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Stellt die Friedensfragen!

1918 Kriegstagebuch des Wiener Friedensnobelpreisträgers

Erstellt am 08.04.2018 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 5143 mal gelesen und am 06.04.2018 zuletzt geändert.

Locarno, 8. April.

Ob Graf Czernin seine Rede lange überdauern wird, will mir zweifelhaft erscheinen. Die Tschechen und die Sozialdemokraten erheben sich zu lebhaftem Protest, so das eine innere Krisis nicht zu vermeiden sein wird, und auch die alldeutsch-schwerindustriellen Kreise im Reich wie in der Monarchie sind mit der pazifistischen Frisur jener Rede an den Wiener Gemeindeausschus nicht zufrieden. In seiner Polemik über die stattgehabten Friedenspourparlers mit Delegierten Clémenceaus schneidet dieser Minister des Äußern ebenfalls schlecht ab.

In der Tat entsprechen die von der französischen Regierung erläuterten Tatsachen nicht den Angaben des Grafen. Sie bewirken einen andern Eindruck, als seine Andeutungen in der Wiener Rede hervorgerufen hatten. Dass er diese Andeutungen gemacht hat, zeigt die Kurzsichtigkeit des Leiters der auswärtigen Politik, denn er hat damit die schmalen Stege, auf denen unermüdlich Versuche gemacht wurden, zum Frieden zu gelangen, für immer ungangbar gemacht, er hat Österreich-Ungarn um jene Vorteile gebracht, die es als die durch Hass und Mißtrauen minder belastete Zentralmacht besaß, um Vorteile, die ihm die Führung in der Friedensvermittlung gesichert hätten und ihm auch im Daseinskampf des künftigen Friedens zugute gekommen wären. Welche Regierung wird es künftig wagen, mit den Zentralmächten, besonders aber mit Österreich-Ungarn, in unverbindliche Gespräche über die Kriegsbeendigung einzutreten, wenn sie fürchten muss, im geeigneten Moment von den Politikern der Zentralmächte preisgegeben zu werden, wie das Graf Czernin Clémenceau gegenüber tat. Diese Wege, die uns die letzten Hoffnungen boten, dem Krieg durch Umgehung der Militärs beizukommen, hat der Außenminister der Monarchie verrammelt. Er ist somit der wahre Kriegsverlängerer geworden, er, der sogar die Schuld dafür denjenigen an den Hals hängen möchte, die wahrhaftig nichts anderes tun, als die Bestie Krieg bei den Hörnern zu fassen. Dieser Versuch, die Schuld gerade auf die Pazifisten abzuwälzen, an die er sich früher angelehnt hatte, ist das lächerlichste Beginnen dieses Staatsmannes. Er mag sich sonnen in den Zustimmungen der Wiener und Budapester Presse, die er selbst verfasst oder veranlasst hat, und die so sehr erinnern an jene Kränze, die sich eine Mime selbst kauft, um sie sich am Abend auf der Bühne überreichen zu lassen. Graf Czernin sorgt nur für Humor in dieser traurigen Zeit, wenn er z. B. in die Welt telegraphieren laßt, das «Pester Journal», ein Mistblatt, dessen ich hier schon oft gedenken musste, «hebt insbesondere die Bemerkungen Czernins über die Pazifisten hervor und sagt, mit Recht habe Graf Czernin die Pazifisten in die Kategorie der Kriegsverlängerer eingereiht. Kein Wasser vermag die Schuld wegzuwaschen, die die Pazifisten auf sich luden, indem sie die große Kriegsfrage zum Objekt ihrer parteipolitischen kleinlichen Taktik herabwürdigten».

Die Blutschuld der Pazifisten in diesem Krieg zu behaupten, bleibt als geschichtliches Dokument an jenem pazifistischen Seiltänzer haften, der die Antwort an den Papst und die Antworten und Anregungen an Wilson verantwortlich deckte und die Budapester Rede vom 2. Oktober 1917 hielt. Ich glaube die pazifistischen Lorbeeren des Grafen Czernin werden sich in das Stachelkraut verwandeln, mit dem die Verdienste um die famose Friedensmachinaiton des Ostens gebührend geschmückt werden dürften, und sein pazifistisches und politisches Leben selbst dürfte beendigt sein, nachdem er als Siegesbote von Bukarest, der den Petroleum- und Getreidehandel mit Rumänien abgeschlossen haben wird, in Wien von den spalierbildenden Hausfrauen und den christlich-sozialen Gemeinderäten empfangen worden ist.

Wahrhaftig, dieses Bild von Staatsmannbegabung in dieser traurigsten Menschheitperiode wirkt entmutigend. Es ist keiner da, der den Ausweg fände. Wie wenn Kinder, die mit Streichhölzern gespielt und das Haus in Brand gesteckt haben, ratlos dem gefräßigen Element Zusehen, so stehen unsre von Amtswegen zur Genialität berufenen Staatsmänner dem Weltbrand gegenüber, den ihre Dummheit angestiftet hat und — spielen weiter.

Der große Selbstbetrug des Ostfriedens zeichnet sich in seinen Konturen immer deutlicher ab. In der Tat geht dort der Krieg ruhig weiter. In dem Phantasiegebild der Ukraine wird geschossen, verbrannt und erobert wie in den Zeiten der Kriegsepoche. Die Ukrainer fangen an, einzusehen, dass der Friedensvertrag ihrer Rada eigentlich dem trojanischen Pferd glich, durch das der Feind ins Land gebracht wurde. Man hört, dass sich die Ukraine gegen die eingedrungenen Deutschen und Österreicher aufzulehnen versucht, und dass die Bauern das Getreide, das man ihnen wegnehmen will, mit Gewehren und sogar Kanonen verteidigen. Das ist der «Brotfriede» mit der Ukraine, den man bereits kleinlaut als Trugbild anzusehen beginnt. Ein andrer Ostfriede, der in Finnland, hat es nun bewirkt, dass deutsche Truppen das finnische Festland betreten haben, um durch kriegerische Handlungen den Friedensvertrag zu verwirklichen und betreffs Rumäniens wird mitgeteilt, dass die deutschen Truppen auch nach dem Friedensschluss, auch nach der Demobilisierung des rumänischen Heeres, im Lande verbleiben werden. Und in Großrussland wird ganz offen an der Errichtung eines Revolutionsheeres gearbeitet, zu dem die Entente hilfreiche Hand bietet. So zeigt sich das militärische Friedensgebilde jetzt schon in seiner Unhaltbarkeit.

Aber ohne durch die Erfahrungen belehrt zu werden, hoffen die Stümper des Ostfriedens jetzt im Westen etwas Ähnliches zuwege zu bringen. In seinem Telegramm an den Reichstag (es trägt das ominöse Datum des 1. April) spricht Hindenburg die bedeutungsvollen Worte:

«Brite und Franzosen dürfen nicht glauben, dass die neuen Blutopfer, die sie uns aufgezwungen haben, umsonst gebracht sein sollen.» Dann folgt der Hinweis auf «einen kraftvollen deutschen Frieden», der «allein uns fortan vor einem Krieg bewahren kann».

Man will also auch noch den Westen zerstückeln und annektieren und den Scheiterhaufen auch an der Westseite des Reichs errichten.

Glücklicherweise beginnt sich immer mehr der Gedanke zu klären, wie dieser mit so ungeheuren Opfern erkaufte Frieden aussehen wird, einerlei ob er siegreich endigt oder nicht. Schon Graf Czernin hat in seiner lebten Rede vor den überschwänglichen Hoffnungen betreffs eines allgemeinen Frieden gewarnt und hat den Weltnahrungsmittelmangel als «die schrecklichste Folge dieses Kriegs» bezeichnet. Und nun hat auch der frühere deutsche Reichskanzler Dr. Michaelis in einem öffentlichen Vortrag den künftigen Frieden in seiner wahren Gestalt geschildert und vor übertriebenen Hoffnungen gewarnt.

«Es würde eine Täuschung sein», so heißt es in dem auszuglichen Zeitungsbericht über jene Rede, «wollten wir glauben, wir hätten mit dem Frieden die gleichen Lebensverhältnisse wie im Jahr 1914 wieder; wir müssen der Tatsache ins Gesicht sehen, das wir die Kriegsnot mit in den Frieden nehmen. Wir müssen die kommende Friedensnot ohne Murren ertragen. Unser Leben wird auch nach dem Krieg unter Zwang stehen, Schmalhans wird Küchenmeister werden und bleiben.’ Die Knappheit, die Teuerung werden anhalten, nicht nur in der Ernährung, sondern auch in den Kleidern und Schuhen. Unsere große Schuldenlast wird zu einer staatlichen Zwangsverwaltung der Rohstoffe führen. Ich würde lieber auf eine Kriegsentschädigung verzichten, wenn ich noch einmal dafür verantwortlich sein müsste, als unser Volk durch Bezahlung seiner Schulden in die größte Gefahr zu bringen, in den Materialismus zu versinken. Ein schlichtes häusliches Leben wird nach dem Krieg unsere Aufgabe sein. Unsre Kinder sind unser höchstes Gut. Wir dürfen jetzt die Friedensnot nicht gering einschätzen; das deutsche Volk hat sich aber am kräftigsten und herrlichsten erwiesen, wenn es in der größten Not war.»

Endlich also beginnt man die Minderwertigkeit jenes Friedens öffentlich einzubekennen, die wir Kriegsgegner schon längst vorhergesagt haben. Aber der Versuch, aus dieser elenden Not gleisnerisch eine Tugend zu machen, ist unerträglich. Man muss sich nur immer die Ereignisse des Juli 1914 vor Augen halten, um sich über den Frevel klar zu werden, der in jenen Handlungen lag, die der Menschheit einen derartigen Zustand auferlegten , der Menschheit, die glücklich und groß dahingelebt hat, ehe die Narren und Verbrecher uns in diesen Krieg trieben. Ja, wozu habt ihr denn diesen Krieg gefordert, wenn er euch, euch, die ihr ihn jetzt mit Erfolg geführt habt, eine derartige Erniedrigung und Entartung des Lebens in Aussicht stellt? Warum stellt ihr das hin als eine von einer hohen Macht auferlegten Prüfung, wo es doch nur eure stümperhaften Hände, eure beschränkten Hirne waren, die diesen trostlosen Zustand schufen. Nicht bewusst schufen! Nicht um dem deutschen Volk Gelegenheit zu geben, durch die Not sich kräftig und herrlich zu erweisen, seid ihr in den Krieg gezogen. Ihr seid betrogene Betrüger. In der Hoffnung, euch zu bereichern durch Raub und Totschlag habt ihr den Krieg entfesselt, um reicher zu werden, um über die Welt zu gebieten seid ihr ausgezogen, und nur weil ihr euch und die anderen betrogen habt, gebt ihr euch jetzt als die ehernen Charaktere, die in der Not erstarken, während ihr in Wirklichkeit im Überfluss zu schwimmen hofftet. Herr Dr. Michaelis will um Gotteswillen keine Kriegsentschädigung, weil diese Erleichterung des Elends und Materialismus versinken» hiebe. Wir kennen dieses Moltkewort! Herr Dr. Michaelis mag ruhig sein. Es wird ihm keiner eine Kriegsentschädigung ins Haus bringen, und er wird sich sein Lebtag lang darüber freuen können, wie das Volk, das siegreich war, sich in ein «schlichtes, häusliches Leben» zwängen wird. Schlichtes häusliches Leben, das wird sich zeigen in

  • ständiger Unterernährung und
  • erhöhter Sterblichkeit, in
  • der Ausbreitung der Schwindsucht,
  • der Syphilis,
  • der Verbrechen,
  • der Geisteskrankheiten,
  • in der Abnahme der Volksbildung,
  • in der Verminderung der Geburten.

«Unsre Kinder werden unser Höchstes sein». Sie werden verhindert werden, zur Welt zu kommen, und einmal geboren, werden sie durch das Elend, das sie umgibt, in Massen sterben. Und nicht zulebt wird es die Freiheit sein, die das Individuum verliert, denn das Volk, dos von den gewissenlosen Hebern hinausgeführt wurde, die Welt zu beherrschen, wird sich dem Zuchthausstaat des Militarismus unterwerfen müssen. Der Zwang wird bleiben, prognostiziert Michaelis. So wird die Welt aussehen, die der «Gefahr der Materialismus» entrückt ist, die aber an den Idealen der Militaristen und Mucker verfaulen wird.

Nur die eine Hoffnung bleibt: das die Frage des «Warum» immer höher emporzüngeln wird, und dass die Erkenntnis der Gründe diese Frage so beantworten wird, dass die Menschheit an dieser Antwort wieder genest.

Quelle: www.kriegstagebuch.at

Das Projekt

Ziel des Gesamt-Projekts ist es,

  • die Kriegstagebücher zu publizieren und damit einer breiten Öffentlichkeit bekannt, zugänglich und erlebbar zu machen,
  • damit ein differenziert-kritisches Bewusstsein für die Vorgänge im 1. Weltkrieg zu schaffen,
  • damit ganz allgemein einen kritischen Blick auf Kriege und die Bedeutung von Friedensaktivitäten zu lenken
  • und letztlich auch Alfred Hermann Fried dadurch bekannter zu machen.

Dies wird realisiert durch

  • die sukzessive Digitalisierung der Kriegstagebücher
  • deren Publikation auf dieser Website
  • deren Publikation in Form eines offen zugänglichen e-Books (geplant)
  • eine audio-visuelle Installation am Bezirksmuseum Alsergrund

Parallel dazu sind Veranstaltungen zu Alfred Hermann Fried geplant, der heuer auch 150. Geburtstag hätte.

Projektträger

Projektträger sind das ZIMD – Zentrum für Interaktion, Medien & soziale Diversität (Digitalisierung, Website, e-Book) und das Bezirksmuseum Alsergrund (Installation, Ausstellung).

Idee und Kurator:
Mag. Andreas H. Landl (ZIMD)

Organisation:
DIin Dorothea Erharter (ZIMD)

 

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