Vorsicht Radio
in Arbeit
„Elektronische Bildschirm-Medien
– Fernsehen und Computer –
machen dumm, dick und gewalttätig“.
Manfred Spitzer, 2006, Vorsicht Bildschirm! (S. 245)
Moment – Leben heute – Montag, 30. Oktober 2006, 17:09 Uhr
Prolog – Ein kleine Einführung
Es ist ja ganz und gar unwahrscheinlich, dass durch die
redaktionellen Filter von Oe1 und FM4 altbackene rabulistische
Stereotype rutschen. Lästige Leute, wie Helmut Waldert, Wolfgang Kos,
Peter Huemer etc., die etwas tiefer schürften, wurden ja in die Pension
oder sonst wo hin gemobbt. Nun redaktionieren der mehr oder weniger
angepasste Rest und junge Überflieger, die im Aufwind der subtilen
Rundfunkreform unter Susi und Strolchi und Erben Staat machen.
Natürlich können
mitelalterliche alte Hasen mit Tarnkappe nicht alles verhindern, und
natürlich wäre das auch viel zu oft unbequem. Bildung, Information und
Unterhaltung sind zwar der gesetzliche Auftrag des ORF, aber die
Mikro-PolitikerInnen der Medienorgel kennen auch andere Gratifikations-
und Sanktionsmechanismen im ORF. Maurice Jolly hat in seinem „Handbuch
des Aufsteigers“ schon im 19. Jahrhundert so klärende Worte dazu
gefunden, dass er seine Hauptwerke im Gefängnis verfasste. Laut
Thoreau, der richtige Ort für einen frei denkenden Mann, in einer
Gesellschaft wo OportunistInnen rechten.
Computerspiele werden im Siemensforum diskutiert
Die Firma Siemens,
schon immer eine ‚radikal pazifistische Forschungsgesellschaft‘, ist
natürlich vollkommen unverdächtig, wenn es um irgendwelche Interessen
der PC- und Spieleindustrie geht. Public Private Partnership für
Bildung, Unterhaltung und Information ganz im Zeitgeist des ein für
alle mal historisch wahren Kapitalismus.
Erste unbegründete Zweifel
Ich selbst habe für die Durchdringung des allgemeinen
Verblendungszusammenhangs von Computerspielen und Gewalt rund vier
Jahre benötigt. Ich war schockiert. Eine Sendung auf dem Niveau von
AnfängerInnen in einer der besten Sendezeiten von Oe1 und von Leuten
die durchaus schon vernünftiges gemacht haben. Die Sendung Moment Leben
heute und es war richtig platt, was da über den Äther kam.
Platon – der alte Trottel – hat schon über die Jugend genörgelt
Computerspiele sind umstritten, Eltern sind besorgt – eh klar, nichts Neues unter der Sonne. Der Untergang
der Kultur sei schon von Platon bemüht worden und dieser Experte irrte.
Nun ja, ein wirklich tiefschürfendes Argument. Schweig,
neo-humanistischer Gutmensch! Schweig TechnologiekrikerIn! Schweig
sauertöpfischer Kritiker von zeitgenössischem Brot und zeitgenössischen Computer-Spielen. Schweig Lästermaul über:
- repressive Entsublimierung und
- Quälgeist des hemmungslosen Hedonismus.
Robert Glashüttner, *1979, daher attestiert
vorurteilsfreier FM 4 Spieleexperte oder so ähnlich. Erste Generation
der mit Computerspielen aufgewachsenen und daher unverdächtig?
Halbwahrheiten, unbewiesene und falsche Behauptungen von sogenannten
MedienexpertInnen in ein Mikro gesprochen = Bildung + Information?
Unterhaltung für vorgeschädigte wohl eher.
Die zitierten MedienexpertInnen sind aus seriöser Sicht eher
lächerlich. Dazu ein kleines Experiment. Stell Dir vor, jemand
bezweifelt, dass rauchen gesundheitlich bedenklich ist. Er oder Sie
argumentiert wie folgt:
- Erstens reagiert jede/r anders auf rauchen.
Der eine hustet, der andere wird ruhig und kann im Schützengraben seine
Angst besser zügeln. Er ist ein besserer Krieger. Also ist über die
nachteilige Wirkung von Zigaretten nichts bewiesen. - Es kommt darauf an, in welchen Kontext
Zigaretten konsumiert werden: In primitiven Gesellschaften ist das
rauchen für Jungen mit dem Vater oder des Mädchens auf dem Schoß der
Mutter eine Einführung in die Kultur. Es sorgt für die Stärkung der
sozialen Bindung. Die Eltern können paralell dazu alles zum rauchen und zu dessen
Genuss erklären, dass rauchen sonst schädlich ist. - Je
mehr die Kinder rauchen, desto weniger mögen sie es. Früh und viel
rauchen sei daher gut gegen spätere Zigarettenabhängigkeit. - Es gäbe viele Theorien über das Rauchen:
- Die Rezeptionstheorie besagt, das es daruaf ankommt, in welcher Umgebung in welcher Stimmung jemand raucht.
- Die uralte Katharsistheorie sagt, dass rauchen gut gegen das rauchen ist.
- Die Persönlichkeits-Variablentheorie sagt, dass es von der Person abhängt, ob rauchen schädlich ist oder nicht.
- Manche Mediziner und PsychologInnen lehnen
rauchen in Bausch und Bogen ganz einfach ab. Sie übersehen die
Komplexen Zusammenhänge und reduzieren unglaublich naiv.
- Rauchen wirke vor allem bei uncoolen Typen
schädlich, die sich nicht bewegen. Gesundheitsschäden auf das rauchen zu
schieben, ist eine unzulässige Reduktion der wahren Zusammenhänge.
Lungenkrebs ist ein multifaktorielles Geschen. Wer behauptet rauchen
sei schädlich sieht die Zusammenhänge einäugig und daher falsch. - Rauchen in eine anthropologische konstante.
Geraucht wird immer werden. Was bei Rauchverboten resultiert ist klar.
Puritanistische Gesetzte fördern Schwarzmärkte und Kriminalität.
Kultivierter Drogenkonsum sei offensichtlich die einzige Alternative. - Es gibt viele Theorien. Es ist unseriös, wenn
jemand behauptet seine Theorie stimmt. Wir brauchen daher mehr
Forschung über rauchen unter optimalen sozialen Bedingungen. Bis diese
Forschungen abgeschlossen sind sollten SkeptikerInnen, Laien und
krankhafte KritikereInnen schweigen. Konservative aus der
Anti-Raucher-Ecke sind lustfeindliche unkultivierte SpaßverderberInnen. - Tabak ist nicht gleich Tabak. Viele
Naturvölker heilen mit Tabak. Das Niktotin ist ein Stoff der in
ähnlicher Form auch vom Hirn erzeugt wird. Natürliches Nikotin aus
biologischem Anbau ist sicher nicht schädlicher wie Schokolade oder zu
viele Äpfel. Manche Menschen mit Allergien auf Weizen können jahrelang
rauchen ohne irgendwelche Beschwerden. - Rauchen hilft gegen Übergewicht und macht sexy. Das sieht man an der Fruchtbarkeit der Moslems.
- Übrigens ich habe eine Opa der hat sein Leben
lang geraucht und wurde 85. Meine lustfeidliche Anti-Raucher-Tante ist
mit 55 an Lungenkrebs gestorben, das ist wohl genetisch bedingt.
Absurde Argumentation?
Einige der oben verwendeten Figuren der Argumentation fanden sich bei den befragten ExpertInnen der Sendung Moment leben heute.
Als Jahrgang 60 sollte ich – als potentieller Modernisierungsverlierer – schweigen
Oh je, ich habe schon 1975 mit 15 im Schwimmbad
computergespielt. Diese Pingpong/Tennisspiele. Das gilt nicht?
Schlampig recheriert. Mitreden darf nur wer schon mit zwei mindestens
zwei Stunden vor dem Commodore 64 saß. Und laut Spitzer, 2006, Vorsicht Bildschirm, nachhaltige neuronale Defizite hat.
Im
Rahmen der Reihe „Standpunkt“ im Siemensforum Wien diskutierten zum
Thema Gewalt und Computerspiele Thema solche SchülerexpertInnen und (neo?)-liberale
Medien-ExpertInnen. Zur Sprache kam das angebliche Gewaltpotential,
der Nutzen von Strategiespielen im Unterricht und hilfreiche Maßnahmen
bei gelegentlichen Anzeichen von Spielsucht in „failed families“.
Ich war sprachlos.
Ich krieg das alles nicht mehr in meinen Kopf: Manfred
Spitzer behauptet er hat neurowisschenschaftliche und
sozialpsychologische Nachweise, dass „Fernsehen, Video- und
Computerspielen, der Gameboy und der freie Internetzugang für Kinder
und Jugendliche gefährlich ist und die Zunahme von Gewalt klar
fördert. Aber Spitzer Jahrgang 1958 darf zum Glück auf Oe1 in
Moment leben auch nicht mehr mitreden. Er ist wohl – wie ich – zu alt
für eine vorurteilsfreie Beurteilung von neuen Medien.
Ich habe zu viel Oe1 gehört als noch die Musikbox-Revoluzzer mit dem
Mikrofon im Mief des allgemeinen Verblendungszusamenhangs bohrten. Und
Radio hören kann sicher nicht dumm und dick und blöd machen. Dafür
fehlt jeglicher wissenschaftlicher Nachweis. Wär ja noch schöner.
Posted in Friedensjournalismus