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Vererbte Gewalt oder Sicherheit und Hausfrieden

Erstellt am 01.07.2014 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 5658 mal gelesen und am 01.07.2014 zuletzt geändert.

Gabriele Oberlinninger ist Expertin für häusliche Gewalt.

In letzter Zeit begegnen ihr immer wieder Sätze wie

  • „ich muss meiner Tochter die Ohren langziehen, sonst hilft ja nichts mehr…!“
  • „gestern wollte mein Sohn auf den Ofen greifen und schnell hab ich ihm auf die Finger geklatscht!“

Aussagen solcher Art haben sie nachdenklich gestimmt und veranlasst, einen Artikel zu schreiben. Wenn Menschen, die in den 70er Jahren geboren wurden, solche Aussagen öffentlich tätigen, stelle sich die Frage, was sich hinter ihren verborgenen Wänden abspiele!

Wenn sie, beruflich bedingt, das Frauenhaus vorstelle und nach eigener erlebter Gewalt frage, erhalte sie Antworten dieser Art:

„na klar bin ich auch mal geohrfeigt worden, aber so ein Gfrast wie ich war, hab ich´s ja auch verdient…!“

Häufig sei Gelächter der Anderen Reaktion auf solch unqualifizierte oder saloppe Antworten. Manchmal bemerke sie aber auch Betroffenheit auf Grund von Rückbesinnen auf selbst erfahrene Gewalt. Körperliche Gewalt, da leichter sichtbar, sei nur ein kleiner Teil von Gewalt – Demütigungen und Bloßstellungen wiegen mindestens eben sosehr, sind nur nicht sofort sichtbar.

Woher kommt diese Verharmlosung oder noch schlimmer, das „Nicht Erkennen“ von Gewalt?

Wenn sie in unserer Geschichte zurückblicke und nicht die Kinder der Kriegskinder anschaue, sondern die Kriegskinder selbst, fallen ihr die auflagenstarken Erziehungsratgeber von Johanna Haarer ein. Ganz abgesehen davon, dass Haarer bei der Frau als einzige Aufgabe das Gebären und das Erziehen sehe, sei ihre Erziehungsmethode darauf gestützt, dass, wenn ein Kind schreit und auch ein Schnuller nicht hilft, ein Kind keinesfalls in den Arm genommen, es beruhigt oder verwöhnt werden darf.

Schon die Säuglinge wurden auf die Unterwerfung unter die NS-Gemeinschaft vorbereitet. Mädchen sollten zu werdenden Müttern und Jungen zu unerbittlichen Soldaten erzogen werden. Dass Kinder Zuwendung, Körperkontakt, Urvertrauen brauchen und dass man sie in den ersten 6 Lebensmonaten verwöhnen kann, das alles bleibt auf der Strecke…..

Unsere Eltern hätten oft genau diese Liebe nicht bekommen, da es während des Krieges ausschließlich darum ging, Essen und ein Dach über dem Kopf zu sichern.

Wie sollten sie dann Liebe weitergeben, die sie selbst nicht bekommen und kennen gelernt haben?

Heute sei es notwendiger denn je genug Tools kennen zu lernen, wie Eltern Kinder wertschätzend und respektierend unter Berücksichtigung der Bindungstheorie erziehen und trotzdem wertschätzend Grenzen setzen, weil Kinder Grenzen brauchen.

Bindungstheorie von John Bowlby

Die Bindungstheorie von John Bowlby beruhe auf der Annahme, dass Menschen schon von Geburt an, das Bedürfnis haben, Beziehungen zu Mitmenschen aufzubauen, die von engen und intensiven Gefühlen geprägt sind.

  • Wie verändern sich die engen Beziehungen im Laufe des Lebens aufgrund familiärer Einflüsse und Interaktionen und
  • wie beeinflusst die generationsübergreifende Weitergabe von Bindungsbeziehungen?

Wie wichtig die frühe emotionale Mutter-Kind Bindung ist, zeige die Untersuchung von Harry Harlow mit Rhesusaffen. Er nahm 2 Mutterattrappen, eine Attrappe aus Draht, die füttert und eine Mutterattrappe aus Fell, die nicht füttert. Die Affenjungen suchten die körperliche Nähe zur Fellattrappe…..

Bowlby sei sich sicher gewesen, dass

  1. Gewalt in der Familie die Ursache psychischer Störungen sein könne und
  2. dass aus Gewalt meist Gegengewalt resultiere, d.h. dass Menschen durch Missbrauch und Gewalt besonders gefährdet sind, dieses Verhalten zu wiederholen.

Auch bei der Entstehung von Kriminalität werde gesagt, dass durch die Ablehnung der Bezugspersonen und Verwahrlosung Gewalt entstehen könne. Es werde dabei versucht, die eigene Opferrolle zu überwinden, indem selbst Gewalt ausgeübt wird und man von der Opfer- in die Täterrolle schlüpft.
Wie sich die Bindungstheorie auf die eigenen Kinder und weiteren Generationen „vererbt“, zeigt sich bei Bowlbys Klassifizierungen der Kinder und Erwachsenen und deshalb möchte ich Ihnen einen kurzen theoretischen Überblick über seine Klassifizierungen geben:

Die 4 Bindungstypen bei Kindern

Bowlby klassifiziert bei Kindern, die er in fremde Situationen bringt, 4 Typen:

  • Sichere Bindung (B-Typ): Kinder können Nähe und Distanz der Bezugsperson regulieren aufgrund von elterlicher Feinfühligkeit
  • Unsicher vermeidende Bindung (A-Typ): Kinder vermeiden eine Bindung aufgrund fehlender Zuversicht bzgl. der Verfügbarkeit der Bezugsperson
  • Unsicher ambivalente Bindung (C-Typ): Kinder verhalten sich widersprüchlich ängstlich gegenüber der Bezugsperson, da die Bindungsperson unvorhersehbar reagiert. Bezugsperson wechselt zwischen feinfühligem und abweisendem Verhalten
  • Desorganisierte Bindung (D-Typ): Kinder zeigen desorientiertes Verhalten, oft auch eine Mischform der anderen Bindungsmuster mit Verhaltensmuster, die nicht zuzuordnen sind. Bei dieser Bindung stellt oft die Bezugsperson selber die Gefahr dar, leidet an einem Trauma und die Angst spiegelt sich im Gesicht.

Die 4 Bindungstypen bei Erwachsenen
Auch bei den Erwachsenen wird in 4 Bindungsschemata klassifiziert:

  • Autonome Bindungseinstellung (F): Personen mit Selbstvertrauen, Frustrationstoleranz, Respekt und Empathie. Die eigene Eltern-Kind Beziehung wird realistisch betrachtet und nicht idealisiert. Die Eltern hatten meist selbst Bezugspersonen mit einer autonomen Bindungseinstellung oder haben ihre sichere Bindung erhalten (durch alternative Beziehungserfahrungen oder Psychotherapie).
  • Distanziert – beziehungsabweisende Bindungseinstellung (Ds): Durch Verdrängung kaum Kindheitserinnerungen, idealisieren der Eltern und deren Erziehungsmethoden, wenngleich sie von Zurückweisung berichten. Kinder dieser Bindungspersonen können beim Bewältigen einer Aufgabe mit affektiver Unterstützung rechnen. Kinder werden früh Leistungsdruck ausgesetzt und Mütter gefällt die Anhänglichkeit ihrer Kinder, ignorieren sie aber, wenn sie Unterstützung und Beruhigung bräuchten.
  • Präokkupierte verstrickte Bindungseinstellung (C): Diese Personen sind von den Erinnerungen der Kindheit ständig belastet, konnten Beziehungen zur Bindungsperson nicht verarbeiten und pendeln zwischen Wut und Idealisierung. Sie stehen noch in Abhängigkeitsbeziehung und sehnen sich nach Zuwendung und Wiedergutmachung. Diese Mütter können Kindern weder Schutz noch Beruhigung bieten und es kommt zum Anklammern. Die Identitätsentwicklung der Kinder wird erschwert, weil sie das Gefühl haben, die Mutter versorgen zu müssen und sie dürfen Gefühle wie Wut und Aggression nicht zeigen.
  • Vom Unverarbeitetem Objektverlust beeinflusste Bindungseinstellung (U): Personen, die Erfahrungen von Misshandlungen und Missbrauch erlebten und nicht verarbeitet haben. Sie zeigen ausgeprägte Furcht vor Grauen, das für Kinder nicht greifbar ist und sie können keinen Schutz bieten. Wenn sie das Kind selber misshandeln, permanent beschämen, werden sie keine schützende Instanz, sondern selbst die Quelle der Angst.

Und so zeigten statistische Zusammenhänge zwischen der Bindung Erwachsener und kindlichen Bindungstypen:

  1. Bindungstyp F hatte häufiger Kinder der Bindung B,
  2. Ds hatten häufiger A,
  3. E eher C und
  4. U vermehrt D.

Eine sichere innere Bindungsrepräsentation der Eltern ermöglicht sowohl den Partnern als auch den Kindern eine stabile, empathische und gegenseitig wertschätzende Beziehung. Wird in dieser Partnerschaft ein Kind geboren, können sich die Eltern feinfühlig auf das Verhalten der Kinder einstellen und so wieder eine sichere Bindung weitergeben.

Gabriele Oberlinninger ist Geschäftsführerin des „Frauenhaus Wels“, wirtschaftlicher Bereich.

Hauptamtlich tätig seit 1992 im Frauenhaus Wels.

LITERATUR
Holmes, Jeremy; Dornes, Martin; Wimmer, Andreas: John Bowlby und die Bindungstheorie. Ernst Reinhardt, München, 2. Auflage, 2002

LINKS und Infos
Frauenhaus Wels
Frauenhaus Wels/Schutzeinrichtung
Rablstrasse 14, 4600 Wels

Tel.: 0 72 42/67 851
Fax: 0 72 42/67 851-20
E-Mail: office@frauenhaus-wels.at

Quelle: http://www.gewaltinfo.at/themen/2014_07/vererbte-gewalt.php

 

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