirkliche Umverteilung zu Gunsten der
Arbeitenden, der sozial Schwachen und wirtschaftlich an den Rand
Gedrängten, international, in ganz Europa, in der Europäischen Union
und in Deutschland.
„Seit den späten 70er Jahren verlangen wir der Erde mehr ab, als sie
uns geben oder von uns nehmen kann. Die Leistungsfähigkeit des Planeten
ist überschritten. Die Szenarien zeigen: Wir brauchen unverzüglich die
3. große Revolution in der Geschichte der Menschheit. Eine Revolution
zur Nachhaltigkeit mit absolut drastischen materiellen und
strukturellen Veränderungen.“ (Denis Medows, Die Grenzen des Wachstums
– Das 30 Jahre Update). Gott, Schöpfer der Welt, wir bitten dich für
vielen Menschen, die sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen,
und für die Erhaltung deiner Schöpfung, unseres Planeten Erde.
„Frauen und Mädchen leisten weltweit zwei Drittel aller Arbeit für nur
ein Fünftel des Einkommens“ (Slogan der Frauenbewegung) Gott, unsere
Mutter, wir bitten dich für die Frauenbewegung und die engagierten
Frauen in Gesellschaft und Kirchen, für eine gendergerechte Welt, in
der Frauen und Männer die gleichen Chancen haben. Wir bitten dich, dass
Geschwisterlichkeit in der Welt und auch in unseren Kirchen gelebt wird.
Wir sind manchmal verzweifelt, doch wir wissen: „Wir können uns den
Luxus der Hoffnungslosigkeit nicht leisten“ (Dorothee Sölle) Gott, der
uns immer wieder Mut und Hoffnung gibt, Gott, die parteiisch auf Seiten
der Armen steht, Wir gedenken unserer Schwestern und Brüder, die Opfer
von Krieg und Gewalt, von Hunger, wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und
Zerstörung der Umwelt, geworden sind, wir gedenken unserer Schwestern
und Brüder, unserer Kolleginnen und Kollegen, die vor uns gekämpft
haben, wir sind solidarisch mit unseren Brüdern und Schwester,
die heute weltweit aufstehen für das Leben, für Gerechtigkeit, Frieden
und Bewahrung der Schöpfung, wir bitten dich für all diese
Menschen, wir bitten dich auch für uns hier in Kassel und für
unsere Freundinnen und Freunde in unseren Initiativen, Gott, wir bitten
dich um deine Hilfe und versprechen dir, wir sind deine
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Werden deiner Welt, des Reiches
Gottes, das schon auf Erden beginnt.
Amen!
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