Ostermärsche
Sie fanden wieder statt an vielen Brennpunkten der
Militarisierung, in Baden-Württemberg diesmal in Ulm zum „Kommando
Operative Führung Eingreifkräfte“ und zur „deutsch-französischen
Brigade“ in Müllheim.
Statt eines Aufrufes sandte die IMI-List einen
Hintergrundartikel zum Iran und viele neue Texte, die in unserem
Magazin AUSDRUCK erschienen sind.
Aus aktuellem Anlass haben wir zwei Sonderseiten mit Texten zum
– Kongo: http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1337 ; und zum
– Iran: http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1338 eingerichtet.
Ansonsten finden sich anbei:
1) Die Texte der neuen Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK
2) Eine Studie zur Eskalation im Iran
3) Alle Links zu den neuesten Texten auf der IMI-Homepage
1) AUSDRUCK – Das IMI-Magazin (April 2006)
Im neuen AUDRUCK finden sich wieder eine Reihe spannender Analysen,
die wir hiermit auf der Homepage kostenlos zur Verfügung stellen.
Neben einer Studie zur Eskalation im Iran (siehe weiter unten in
dieser mail), u.a. zum geplanten EU-Einsatz im Kongo sowie über das an
ihm beteiligte „Kommando Operative Führung Eingreifkräfte“ in Ulm.
Weiter gibt es Artikel zur deutschen Beteiligung am Irak-Krieg, zum
Thema Krieg und Folter und eine Aktualisierung unserer Analyse zum
Luftsicherheitsgesetz nach der nun erfolgten Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts.
AUSDRUCK – Das IMI-Magazin (April 2006) die komplette Ausgabe zum download
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-4-2006.pdf
Inhaltsverzeichnis
NEUE KRIEGE
— Claudia Haydt
Iran-Uran-Krieg: Bombendrohungen aus dem Glashaus
http://www.imi-online.de/download/CH-Iran-4-2006.pdf
— Tobias Pflüger
Flüchtlingsabwehr und Rohstoffsicherung. Kongo-Intervention:
neokoloniale Politik zur Durchsetzung von EU-Interessen
http://www.imi-online.de/download/TP-Kongo-4-2006.pdf
DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR
— Tobias Pflüger
Die deutsche Beteiligung am Irak-Krieg: Es war gut, ihnen nicht
geglaubt zu haben
http://www.imi-online.de/download/TP-BRD-4-2006.pdf
— Michael Haid
Der „Eisbrecher“ Luftsicherheitsgesetz: Bundeswehreinsätze im Inland
http://www.imi-online.de/download/MH-LuftSig4-2006.pdf
— Uwe Reinecke
Krieg und Folter – die zwei Geschwister
http://www.imi-online.de/download/UR-Folter-4-2006.pdf
— Johannes Plotzki
Deutschgeführte Kommandozentralen zukünftiger EU-Kriege
http://www.imi-online.de/download/JP-KOFE-4-2006.pdf
antimilitaristische rundschau
http://www.imi-online.de/download/Amil-4-2006.pdf
10 Jahre IMI
http://www.imi-online.de/download/Kongress-4-2006.pdf
3) Neue IMI-Studie zur Eskalation im Iran
IMI-Studie 2006/03 – in: AUSDRUCK (April 2006)
Iran-Uran-Krieg? Bombendrohungen aus dem Glashaus
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1336
http://www.imi-online.de/download/CH-Iran-4-2006.pdf
12.4.2006, Claudia Haydt
Es steht viel auf dem Spiel beim Iran-Uran-Konflikt. Es geht dabei
nicht nur um die „zivile“ oder militärische Nutzung von
Atomtechnologie, nein, der Konflikt ist angereichert mit vielen
Komponenten. Globale und regionale Machtpolitiken spielen dabei ebenso
eine wichtige Rolle,, wie Sicherheitsfragen, die je nach Akteur
verschieden definiert werden, die immer bedeutender werdende
Problematik der Energiesicherheit trägt zur Konfliktkonstellation
genauso bei wie die Frage der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen
(Proliferation), es geht um Wirtschaftspolitik, Währungsstabilität und
Forschungspolitik und nicht zuletzt um persönlich/politische
Ambitionen. Vor allem aber dreht sich der Konflikt um die Durchsetzung
westlicher Ordnungsvorstellungen, die ohne Rücksicht auf geltendes
Recht eine hierarchische Weltordnung zementieren sollen.
Wenn Sanktionen oder sogar Militärschläge als „Ultima Ratio“
durchgeführt werden sollten, dann wird dies zu aller erst die
iranische Bevölkerung zu spüren bekommen. Dass angedrohte
Militärschläge umgesetzt werden können und in der Logik der Mächtigen,
auch müssen, das haben nicht nur Rambouillet und der
NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien gezeigt. Dass Krieg das denkbar
untauglichste Mittel zum „Export“ von Demokratie und
Rechtstaatlichkeit ist, das verdeutlicht tagtäglich – nicht nur – das
irakische Beispiel. Dennoch scheint das Iran-Quartett (USA plus EU-3),
wider alle Vernunft und unter etwas anderen Vorzeichen als im Irak, am
Drehbuch für eine neue kriegerische Eskalation zu schreiben. Jenseits
eines meist heuchlerischen und instrumentellen Menschenrechtsdiskurses
spielen die betroffenen Menschen in der Region jedoch kaum eine Rolle.
Unabhängig davon, ob ein UN-Kompromiss kurzfristig für Entspannung
sorgt, die tatsächliche Problematik des globalen Umgangs mit
Energieressourcen und Atomtechnologie bleibt ausgeklammert.
EU-3: erpressen statt verhandeln
Der Iran-Konflikt eskaliert im Kontext einer globalen Renaissance der
„zivilen“ Atomenergie und des Wiederauflebens nuklearer Optionen in
den Kriegsplänen der westlichen Welt. Die Höhe des Haushaltsansatzes
für Atomforschung wurde im 7. Forschungsrahmenplan der EU auf 3,1
Milliarden Euro verdoppelt. Die Entwicklung von „Mininukes“ als
Bunkerbuster in den USA oder in Frankreich sind hier genauso zu nennen
wie die zugehörigen staatlichen Strategiepapiere: die Nuclear Posture
Review aus Washington oder das European Defence Paper – der Entwurf
eine zukünftigen Weißbuchs für die Entwicklung der Militärpolitik der
Europäischen Union. Neben den dort mehr oder weniger ausführlich
erwogenen Einsätzen atomarer Waffen, stehen auch die offen angedrohten
Nuklearschläge seitens zahlreicher US-Politiker, aber auch die Jacques
Chiracs, dessen skandalöse Aussage von der deutschen Kanzlerin Merkel
verständnisvoll verteidigt wurde, da es ja um eine, angesichts der
Umstände, notwendige Abschreckung ginge.
Einer der wesentlichen Unterschiede zum Irak-Countdown ist die neue
Rolle der EU, konkret der drei Hauptakteure, Deutschland, Frankreich
und Großbritannien (EU-3). Durch ihre sogenannten Vermittlungsversuche
im letzten Jahr haben sie maßgeblich zur Eskalation des Konfliktes
beigetragen. Sie sind mit „großzügigen“ Angeboten und „Kompromissen“
in die Verhandlungen mit iranischen Vertretern gezogen, die faktisch
eine bedingungslose Unterwerfung unter europäischen Goodwill bedeutet
hätte.
So wurde vom Iran verlangt für alle Zeiten auf die Kündigung des
Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) zu verzichten, der jedoch
genau dieses Rücktrittsrecht in Artikel 10 allen Vertragsparteien mit
dreimonatiger Frist zusichert. Der Iran hätte zudem auf beinahe alles,
mit Ausnahme des reinen Betreibens von Leichtwasserreaktoren,
insbesondere auf die Anreicherung von Uran, verzichten müssen. Was
aber im Gegenzug angeboten wurde, war lediglich eine
„Sicherheitsgarantie“, die die realen Bedrohungen Irans nicht
berücksichtigt. Denn die EU-3 versprachen lediglich, den Iran nicht
mit französischen und/oder britischen Atomwaffen anzugreifen – eine
Nichtangriffsgarantie mit konventionellen Waffen wurde nicht gegeben.
Aber vor allem gab es keine Garantie, dass US-amerikanische oder
israelische (Atom)Waffen nicht gegen den Iran zum Einsatz kämen, was
aufgrund der regionalen Machtverhältnisse die wahrscheinlichere
Bedrohung ist. Die Versprechungen, den Iran mit atomarer Technologie
und vor allem Brennelementen zu versorgen, waren so wage, dass sie
kaum als ernsthaftes Angebot interpretiert werden konnten. Zudem ist
der Zugang zu Atomtechnologie entsprechend des NVV (am deutlichsten in
Artikel IV) ohnehin verbrieftes Recht eines jeden Mitgliedsstaates.
Verhandlungen, die Erfolg haben wollen, versuchen ein plausibles
Verhältnis zwischen Forderungen und Gegenangeboten herzustellen, wenn
dies nicht der Fall ist, nennt man das üblicherweise Erpressung. Dass
die iranischen Unterhändler dem nicht zustimmen wollten verwundert
deswegen nicht. Verhandlungen sind ebenfalls abhängig von der
Glaubwürdigkeit der Partner. Sowohl Frankreich und Großbritannien
besitzen Atomwaffen und haben diese Arsenale trotz entsprechender
Vorgaben im NVV (Artikel VI und Präambel) bis heute nicht abgerüstet.
Ganz im Gegenteil, durch neue Generationen von Atomwaffen und
Trägersystemen hat faktisch eine „vertikale Proliferation“
stattgefunden – ein Verstoß gegen den NVV (zu den genauen Regelungen
des NVV siehe Kasten [nur im PDF]).
Deutschland, Frankreich und Großbritannien präsentieren sich gerne als
neutrale Vermittler. In Deutschland findet jedoch im industriellen
Maßstab Uran-Anreicherung statt, also genau das was dem Iran
verweigert werden soll. Die Anlage des
deutsch-britisch-niederländischen URENCO-Konsortiums in Gronau an der
deutsch-niederländischen Grenze wurde sogar jüngst ausgebaut und eine
weitere Expansion ist geplant (der deutsche Anteil ist 33%, er gehört
je zur Hälfte RWE und E.ON). Das alles findet statt trotz vorgeblichem
Atomausstieg. In der Anlage ließe sich genauso einfach wie im
iranischen Natanz durch eine Erhöhung der Anreicherungsdurchläufe,
hoch waffenfähiges Uran produzieren. Im Forschungsreaktor in Garching
wird mit hochangereichertem waffenfähigem Uran gearbeitet. Etwas was
Iran zwar unterstellt wird, aber bis jetzt trotz umfangreicher
Kontrollen nicht nachgewiesen werden konnte.
Die EU-3 sind als Prediger atomarer Abstinenz nicht wirklich
überzeugend, als glaubwürdige Garanten für Brennstofflieferung leider
auch nicht. Bereits 1974 hatte sich der Iran mit 1 Mrd. $ in das
französische Anreicherungskonsortium EURODIF eingekauft und bis heute
weder ein Gramm angereichertes Uran (ursprünglich für medizinische
Zwecke gedacht) erhalten, noch die Investitionen erstattet bekommen.
Hieraus erklärt sich auch die iranische Skepsis, angereichertes Uran
aus Russland zu beziehen, da es keinerlei Garantie gibt, dass sich so
etwas unter westlichem Druck auf Moskau nicht wiederholt. In einem
Interview erklärte der iranische Verhandlungsführer Ali Larijani: „Der
Baustopp des Bushehr Reaktors durch Siemens aus Deutschland, die
Weigerung der Französischen EURODIEF Uran zu liefern und nach der
Unterlassung der Vereinigten Staaten ihre Verpflichten einzuhalten
Uran für den Teheraner Forschungsreaktor zu liefern … Dies sind
einige der Gründe die unser Mistrauen dem Westen gegenüber verursacht
haben und uns ermutigt haben unser eigenes friedliches Nuklearprogramm
zu vervollständigen. Wenn ein glaubwürdiges internationales System für
die Versorgung mit nuklearen Brennstoffen zur Verfügung steht, dann
wäre die islamische Republik Iran bereit ihre nuklearen Brennstoffe
aus diesem System zu beziehen. Ein solches System existiert zur Zeit
jedoch nicht.“[1]
Vor dem Hintergrund dessen, dass der Iran ein großes und drängendes
Energieproblem hat, ist es nachvollziehbar, wenn iranische Vertreter
sich nicht völlig abhängig von externen Brennstofflieferungen oder
eben auch möglichen Brennstoffembargos machen wollen. Diese
Argumentation trifft auf breite Zustimmung innerhalb der iranischen
Bevölkerung, was nicht zu letzt in den zahlreichen und weitgehend
unzensierten iranischen Weblogs gut nachvollzogen werden kann. Gerade
weil Atomenergie ein fataler Irrweg ist, sollten die Gegenargumente
seriös auf das im folgenden erläuterte iranische Energiedilemma eingehen.
Das iranische Energieproblem
Die meisten Menschen im Iran verstehen sich selbstbewusst als Bürger
eines Landes mit großer historischer Bedeutung. Große Teile der im
regionalen Vergleich relativ gut ausgebildeten iranischen Bevölkerung
sehen in einer technischen Entwicklung des Landes sowohl die Chance
die momentane ökonomische Krise zu überwinden als auch an „alte Größe“
anzuknüpfen. Fatalerweise verknüpfen viele die High-Tech Euphorie mit
der Entwicklung der Atomtechnik, die allgemein als Spitzentechnologie
gilt. Ein Irrtum der leider nicht nur im Iran zu finden ist, dem
allerdings auch ein reales Problem zugrunde liegt. Fast die gesamte
iranische Gasproduktion sowie 3/8 des geförderten Öls wird im Land
selbst verbraucht, täglich werden 1.4 Million Barrel Öl im Land
verbraucht und 2.5 Million Barrel exportiert.[2] Bei stark wachsender
Bevölkerungszahl ist in Zukunft mit einer steigenden Energienachfrage
zu rechnen während aber zugleich möglichst viele Rohstoffe exportiert
werden sollen, um möglichst lange Devisen einzubringen. 20% der
Energie wird über Wasserkraft produziert und der Rest soll nun
möglichst vollständig mit AKWs abgedeckt werden.
Der erste kommerzielle Reaktor soll bereits in diesem Jahr in Bushehr
ans Netz gehen, Milliardenverträge über den Bau weiterer Kraftwerke
sind mit den russischen Partnern bereits vereinbart. Da der Iran über
eigene Uranvorkommen verfügt und der Nichtverbreitungsvertrag (NVV)
zivile Urananreicherung nicht verbietet, erscheint es der Bevölkerung
plausibel, wenn der iranische Präsident Machmud Ahmandinejad auf das
„Recht“ besteht, den vollen Nuklearkreislauf zu entwickeln, denn „…
im Protest gegen die Behinderung der nationalen Forschungsautonomie
weiß er die gesamte Bevölkerung hinter sich.“ (NZZ, 13.3.2006) Dabei
geht es neben Forschungsautonomie, wie bereits erwähnt, vor allem um
Energieautonomie, denn ohne gesicherten Zugang zu angereichertem Uran
wären die geplanten AKWs im Krisenfall nicht in der Lage die benötigte
Energie zu produzieren. Um Erpressbarkeit und Abhängigkeit von anderen
Staaten möglichst gar nicht entstehen zu lassen, ist es „logisch“
Brennelemente in eigenen Produktionsstätten durchzuführen,
insbesondere solange von westlicher Seite plausible
Nichtangriffsgarantien ausbleiben.
Nicht nur ich bin der Meinung, dass Atomenergie kein Zukunftsmodell
ist, weder ökologisch noch ökonomisch. Doch alle guten Argumente
werden durch das Agieren der westlichen Staaten diskreditiert. Zum
Jahrestag der islamischen Revolution im Iran erklärte Ahmadinejad am
12. Februar 2006: „Sie sagen uns, ihr braucht keine Atomenergie. Und
wir sagen ihnen, wenn die Atomenergie schlecht ist, stellt sich die
Frage, warum ihr sie für euch verwendet. Euer Ziel ist, dass Iran
rückständig bleibt.“[3] Ohne globale Initiativen für alternative
Energiequellen, eine westliche Führungsrolle beim Ausstieg aus der
Atomenergie und auch generell der Senkung des Energieverbrauchs, wird
das Problem nicht zu lösen sein, da es eben kein iranisches, sondern
ein globales ist. Wenn nur eine iranische Sonderlösung erzwungen wird,
dann liegt der Verdacht nahe, dass es um vorgeschobene Argumente geht,
hinter denen sich geopolitische und ökonomische Interessen verbergen,
konkret der Zugang zu Rohstoffen und auch die Art der Vermarktung der
Rohstoffe.
Öl und Währung
Schon im iranischen Entwicklungsplan 2000-2005 wurde angekündigt,
zukünftig das Öl nicht mehr nur über Dollar abrechnen zu wollen,
sondern auch über Euro und zu diesem Zweck einen eigenen Handelsplatz,
die Iranian Oil Bourse (IOB), einzurichten. Die IOB sollte am 20. März
2006 die Pforten in der Freihandelszone auf der Insel Kish öffnen und
allen interessierten Käufern und Verkäufern offen stehen. Sowohl China
und Indien haben bereits Interesse bekundet, dort zukünftig ihr Öl
einzukaufen. Potentielle Verkäufer wären etwa Venezuela oder auch
Russland, das schon seit längerer Zeit laut darüber nachdenkt, sein Öl
in Euro abzurechnen. Obwohl der geplante Termin für die Eröffnung der
Börse zwischenzeitlich ereignislos verstrichen ist, gehen doch viele
Beobachter davon aus, dass mit der Eröffnung der IOB in den nächsten
Monaten zu rechnen ist. Die Turbulenzen der Regierungsbildung nach
Ahmadinejads Wahl haben dafür gesorgt, dass relevante Positionen wie
etwa das Ölministerium bis zu einem halben Jahr unbesetzt blieben, was
zu entsprechenden Verzögerungen bei der Umsetzung der IOB-Päne führte.
Ob nun schon im April die Pforten öffnen – wie iranische
Regierungskreise erklären, oder später, ein rein technisches Scheitern
des Projekts scheint zur Zeit nicht wahrscheinlich. Zu den Beratern
gehörte auch Chris Cook, der ehemalige Direktor der International
Petroleum Exchange (IPE) in London. Die IPE ist neben dem New Yorker
NYMEX bis jetzt der wesentliche Handelsplatz für Öl und Gas und beide
basieren auf dem Dollar. Einige Experten sehen in dieser Gefahr für
den Dollar als Weltleitwährung die Hauptmotivation für die
US-amerikanischen Kriegspläne gegen Teheran.[4]
Welche Auswirkung die Einführung des „Petroeuros“ als Konkurrenz zum
„Petrodollar“ auf die Weltwirtschaft und besonders auf die
Dollarstabilität haben wird, das wird nach langem Schweigen nun seit
Mitte März auch in den Mainstreammedien diskutiert. Nachdem das
Leistungsbilanzdefizit der USA 2005 auf über 800 Mrd. Dollar gestiegen
ist, stellt sich die drängende Frage, wie lange dies noch, wie in den
letzten Jahren, durch ausländische Investitionen, Anleihen oder
Aktienkäufe aufgefangen wird. Der Hauptvorteil für Anleger war bis
jetzt die hohe Rendite bei Dollar-Anleihen, vergleichbares wird es im
Euro-Raum nach momentan geltender EZB-Politik erst einmal nicht geben.
Deswegen gehen einige Beobachter davon aus, dass die IOB keine
gravierenden Auswirkungen haben wird. Doch der Streit darüber, wie
sich die IOB längerfristig auf das Währungsgefüge auswirken könnte,
scheint gerade erst zu beginnen. In einem internationalen Finanzmarkt,
in dem „Stimmungen“ auf der Börse manchmal wichtiger sind als reale
Wirtschaftsdaten, kann es sein dass die IOB allein als Signal bereits
Wirkung entfalten kann und nach Einschätzung von Wirtschaftsexperten
ist „die Finanzierung der Ertragsbilanzlücke der USA ein heikle
Angelegenheit. Und jedes(!) Anzeichen, dass der Kapitalimport dazu
nicht mehr ausreicht, könnte den Dollarkurs stark unter Druck setzen.“
(NZZ, 20.3.2006)
An einem – drastischen – Verfall des Dollars und entsprechender
Aufwertung des Euro hat auch die auf dem Euro basierende
Exportwirtschaft, also besonders die deutsche, keinerlei Interesse.
Was durchaus ein Grund für die auffällige Einigkeit im Kurs von EU-3
und USA sein könnte. Diese Überlegungen zur Währungsstabilität reichen
als alleiniger Kriegsgrund sicher nicht aus, dürften aber in der
Gesamtabwägung möglicherweise doch eine gewichtige Rolle spielen.
Iranische Ostorientierung
Im Rahmen der Neuaushandlung globaler Macht- und Marktpositionen
spielt der Zugang zu Rohstoffen eine zentrale Rolle. Welches Gewicht
zukünftig die USA, die EU, Russland, China oder auch Indien spielen,
das ist nicht völlig unabhängig von der Entwicklung im Iran. Seine
geographische Lage zwischen persischem Golf und Kaspischem Meer und
den dort jeweils vorhandenen Öl- und Gasreserven machen die Frage, wer
im Iran die Macht hat, zu einem geostrategisch brisanten Thema. Im
Verhältnis zum Irak birgt der Iran eine noch größere Gefahr für die
regionale Umsetzung US-amerikanischer aber auch EUropäischer
Interessen. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu den EU-Staaten,
besonders zu Deutschland, verzeichneten in den letzten Jahren
zweistellige Zuwachsraten. Wesentlich rasanter wächst jedoch der
wirtschaftliche Austausch Richtung Osten. Mit seinem östlichen
Nachbarn Pakistan und dessen Nachbarn Indien hat Iran ein
umfangreiches 7 Mrd. Dollar schweres Abkommen über die Erstellung
einer Gaspipeline abgeschlossen. Pakistan und Indien stehen seither
unter massivem Druck der US-Regierung dieses Projekt wieder
aufzugeben. Die Indisch-US-amerikanische Kooperationsvereinbarung, die
faktisch eine Anerkennung von Indien als Atommacht bedeutet, kann auch
unter dem Gesichtspunkt verstanden werden, Indien Energiesicherheit
ohne Rückgriff auf iranische Ressourcen zu ermöglichen. Japans
Ölversorgung wird zu ca. 16% aus iranischen Quellen gespeist. Das
japanische Unternehmen Inpex Corp. schloss mit Iran einen Vertrag über
75% der Erschließungsrechte des Ölfelds von Asedegan, in denen
Vorkommen von 26 Mrd. Barrel vermutet werden.
Noch stärker ist China ökonomisch im Iran präsent, der mit einem
Anteil von 14% Pekings zweitgrößter Öllieferant ist. Die chinesische
Sinopec Group wird das iranische Yadavarn-Ölfeld erschließen. Dieses
Geschäft im Umfang von 70 Mrd. $ sichert China 25 Jahre lang
Lieferungen von iranischem Flüssiggas. Für die Ausbeutung der
Vorkommen von Öl im Kaspischen Meer wird ebenfalls eine Kooperation
angestrebt. Chinas Wirtschaft profitiert zudem von hunderten von
Aufträgen im Iran wie etwa von der Erstellung eines unterirdischen
Schienennetzes in Teheran, das einen Teil der Teheraner
Verkehrsprobleme lösen soll. Die Kooperation mit Russland bezieht sich
schwerpunktmäßig auf das iranische Atomprogramm und auf Rüstungsgüter
wie die Bodenluftraketen Tor M-1, die für ca. 700 Millionen in
Russland erworben wurden. Es ist eine logische Konsequenz dieser
Kooperationen, dass iranische Vertreter mit Beobachterstatus bei der
Shanghai Cooperation Organization (SCO) vertreten sind. Die SCO, als
Zusammenschluss von China und Russland mit vier zentralasiatischen
Staaten, versteht sich als sicherheitspolitisches Bündnis, mit dem
langfristigen Ziel einer gemeinsamen Außen- und Wirtschaftspolitik
(evtl. mit Freihandelszone).
Die ökonomische und sicherheitspolitische Ostorientierung erzeugt auch
bei traditionellen iranischen Handelspartnern wie der deutschen
Regierung eine gewisse Besorgnis. Schon allein deswegen, weil die
Wachstumsraten im ökonomischen Austausch zwischen dem Iran und der EU
bei einer stärkeren Westorientierung Teherans wesentlich höher sein
könnten. Das „großzügige Angebot“ der EU-3 im Sommer letzten Jahres
kann auch als (gescheiterter) Versuch gesehen werden, den Iran mit
einem Knebelvertrag stärker Richtung Westen zu orientieren. Dass
deutsche Vertreter trotz (noch) guter Wirtschaftsbeziehungen in den
Iran sowohl Embargos erwägen als auch ganz konkret bereits die
Hermeskredite für Geschäfte mit dem Iran zurückfahren,[5] macht
deutlich, dass derzeit ein Paradigmenwechsel in der deutschen
Iran-Außenpolitik stattfindet.
Die Kriegspläne liegen auf dem Tisch
Der angedrohte Krieg gegen den Iran wird von manchen für unrealistisch
gehalten, da besonders die US-Streitkräfte im Irak und in Afghanistan
bereits bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit eingebunden sind.
Mit einem Bodenkrieg einschließlich Einmarsch, Sturz des herrschenden
Regimes und Auswechseln der Machthaber ist vorläufig tatsächlich nicht
zu rechnen. Die US-amerikanischen und in letzter Konsequenz wohl auch
die Pläne der EU-3 gehen von einem Luftkrieg aus, dessen Ziel
vorrangig die Zerstörung der atomtechnischen Einrichtungen und der
Trägersysteme für mögliche Atombomben sein dürften. Doch auch ein
solches begrenztes Szenario hätte gravierende Auswirkungen für die
Menschen im Iran und kann mittelfristig zu einer weiteren
Destabilisierung der gesamten Region führen. Die Oxford Research Group
(ORG) hat im Februar 2006 in einer Studie[6] darauf aufmerksam
gemacht, dass ein Luftkrieg bereits in einer ersten Welle zu Tausenden
von Toten führen könnte. Die mittelfristigen Folgen seien abhängig
davon, wie viel Radioaktivität bei den Bombardements freigesetzt und
wie sich in der Folge das regionale politische Kräfteverhältnis
verschieben würde. Wenn etwa der Reaktor in Bushehr bei einem Angriff
bereits in Betrieb ist, und so eine unkontrollierte Kettenreaktion
ausgelöst würde, dann wäre die gesamte Region um den persischen Golf
bis nach Kuwait betroffen.
Die Liste der möglichen Ziele für Luftangriffe auf den Iran ist lang,
sie reicht vom Forschungsreaktor, radioisotopischen Produktionsstätten
und Forschungslaboratorien in Teheran und Umgebung, zum
Nukleartechnologiezentrum in Isfahan, dem nahezu fertig 1000 MWatt
Leichtwasserreaktor in Bushehr, bis hin zum entstehenden
Schwerwasserreaktor in Arak und zu den Anreicherungsanlagen in Natanz.
Insgesamt geht man von ca. 40 Anlagen und damit entsprechend vielen
potentiellen Zielen aus. Paul Rogers (ORG) geht davon aus, dass das
Ziel nicht nur die Zerstörung der nuklear relevanten Anlagen sondern
auch die des zugehörigen Wissens sei. Die Angriffe würden deswegen
weitgehend simultan stattfinden, wegen des Überraschungseffekt und
auch um möglichst viel technisch kompetente Mitarbeiter zu töten. Zu
diesem Kalkül gehöre es auch ausländische Mitarbeiter zu treffen,
nicht zuletzt zum Zweck der Abschreckung zukünftiger Kooperation von
Experten mit der iranischen Regierung.
Um das Risiko für amerik. Flugzeugbesatzungen (Tod oder Gefangennahme)
zu verringern würde parallel versucht werden, so Renner in seiner
Studie, wenigstens Teile des iranischen Verteidigungspotentials zu
zerstören. Besonders iranische Abfangjäger und iranische Radars seien
hierbei das Ziel. Damit wird die Liste der betroffenen Regionen noch
länger, denn betroffen wären Radareinrichtungen und Kommandozentralen
des westlichen Kommandos und die Luftwaffenbasen in Teheran, Täbris,
Hamadan, Dezful, Umidiyeh, Shiraz und Isfahan; darüber hinaus das
südliche Kommando und die zugehörigen Luftwaffenbasen in Bushehr,
Bandar Abbas und Chah Bahar. Die erste Welle dieses Luftkrieges wäre
wahrscheinlich innerhalb von wenigen Stunden abgeschlossen und würde
wohl von weiteren Angriffen im Verlauf der nächsten Tage „ergänzt“.
Um mögliche Vergeltungsschläge auf Israel oder us-amerikanische
Stützpunkte zu verhindern würden auch die iranischen
Mittelstreckenraketen und zugehörige Forschungs- und
Produktionsstätten ins Fadenkreuz geraten. Da diese aber zum Teil von
mobilen Abschussbasen aus einsatzbereit sind, dürfte das nur sehr
unvollständig möglich sein, womit eine militärische „Lösung“ die
Gefahr für Angriffe auf Israel mittelfristig eher erhöht als verringert.
Die Frage danach, wann ein Krieg gegen den Iran beginnen könnte, muss
leider mit jederzeit beantwortet werden. Ein Truppenaufmarsch ist
nicht nötig, da alles benötigte Kriegsgerät bereits in der Region
vorhanden ist. Die für Militärschläge zudem nötige Aufklärung führen
US-Militärs über Drohnen, elektronische Überwachung und Satelliten
bereits seit längerer Zeit durch. Möglicherweise auch in diesem Fall
mit tatkräftiger Unterstützung des BND, der traditionell gute
Verbindungen in der Region unterhält. Die militärische Infrastruktur
steht im wahrsten Sinne des Wortes „Gewehr bei Fuß“.
Mindestens ein Flugzeugträger mit Kampfflugzeugen steht im persischen
Golf bereit. Mehrere hundert Cruise Missiles und zahlreiche
landgestützte Flugzeuge (z.B. B2-Bomber) können von den verschiedenen
Basen in und außerhalb der Region starten. Stealthbomber aus Fairford
(GB) könnten in einer ersten Angriffswelle die iranischen
Radarstellungen ausschalten. Sowohl für diese britischen Flüge, als
auch für den Nachschub der US-amerikanischen Truppen, stellt sich auch
hier die Frage der Überfluggenehmigungen über Deutschland.
Kurzfristige militärische Antworten des iranischen Militärs würden vor
allem die Öl- und Flüssiggastransporte durch die Straße von Hormuz
treffen. Am 31. März begannen iranische Streitkräfte mit einem Manöver
im persischen Golf, bei dem mit „Supertorpedos, ferngelenkten
Spähflugzeugen und Schnellbooten offensichtlich genau die
Empfindlichkeit der Erdölrouten vorgeführt werden sollte. Um die Route
zu schützen könnte die Irankriegskoalition „präventiv“ die
Raketenwerfer der Küstenwache ebenso zerstören, wie Irans kleine
Kriegsflotte. Hauptbasis ist wiederum Bushehr und die in Bandar Abbas
liegende Kommandozentrale. Dort befinden sich auch drei U-Boote. Es
gibt außerdem weitere Stationierungsorte von leichten Schnellbooten,
die für den Tankerverkehr die größte Gefahr darstellen könnten.
Außerdem besteht die Möglichkeit, dass die iranischen
Revolutionsgarden im Irak mit befreundeten Milizen zusammen
us-amerikanische Stellungen angreifen könnten. Deswegen sind Angriffe
auf Landstreitkräfte und Garden besonders an der irakischen Grenze
wahrscheinlich.
Die Folgen für die Menschen im Iran wären gravierend. Tausende toter
Soldaten, hunderte toter Zivilisten (oder mehr), zerstörte
Infrastruktur und verseuchte Regionen würden ein normales Leben in
absehbarer Zeit unmöglich machen und den Hass gegen den Westen so
steigern, dass das heutige Regime gestärkt und nicht geschwächt würde.
Folgen für die internationalen Beziehungen wären ebenfalls
weitreichend. Die iranische Regierung würde mit großer
Wahrscheinlichkeit das Atomprogramm sofort (wieder) aufnehmen sowie
den NVV kündigen und damit alle heute noch vorhandenen
Kontrollmöglichkeiten unterbinden.
Dies würde die globalen Bemühungen zur Verhinderung von Proliferation
massiv zurückwerfen. Neben der regionalen Destabilisierung (Irak,
Libanon …) ist völlig unklar wie Russland oder China, eventuell auch
Pakistan oder Indien reagieren würden. Militärische „Lösungen“, selbst
sogenannte chirurgische Optionen, haben Konsequenzen die sehr viel
schwerwiegender sind als die Probleme, die damit gelöst werden sollen.
Militäraktionen sollten deswegen in jedem Fall ausgeschlossen werden.
Machtfrage / regionale Vorherrschaft
Ein Perspektivenwechsel ist manchmal sehr hilfreich um
Konfliktkonstellationen zu verstehen. Der Iran erlebt sich als
sicherheitspolitisch verletzlich – auch ohne die oben ausgeführte
direkte Kriegsoption. Er sieht sich umzingelt von den Atommächten USA,
Israel und Pakistan – plus NATO Atombomben in Incirlik / Türkei.
Besonders die massive US-amerikanische Militärinfrastruktur mit
150.000 Soldaten im Irak und 20.000 Soldaten in Afghanistan mit Basen
teilweise dicht an der iranischen Grenzen wird als bedrohlich erlebt –
und das nicht nur von der Regierung. Dazu kommen Stützpunkte in
Kuwait, Bahrain und Katar sowie die 5. Flotte die den persischen und
arabischen Golf kontrolliert. Die US-Regierung unterhält zudem weitere
militärische Verbindungen, Abkommen und Stützpunkte in Ländern
nördlich und östlich des Iran. US-Vertreter haben mehrfach erklärt,
eine Ende des Teheraner Regimes sei wünschenswert. Auch die
israelische Armee ist hochgerüstet (mit atomaren Erst- und
Zweitschlagsoptionen) mit F16-Bombern und Bunkerbustern beide aus
us-amerikanischer Produktion und Raketen abgeschossen von Dolphin
U-Booten Made in Germany ist iranisches Territorium einfach zu
erreichen. Die Angst in der israelischen Bevölkerung vor einer
iranischen Regierung, die bis heute das Existenzrecht Israels nicht
anerkannt hat und über Mittelstreckenraketen verfügt, die Israel
erreichen können ist real und nachvollziehbar. Umgekehrt sieht
allerdings auch die iranische Bevölkerung das israelische Atomarsenal
als Bedrohung. Dass in beiden Ländern die Bedrohung in teure
Aufrüstungsprogramme kanalisiert wird, deren ökonomische Folgen die
ohnehin wachsende arme Bevölkerung trifft ist eine fatale Entwicklung
ohne jedes Potential für ein wirkliche Lösung der Sicherheitsprobleme.
In dieser Lage scheint es für das Verhältnis Israel und Iran drei
Alternativen zu geben:
A) Ein unkontrolliertes Wettrüsten das sowohl Israel als auch den Iran
einem Kriegsrisiko näher bringt. Atomare Abschreckung in einem
„Gleichgewicht des Schreckens“ war auch in Zeiten der
Blockkonfrontation kein Erfolgsmodell – auch wenn es im Nachhinein
gern so dargestellt wird. Zu real war die Gefahr totaler Vernichtung
durch den nuklearen Overkill.
B) Eine militärische Abrüstung des Irans im Rahmen des oben
beschriebenen Szenarios. Die Eskalationsgefahr ist allerdings schwer
zu kontrollieren, die Fronten werden dadurch noch unversöhnlicher.
Spätestens dann ist mit einem (heimlichen) Atomprogramm des Iran zu
rechnen und die Sicherheitslage für den gesamten Mittleren Osten wäre
noch labiler als heute schon.
C) Die Einleitung eines regionalen Abrüstungs- und
Kooperationsprozess, eventuell nach dem Vorbild der KSZE/OSZE, mit dem
Ziel eines massenvernichtungsmittelfreien Mittleren Ostens.
Alternativen zum Krieg brauchen eine Lösungen des iranischen und des
israelischen Sicherheitsdilemmas. Ein erster Schritt könnte die
Anerkennung Israels durch den Iran im Gegenzug zu einer atomaren
Nichtangriffsgarantie sein.
Keine der Möglichkeiten ist ohne Risiko, aber die ersten zwei Optionen
führen so konsequent in die Sackgasse, dass es keine Alternative zu
einem Abrüstungsprozess gibt.
Müssen wir uns an doppelte Standards gewöhnen? Nukleare Apartheid?
Die Angst vor einem iranischen Atomprogramm ist begründet. Doch alle
Gründe die gegen das iranische Atomprogramm sprechen, sprechen auch
gegen die anderer Länder. Anreicherungsanlagen und der Zugang zu
entsprechender Technologien ermöglichen den Zugriff auf die Bombe,
auch in Deutschland! Doch auch Plutonium, das im „normalen“
Kraftwerksbetrieb anfällt, eröffnet die Bombenoption – wenn auch
technisch etwas aufwendiger. Auch die Risiken der zivilen Nutzung sind
unkalkulierbar. Doch selbst unter der Voraussetzung, dass alle Risiken
und Nebenwirkungen der „zivilen“ Nutzung von Atomkraft technisch
kontrollierbar wären (woran niemand ernsthaft glauben kann), setzt
eine gefahrlose Nutzung auch politische Stabilität über Tausende von
Jahren voraus und wenn diese je in irgendeiner utopischen Region
möglich sein sollte, dann ist es immer noch nötig, alle kriminelle
Energie, die aus dem strahlenden Material ein Gefahr für zahllose
Menschen machen könnte, im Griff zu halten. In letzter Konsequenz
bedingt die Atomwirtschaft immer eine mehr oder weniger massive
staatliche Sicherheitspolitik und kann jederzeit als Argument oder
Vorwand für Repression benutzt werden.
Wer nun aber die Gefahren der Atomenergie allein im Iran bekämpft der
sorgt faktisch dafür, dass aus dem ohnehin schon asymmetrischen
NVV-Vertrag (Unterscheidung zwischen Atomwaffenstaaten und
Nicht-Atomwaffenstaaten) ein nukleares Apartheidsregime wird. Neben
Staaten mit Atomwaffen, die ihre eigenen Abrüstungsverpflichtung
ignorieren, gibt es „zuverlässige“ Staaten die anreichern dürfen (und
die Brennelemente verkaufen) und als unterste Stufe diejenigen, die
lediglich AKWs betreiben dürfen (und abhängig von Lieferungen sind).
Genau dies schlug US-Präsident George W. Bush in einer Grundsatzrede
im Februar 2004 vor, als er angab, die Anreicherungstechnik solle auf
die gegenwärtigen Technologiebesitzer beschränkt werden (u.a.
Deutschland, Japan, Brasilien…). Darüber hinaus forderte er, dass
alle Staaten, die nicht bereit seien, sich umfassenderen Kontrollen
seitens der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) zu unterziehen,
jeglicher Zugang zu „ziviler“ Atomtechnologie versagt werden müsse.[7]
Dies sind aber Schritte, die sich nicht aus dem NVV ableiten lassen,
ja sogar die dort vertraglich verbrieften Rechte und Zugeständnisse
für den dauerhaften Verzicht auf Atomwaffen rückgängig machen.
Gleichzeitig wird weiterhin die Einhaltung der Vertragpflichten der
nuklearen „Habenichtse“ (Atomwaffenverzicht nach Artikel II)
überwacht, die der Kernwaffenstaaten (Abrüstung nach Artikel VI)
jedoch nicht. Damit wird nukleares Faustrecht etabliert.
Der NVV ist reformbedürftig – oder besser durch einen neuen effektiven
Abrüstungs- und Atomausstiegspakt zu ersetzen. Da der momentane NVV
aber als Vorwand für einen Krieg gegen den Iran benutzt wird, sei hier
noch einmal erwähnt, dass dem Iran bis heute kein Verstoß gegen den
NVV nachgewiesen werden konnte.</i> Die iranische Regierung hatte eine
Reihe ihrer Programme und Anlagen nicht bei der IAEO gemeldet,
„ähnliche Verstöße und Fehler sind auch von zahlreichen anderen
Ländern bekannt geworden, ohne dass dies – mit Ausnahme von Irak und
Nordkorea – eine nennenswerte internationale Reaktion hervorgerufen
hätte.“[8] Seit dem Jahr 2003 hat der Iran seine Programme offen
gelegt sowie am 18. Dezember 2003 ein freiwilliges
IAEO-Zusatzprotokoll, das umfangreichere Inspektionen ermöglicht,
unterzeichnet und dessen Anwendung sofort ermöglicht – obwohl es bis
heute nicht ratifiziert ist. Einige Anlagen etwa zur Laseranreicherung
wurden abgebaut. Das Anreicherungsprogramm in Natanz wurde ausgesetzt
und durch freiwillige Sondermaßnahmen die Kontrolle dieses Stopps
überprüfbar gemacht. Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit den EU-3
im Sommer 2005 hat die iranische Regierung diese freiwilligen(!)
Zugeständnisse zurückgenommen, um ihr eigenes Anreicherungsprogramm
wieder aufzunehmen. Im Gegensatz zur Medienberichterstattung wurden
die Siegel der Anlage in Natanz nicht „aufgebrochen“ sondern unter
Anwesenheit von IAEO-Vertretern entfernt. Die Berichte der IAEO an den
Sicherheitsrat beinhalteten keinen „Schuldspruch“ sondern die
Feststellung, dass ein militärisches Programm des Iran nicht
ausgeschlossen werden kann – aber eben auch nicht bewiesen ist. Im
Kern geht es also um die Dual-Use-Problematik, die im Rahmen des NVV
nicht ausreichend geregelt ist – und auch grundsätzlich nicht
ausgeschlossen werden kann.
Wenn die westlichen Staaten nicht einen vollständigen Atomausstieg für
alle Staaten in Angriff nehmen wollen, dann sollten sie wenigstens
substantielle Angebote auf den Tisch legen. Einer tatsächlichen Lösung
kommt man wohl nur näher, wenn das Iran-Quartett oder wenigstens die
EU-3 an ihrer eigenen Glaubwürdigkeit arbeiten. Etwa indem sie
beginnen ihren eigenen Verpflichtungen aus dem NVV nachzukommen und
ihr Atomwaffenarsenal abbauen. Ein erster Schritt könnte der Abzug der
ca. 150 Atomwaffen aus Deutschland und ein Stopp des Garchinger
Reaktors sein. Als Zwischenschritt zum Ausstieg ist auch ein globaler
Verzicht auf hochangereichertes Uran in Forschungsreaktoren und eine
Internationalisierung aller Anreicherungsanlagen denkbar und möglich!
Leider wird allein das Droh- und Kriegsszenario verfolgt. Seit dem 29.
März 2006 läuft das 30-tägige Ultimatum des UN-Sicherheitsrates. Wenn
auch noch ohne Embargo- und Kriegsdrohung. EU-Resolutionen,
IAEO-Berichte und Involvierung der Vereinten Nationen gehören
offensichtlich zum Eskalationsszenario. Die Fülle der Aktionen lässt
Zug um Zug die tatsächliche Rechtslage (kein iranischer Verstoß gegen
den NVV) vergessen, indem hiermit suggeriert wird, vom Iran gehe eine
immer akuter werdende direkte Gefahr aus. Für die abschließende
Kriegsentscheidung ist es dann möglicherweise gar nicht mehr wichtig,
ob der Sicherheitsrat als ganzes Zwangsmaßnahmen (Embargo und/oder
Militärschläge) nach Artikel 7 zustimmt. Es ist auch eher
unwahrscheinlich, dass sich Russland und besonders China darauf
einlassen werden, Irans Atomprogramm als „Gefährdung des Weltfriedens“
einzustufen und ohne eine solche Einstufung sind UN-mandatierte
Kampfeinsätze schwer möglich. Wenn die Eskalation jedoch weit genug
fortgeschritten ist (zwei verstrichene Ultimaten o.ä.), dann ist es
auch denkbar, den Sicherheitsrat, wie vor dem Irakkrieg, als
„handlungsunfähig“ darzustellen und auf das Prinzip der
Selbsmandatierung durch USA plus EU-Staaten zurückzugreifen. Das
Szenario einer unbeweglichen und veralteten UN lässt sich umso
glaubwürdiger inszenieren, als diesmal keine kritischen Stimmen von
EUropäischen Staaten zu erwarten sind.
Gegen Krieg, Atomprogramme und Feindbilder
Das iranische politische System ist repressiv und autoritär. Die
Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten ist immer wieder nicht
gewährleistet, streikende Busfahrer landen im Gefängnis und
Pressezensur gehört zum Alltag. Dennoch: den Iran als totalitäres
System zu bezeichnen ist schlicht falsch und irreführend, zu lebendig
ist die Zivilgesellschaft, zu aktiv sind z.B. Frauenrechtlerinnen oder
auch KünstlerInnen. Dass Frauen, wie die Nobelpreisträgerin Shirin
Ebadi trotz aller Widrigkeiten immer wieder auch erfolgreich für
Menschenrechte kämpfen zeigt, dass die politische Landschaft im Iran
lebendig ist und das Potential für nötige Reformen durchaus besteht.
Ein „Demokratieexport“ oder „Regimechange“ bringt selten Verbesserung,
meist stärkt er repressive Tendenzen und zerstört gewachsene
Basisstrukturen – siehe Irak. Nicht „der Iran“ hat unsere Solidarität
verdient, sondern die Menschen im Iran, die sowohl von ihrer eigenen
Regierung als auch von USA und EU-3 quasi in Geiselhaft genommen werden.
Ein iranisches Atomprogramm kann für progressiv denkende Menschen
nicht erstrebenswert sein, zu hoch sind die Risiken selbst bei der
zivilen Nutzung von Atomenergie, allein das hohe Erdbebenrisiko im
Iran sollte nachdenklich machen. Doch ohne eine globale Diskussion
dieser Problematik verlieren selbst die besten Argumente ihre
Glaubwürdigkeit – denn wie steht es etwa mit den Erdbebenrisiken für
japanische Reaktoren?
Die Aufgabe einer kritischen Öffentlichkeit ist es, die
Alternativlosigkeit von Drohungen, Sanktionen und Krieg zu
hinterfragen. Das Signal, dass Krieg als Lösung nie akzeptiert werden
wird, muss möglichst laut und deutlich wahrnehmbar sein. Die
Demonstrationen gegen den Irak-Krieg wurden in den arabischen und
islamischen Medien umfangreich gewürdigt. Dass nicht alle westlichen
Regierungen sich offen für einen Krieg aussprachen aber vor allem,
dass Millionen Menschen auf den Strassen gegen einen Krieg
demonstrierten, machte die Frontenbildung gegen „den Westen“ auch für
militante Hardliner in islamischen Ländern schwer. Auf
EU-Regierungs-Gegenstimmen gegen einen Irankrieg darf man dieses Mal
wohl nicht hoffen. Umso dringender ist es, dass der Protest auf der
Straße sichtbar und laut wird. Nur so kann auch Ahmadinejads plumper
und gefährlicher Hetze der Boden entzogen werden, wenn er seiner
Bevölkerung nicht mehr plausibel ein geschlossenes Feindbild
präsentieren kann. Nicht „der Iran“ ist das Problem, die Probleme sind
global und heißen: Dual-Use Problematik, Atomare Ab- und Aufrüstung,
Energiesicherheit, ökonomische Entwicklung, Feindbilder und Demagogie.
Anmerkungen
[1] Broadcast live from Tehran, Iran reaffirms that it has no
intention of obtaining nuclear weapons. 16.2.2006;
http://acdn.france.free.fr/spip/article.php3?id_article=153&;lang=en
[2] CIA World Factbook, Iran;
http://www.cia.gov/cia/publications/factbook/geos/ir.html
[3] iran-report Nr. 3/2006 (Heinrich-Böll-Stiftung), S. 5;
http://www.boell.de/de/04_thema/4061.html
[4] Vgl. diesbezüglich v.a. Clark, William, The Real Reasons Why Iran
is the Next Target: The Emerging Euro-denominated International Oil
Marker, Centre for Research on Globalisation, 27 October 2004.
[5] iran-report Nr. 3/2006 ebenda.
[6] Vgl. zum folgenden Rogers, Paul, „Iran: Consequences of a War“,
Oxford Research Group (February 2006); http://www.iranbodycount.org
[7] Remarks by the President on Weapons of Mass Destruction
Proliferation, White House, February 11, 2004
[8] W&F / IPPNW, „Atomenergie: Zugriff zur Bombe“, W&F Dossier 51,
1-2006, S. 7
http://www.imi-online.de/download/CH-Iran-4-2006.pdf
4) Neue Texte auf der IMI-Homepage
IMI-Analyse 2006/007 – in: AUSDRUCK (April 2006)
Krieg und Folter – die zwei Geschwister
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1332
http://www.imi-online.de/download/UR-Folter-4-2006.pdf
12.4.2006, Uwe Reinecke
IMI-Analyse 2006/008 – in: AUSDRUCK (April 2006)
Deutschgeführte Kommandozentralen zukünftiger EU-Kriege
Das Kommando Operative Führung Eingreifkräfte in Ulm und das
Einsatzführungskommando in Potsdam-Geltow
http://www.imi-online.de/download/JP-KOFE-4-2006.pdf
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1334
12.4.2006, Johannes Plotzki
IMI-Standpunkt 2006/029 – in: ak Nr. 505/2006
Flüchtlingsabwehr und Rohstoffsicherung
Kongo-Intervention: Neokoloniale Politik zur Durchsetzung von
EU-Interessen
http://www.imi-online.de/download/TP-Kongo-4-2006.pdf
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1335
12.4.2006, Tobias Pflüger / www.akweb.de
IMI-Studie 2006/03 – in: AUSDRUCK (April 2006)
Iran-Uran-Krieg? Bombendrohungen aus dem Glashaus
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1336
http://www.imi-online.de/download/CH-Iran-4-2006.pdf
12.4.2006, Claudia Haydt
IMI-Analyse 2006/003b – in: AUSDRUCK (April 2006)
Der „Eisbrecher“ Luftsicherheitsgesetz: Bundeswehreinsätze im Inland
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1333
http://www.imi-online.de/download/MH-LuftSig4-2006.pdf
11.4.2006, Michael Haid
IMI-Standpunkt 2006/025 – in: AMOS – Kritische Blätter aus dem Ruhrgebiet
AWACS wegen Großleinwänden
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1328
10.4.2006, Tobias Pflüger
IMI-Standpunkt 2006/027
EU-Kongo-Militäreinsatz: Das Desaster nimmt weiter seinen Lauf
Rechte des Bundestages werden mit Füßen getreten
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1330
10.4.2006, Tobias Pflüger
IMI-Standpunkt 2006/028
Der Kongo soll das Testfeld sein
Interview in: UZ (Unsere Zeit), 31.03.2006
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1331
10.4.2006, Tobias Pflüger
IMI-Standpunkt 2006/026
Die DF-Brigade hat eine Schlüsselrolle vor allem für die EU-Militärpolitik
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1329
9.4.2006, Tobias Pflüger
IMI-Standpunkt 2006/024
Ulmer EU-Kommando auch im Kongo-Militäreinsatz involviert
Andenken an Deserteure in Ulm unterstützen
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1327
27.3.2006, Tobias Pflüger
IMI-Standpunkt 2006/018
Nein zum NATO-Kriegsflughafen Leipzig!
Durch Bruch des Völkerrechts wird Messestadt zum Logistikdrehkreuz für
künftige Kriege
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1320
24.3.2006, Tobias Pflüger
IMI-Standpunkt 2006/021- in: Neues Deutschland, 24.03.06
»Das Trauerspiel in Kongo ist auch ein europäisches«
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1323
24.3.2006, Tobias Pflüger
IMI-Standpunkt 2006/022 – in: Junge Welt, 24.03.2006
Neokolonialismus
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1324
24.3.2006, Tobias Pflüger
IMI-Standpunkt 2006/020
„Hier geht es tatsächlich um Zugang zu Rohstoffen und militärische
Abwehr von Flüchtlingen“
Kein EU-Militäreinsatz im Kongo!
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1322
23.3.2006, Tobias Pflüger
IMI-Standpunkt 2006/019
Kongo-Militäreinsatz der EU ablehnen
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1321
22.3.2006, Tobias Pflüger
IMI-Standpunkt 2006/017 – Rede auf Antikriegsdemo am 18.03.2006 in
Tübingen
Keine „gemeinsame internationale Ordnungspolitik“
mit „freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern“!
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1318
20.3.2006, Johannes Plotzki
Pressebericht – in: Schwäbisches Tagblatt, 20.03.2006
Präventiv demonstriert
Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Bomben werfen
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1319
20.3.2006, IMI / Schwäbisches Tagblatt / mre
IMI-Standpunkt 2006/023 – in: UZ, 17.03.2006
Kein Frieden ohne Abzug
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1325
18.3.2006, Arno Neuber
— — — — — — — — — — — — — — — — –
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