Friedensgottesdienst
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
der Kasseler Friedensratschlag hat mich eingeladen, beim
Friedensgottesdienst am 3. Dezember 2005 als Vertreter der
österreichischen, ökumenischen Aktionsgemeinschaft der Christinnen und
Christen für die Friedensbewegung zu sprechen.
Ich sende dir / euch / Ihnen diesen Text, da er nicht nur aktuelle
Fragen „christlicher Politik“, sondern auch der Arbeit der
Friedensbewegung behandelt.
Mit den besten Wünschen für schöne Weihnachten und ein friedliches 2006!
Alois Reisenbichler
Gerechtigkeit und Friede küssen sich
Rede von Alois Reisenbichler beim Gottesdienst des Kasseler Friedensratschlages am 3. Dezember 2005 in der Luther-Kirche in Kassel
„an die Hungrigen dein Brot auszuteilen,
die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden“ .. (Jes. 58,7)
Liebe Brüder und Schwestern!
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!
Frieden und Gerechtigkeit – ich bin in der ArbeiterInnenbewegung und in der Friedensbewegung bewusst als Christ engagiert und ich habe immer gesagt:
„Frieden und Gerechtigkeit“, aber die Bibel hat mich gelehrt die Reihenfolge umzudrehen: „Gerechtigkeit und Friede küssen sich“ (Ps 85,11), heißt es im 85. Psalm. Grundlage des Friedens ist die Gerechtigkeit.
Vor kurzem sagte mir ein Agnostiker, der österreichische Schriftsteller
Peter Turrini: „Immer wenn ich etwas wirklich Subversives lesen will, dann lese ich in der Bibel“. Oder Bertha von Suttner, leider nicht zuletzt auf
Grund ihrer großen Enttäuschung über die Kirche und ihrer Kumpanei mit dem Militär und den Herrschenden zur damaligen Zeit eine Freidenkerin geworden, sah gerade in der Bibel, im Tötungsverbot und in der Bergpredigt eine wichtige ethische Leitlinie ihres Lebens.
So, liebe Freundinnen und Freunde, war es eine richtige Entscheidung, dass ihr zum Kasseler Friedensratschlag, diesem großartigen Friedenskongress, zu dem ich immer sehr gerne von Wien komme, weil hier sehr viel lebendiges Engagement für eine gerechtere und friedlichere Welt erfahrbar ist, diesen Ratschlag zum Thema „Neue Kriege in Sicht“ mit dem 58. Kapitel des Propheten Jesaja verbunden habt, wo sehr deutlich steht, dass Gerechtigkeit und das Handeln für eine solidarische Welt im religiösen Sinne Frömmigkeit sind.
Und wir als Christinnen und Christen sind gefordert, nicht wie diese
berühmten drei Affen mit Nichts-Sehen, Nichts-Hören, Nichts-Reden, sondern wir sind gefordert aus unserer jüdisch-christlichen Tradition, wir sind gefordert durch die Nachfolge Jesu, der Partei ergriff für die Armen und der die Händler aus dem Tempel vertrieben hat und der darüber zugrunde ging, hingerichtet wurde und von dem wir als Christinnen und Christen glauben, dass er auferstanden ist und wo wir in der Geschichte der Kirche auch einen Strang haben, wo sein Werk auferstanden ist in den Millionen, die sich vor uns für Gerechtigkeit, für Frieden und für die Bewahrung der Schöpfung engagiert haben. Wir sind gefordert durch den Heiligen Geist, durch die Ruach, die Heilige Geistin, die uns nicht zur Ruhe kommen lässt, die uns davor bewahrt, zufrieden mit dem Status quo zu sein und die uns zeigt, wie es Joseph Cardijn, der große französische Kardinal und Begründer der Katholischen ArbeiterInnen-Jugend und Katholischen ArbeitnehmerInnenbewegung so gut formuliert in den drei Schritten: Sehen – Urteilen – Handeln
Sehen:
Was ist das für eine Welt, in der wir leben?
Wir haben uns diese Welt sehr gut anzuschauen und die beiden Vorredner haben sehr gute Beispiele genannt für die Missstände in dieser Welt.
Ich möchte nur zwei Punkte hinzufügen:
In der ausgezeichneten Erklärung der Weltversammlung des Reformierten Weltbundes im August 2004 im Accra (Ghana),
wo sie einen „Bund für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit“
geschlossen haben, heißt es unter anderem über die Welt:
„Das Jahreseinkommen der reichsten ein Prozent ist genauso hoch wie das der ärmsten 57%, und
24.000 Menschen sterben jeden Tag an den Folgen von Armut und Unterernährung.
Kriege, die um Ressourcen der Erde geführt werden, fordern das Leben von Millionen, während weitere Millionen an vermeidbaren Krankheiten sterben.“
Ich war in dem jetzt zu Ende gehenden Jahr in der Betriebsseelsorge tätig und da ist mir bewusst geworden, dass nicht nur Rio de Janeiro, in Maputo oder in New Dehli die Menschen nicht mehr wissen, wovon sie leben, sondern es in St. Pölten, der Hauptstadt Niederösterreichs, es Leute gibt, die ohne Schwarzarbeit und ohne Stehlen im Supermarkt nicht mehr zu den Lebensmittel und den dringendsten Gütern des täglichen Bedarfs, um zu überleben, kommen.
Während auf der anderen Seite in „Österreich“ nach dem offiziellen
Sozialbericht – und es wird in Deutschland nicht anders sein – das oberste Prozent der Bevölkerung ein Drittel des Vermögens und die nächsten neun Prozent das weitere Drittel besitzen,
das heißt zwei Drittel gehören den obersten zehn Prozent
Und man könnte noch sehr viele Daten bringen und wir haben heute ja in der sehr guten Rede von Herrn Dr. Peter Strutynski viele Daten und Fakten über die aktuelle Friedensbedrohung und Rüstung erfahren. Liebe Freundinnen und Freunde, lesen wir einmal diese Worte von Peter gegen im Lichte des Propheten Jesaja und wir kommen zum
Urteilen:
die Fesseln des Unrechts zu lösen;
die Stricke des Jochs zu entfernen;
Brot für die Hungernden;
Häuser für die Obdachlosen;
ein Ende der Unterdrückung.
Das ist der Maßstab der Prophetinnen und Propheten. Das ist der Maßstab Jesu Christi. Das ist der Maßstab, der angelegt wird, aus der Perspektive des Gottesreiches, das hier auf Erden anbricht und das uns zum
Handeln
aufruft.
Wir in unseren Kirchen, in den christlichen Organisationen, in den Pfarren
und in vielen Initiativen haben eine große Tradition an Diakonie, an
Caritas, an tätiger Nächstenliebe. Und das ist gut so. Das ist richtig und
wichtig.
Aber es gibt auch noch andere Felder des Handelns, wo wir als Christinnen und Christen dazu lernen müssen, zum Beispiel den Mund aufzumachen, sich in der Politik einzumischen, Politikerinnen und Politiker beim Wort zu nehmen, wenn notwendig, ihnen zu widersprechen, oder ihre Reden zu hinterfragen.
Wenn diese Woche die neue Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Dra. Merkel gesagt hat, wir sollen „mehr Freiheit wagen“, dann müssen wir aus der Perspektive Jesu, nicht nur aus der Perspektive der Friedensbewegung, nicht nur aus der Perspektive der ArbeiterInnenbewegung, nicht nur aus der Perspektive der Linken, sondern vor allem aus der Perspektive Jesu Christi fragen:
Wessen Freiheit und wessen Unfreiheit?
Hat sie gemeint, die Freiheit derer, die schon genug haben oder schon viel zu viel haben. Ich erinnere mich noch – und das gerade eine wichtige Zeit unserer christlichen Tradition – an die Revolution in Nicaragua Ende der 70er Jahre und in den 80er Jahren. Ich erinnere an „Die Vision“ von Ernesto Cardenal, der formuliert hat:
„Es gibt keine Freiheit, so lange es die Freiheit gibt, andere auszubeuten.“
Freiheit ist wichtig. Oder meint Frau Dra. Merkel jene „Freiheit“, die in
diesem großartigen Text einer wirklichen Kirchenlehrerin, in diesem Text von Dorothee Sölle formuliert ist:
„Frei werden wir erst,
wenn wir uns mit dem Leben verbünden,
gegen die Todesproduktion
und die permanente Tötungsvorbereitung.
Frei werden wir
weder durch den Rückzug ins Private, ins „Ohne mich“,
noch durch Anpassung an die Gesellschaft,
in der Generäle und Millionäre besonders hoch geachtet werden.
Frei werden wir,
wenn wir aktiv, bewusst und militant für den Frieden arbeiten.“
Und wir sollten die Frau Bundeskanzlerin fragen:
-
Meinen Sie die Freiheit einer gerechteren Verteilung?
-
Meinen Sie die Freiheit von größeren Lebenschancen für möglichst
vielen Menschen, für möglichst alle Menschen in einer Gesellschaft bei uns und in Perspektive für möglichst alle Menschen auf der Welt? -
Meinen Sie diese Freiheit zum Engagement für Gerechtigkeit,
Frieden und Bewahrung der Schöpfung?
Oder wenn Sie uns versuchen einzureden – und sie waren zumindest in Frankreich und in den Niederlanden nicht erfolgreich, dass wir eine
EU-Verfassung brauchen, in der die Aufrüstungsverpflichtung und in der die Freiheit der Bank, der Europäischen Zentralbank, die die Unfreiheit für
viele Leute bedeutet, festgeschrieben ist, dann sagen wir:
„Bei dieser EU-Verfassung steht nicht der Mensch im Mittelpunkt, sondern nur das Geld. Diese Verfassung betet nicht Gott an, sondern den Mammon.“
Diese Worte stammen von Kaplan Franz Sieder, Betriebsseelsorger in Amstetten in Niederösterreich, Vorsitzender der „Aktionsgemeinschaft Christinnen und Christen für die Friedensbewegung“ und Geistlicher Assistent von „Pax Christi Österreich“.
Und wenn Sie uns jetzt wieder einreden und sei es im Zusammenhang mit dem Iran, mit dem Kaukasus oder sonst wo, dass nur durch Krieg Humanität und Menschenrechte gesichert, nur durch Krieg Massenvernichtungsmittel vernichtet werden können, dass es nur mit Krieg eine bessere Welt gibt, dann sagen wir mit dem verstorbenen Papst Johannes Paul II.:
„Krieg ist immer eine Niederlage der Menschheit.“
Ohne Zusatz, ohne Wenn und Aber, ohne irgendwelche Ausflüchte.
Und gerade an seiner Person sehen wir einen Lernprozess eines Christen, der je älter er wurde, immer kritischer geworden ist, gegenüber der kapitalistischen Globalisierung, immer klarere Worte gefunden hat, gegen
Krieg und Neoliberalismus. Und das sei vor allem auch jenen ins Stammbuch geschrieben, die immer nur die Individualmoral der Kirche sehen und die hochhalten – sie ist wichtig -, die aber immer dann auf die Sozialmoral vergessen.
Es gibt weltweit viele wertvolle und wichtige Beispiele des Handelns, sei es die Dekade des Ökumenischen Rates der Kirchen zur Überwindung der Gewalt, seien es die Beiträge von Christinnen und Christen zur Dekade der Vereinten Nationen für eine Kultur des Friedens und Gewaltfreiheit für die Kinder dieser Welt, seien es die Beiträge der Christinnen und Christen, ja eigentlich aus allen Weltreligionen und auch nichtreligiösen Weltanschauungen im Rahmen der Anti-Globalisierungs-, ja eigentlich der globalisierungskritischen Bewegung, dieser Globalisierung der Solidarität, sei es die Vorbereitung jetzt auf die in zwei Jahren stattfindende Europäische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung…
Ich möchte zum Schluss auf drei kleine Beispiele aus Österreich hinweisen, wie wohl ich weiß gerade durch die vielen engagierten Menschen beim Kasseler Friedensratschlag, dass wir von Freundinnen und Freunden aus Deutschland sehr viel lernen können und die Friedensbewegung in Deutschland viel stärker als in Österreich ist.
Wir sammeln jedes Jahr zum 6. August, dem Jahrestag des Atombombenabwurfes auf Hiroshima, Grußadressen für die Unterstützung unserer Forderung nach Vernichtung aller Atomwaffen und für eine atomwaffenfreie Welt. Wir wenden uns alle Menschen – an Prominente und BasisaktivistInnen, an Menschen unterschiedlicher politischer Überzeugungen und Religionen. Und gerade da haben sehr viele Menschen aus den Kirchenleitungen und aus der Kirchenbasis
Grußadressen geschickt: Kardinal Franz König, Fulbert Steffensky und
Dorothee Sölle, Bischof Jacques Gaillot und Bischof Erwin Kräutler und und und – das ist eine lange Liste, und selbstverständlich auch viele Leute von der Basis, aus den Pfarren. Die Grußadressen finden Sie unter
www.hiroshima.at <http://www.hiroshima.at>
Das zweite Beispiel ist das Ökumenische Sozialwort, das alle christlichen
Kirchen nach einem langen Diskussionsprozess an der Basis der Kirchen und unzähligen Gesprächen mit vielen Menschen in den Initiativen, in den
Gewerkschaften, in den verschiedenen Hilfseinrichtungen, in den
verschiedenen Bewegungen, auch mit der Friedensbewegung veröffentlicht wurde und an dem jetzt weiter gearbeitet wird. Es wird jedes Jahr evaluiert, was haben wir in den Kirchen umgesetzt, was haben wir in der Gesellschaft durchgesetzt, wo müssen dran bleiben, wo müssen wir uns engagieren. Das Sozialwort finden Sie unter www.sozialwort.at <http://www.sozialwort.at>
Und zum Schluss eine Erfahrung, ich bin leider kein Theologe, aber ich
durfte eine Karenzvertretung machen in der Betriebsseelsorge. Die
Betriebsseelsorge ist eine Einrichtung der Kirchen, die einerseits in den
Kirchen für die soziale Frage sensibilisieren will, die jene politische und
ökonomische Alphabetisierung macht – von der das Sozialwort nach einem Zitat von Dorothee Sölle spricht, und die ihr Christsein, ihr Christinsein gerade in der Intention des Propheten Jesaja leben will. Die Betriebsseelsorge ist eine Einrichtung, die zu den Arbeiterinnen und Arbeitern geht. Ihr kennt vielleicht die französischen ArbeiterInnen-Priester, die in den Fabriken arbeiten, und es gibt auch viele Betriebsseelsorger und auch -seelsorgerinnen, die in Fabriken arbeiten, ja sie müssen sogar zeitweise in Betrieben als HilfsarbeiterInnen arbeiten. Es gibt auch Beispiele wie die Christliche Basisgemeinde der VÖEST Linz, einem großen Stahlbetrieb in Oberösterreich, wo der Pfarrer im Betrieb arbeitet und die Gemeinde von einer Pastoralassistentin geleitet wird. Hier geht es konkret um Parteinahme mit den Arbeiterinnen und Arbeitern, mit den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern. Kirche in der Arbeitswelt – das Leben, sagt Kardinal Cardijn, ist das fünfte Evangelium.
Und so ist die Betriebsseelsorge auch ein Beispiel, dass wir eine Kirche
brauchen, die eine befreiende Kirche, eine jesuanische Kirche, eine Kirche
im Sinne des Propheten Jesaja.
Obwohl wir wissen, dass das alles sehr schwierig und Konstantin Wecker hat gestern beim Konzert gesagt und das ist ein sehr schwerer Satz: „Es kommt nicht auf das Siegen an, sondern auf das Tun.“ Martin Buber sagte: „Erfolg ist kein Name Gottes“.
Und daher möchte ich zum Schluss aus einer Weihnachtspredigt von Dorothee Sölle uns allen, auch mir, Mut zusprechen, an einer gerechteren, an einer friedlicheren, an einer schöpfungsgerechteren, an menschlicheren Welt mitzuarbeiten, Mut zuzusprechen, an einer Kirche mitzuarbeiten, die in eine Befreiungskirche verwandelt wird, Mut zuzusprechen, nicht aufzugeben:
Dorothee Sölle hat am Schluss dieser Weihnachtspredigt gesagt:
„die herrschenden können die schrift an der wand nicht mehr übersehen
die beherrschten kehren sich ab vom kopfnicken die Waffenhändler wagen nicht mehr über die am boden liegenden zu steigen die bischöfe geben die schlüpfrigen reden auf und sagen neindie freunde und freundinnen jesu blockieren die Straßen des overkill
die schulkinder erfahren die Wahrheit
woran sollen wir einen engel erkennen
außer dass er und sie mut macht wo angst war
freude wo nicht mal mehr trauer wuchs
einspruch wo sachzwang herrschte
abrüstung wo terror glaubwürdig drohte
fürchte dich nicht der widerstand wächst
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, fürchtet euch nicht, der
Widerstand wächst.
Alois Reisenbichler
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