Friedenssprachführer für Jugendliche und andere
Quellen: Thomas Feltes, Vortrag auf dem 3. Brackenheimer Kinder- und Jugendpräventionstag am 19. Mai 2001
Gewalt und Sprache unter Jugendlichen
„An alle Eltern, Bullen und an all die anderen, die uns vielleicht verachten.
Manchmal bist Du ganz alleine inmitten von Tausenden, die sich Freunde nennen.
Liegt es an dem Joint, den Du vorhin geraucht hast?
Oder etwa daran, daß es AUF DER STRASSE eben doch keine richtigen
Freunde gibt? Und überhaupt,AUF DER STRASSE, wie hört sich das denn an?
Ist es so, wie es ist, oder ist alles anders?
Stimmt alles, was über GHETTOSgesagt wird, in Wirklichkeit doch? Aber
Du bist hier groß geworden, hast hier das erste Mal richtig gelebt,
geliebt, gehaßt und geträumt, hast hier Freunde gefunden. …
Was
ist mit den ganzen Gerichtsterminen wegen Überfällen, Autoklau und
versuchten Totschlags? Was empfindest Du, wenn jemand, dem Du
nahestehst, in den Knast muß und trotzdem nicht aufhört, Scheiße zu
bauen? Was willst Du denn tun? Ihn anflehen (unter Tränen), damit
aufzuhören? Doch was nützt es? Du bist einmal drin in der ganzen
Scheiße und kommst nie wieder raus. So sehr Du es auch versuchst. Es
ist schließlich Dein LEBEN; Deine FREUNDE. Willst Du, kannst Du das
alles aufgeben?
Wofür
hoffst Du? An ein Leben ohne das alles? An ein Leben, das gerecht ist,
ohne Geschäfte, Drogen, ohne Blut, Blut auf Deinen Händen, ohne
heimliche Tränen auf Deinem Gesicht? An ein Leben mit wirklichen
FREUNDEN, voller Vertrauen?
An ein Leben, in dem Du eine Chance hast, auch als „Straßenkind“,
„Ghettokind“? An ein Leben ohne den Kampf ums Fressen oder
Gefressenwerden?
dAn ein Leben mit Verständnis? JA!
Aber
Du bist gefangen in all den Vorurteilen Deiner Umwelt. Und Du bist
trotz all der FREUNDEso allein. Nur Du allein kannst es schaffen, den
Absprung. Aber Du hast Angst. Das, all das hier, ist schließlich Dein
LEBEN. …
Warum
ist das alles so? Warum baut man Scheiße? Aggressionen, Haß,
Unzufriedenheit und Unsicherheit. Um auf sich aufmerksam zu machen:
Hallo, hier sind wir! – Habt Ihr uns denn ganz vergessen? Haß auf die
Gesellschaft, die uns verachtet. Aus Trotz, um Macht zu haben. Über
Schwächere,über Bullen, die es so oft nicht schaffen uns abzupacken.
Jeder hat Angst vor uns GHETTOKIDS.
Man fühlt sich stark, sicher, frei und ungebunden.
Doch
dann kommen die Zweifel. Wenn die kleinen Geschwister schon rauchen,
kiffen, saufen, Scheiße bauen. Du denkst: „Es ist Deine Schuld. Du
warst das Vorbild, so cool, unnahbar und unberechenbar.“ Du fühlst Dich
schlecht. Und dann kommen die Sehnsüchte. Nach einer heilen Familie,
nach Liebe und Trost. Doch wo sollst Du Liebe herkriegen, ist ja keiner
da. Nur Deine FREUNDEund DIE STRASSE.
(Das Zitat stammt von einem 17-jährigen (weiblichen) Hamburger „Straßenkind“ und wurde im August 1997 im „Hinz & Kunzt, dem Hamburger Strassenmagazin, veröffentlicht.)
Feltes: „Erlauben
Sie mir nach dieser Einführung eine Vorbemerkung im Sinne
wissenschaftlicher Redlichkeit und Verortbarkeit und um einer auch von
mir vertretenen Kennzeichnungspflicht für Grenzüberschreitungen gerecht
zu werden:
- Die folgenden Anmerkungen mache ich in meiner Rolle als
Wissenschaftler, der sich seit mehr als 30 Jahren mit (abweichenden)
Jugendlichen und seit mehr als 20 Jahren auch wissenschaftlich und
praktisch mit Jugenddelinquenz beschäftigt. - Einen etwaigen Legitimationskredit aus meiner Rolle als Leiter
der Hochschule für Polizei weise ich für dieses Thema ausdrücklich
zurück. - Die Inhalte mit möglichen Fehlern und Unzulänglichkeiten bitte ich ausschließlich mir selbst zuzurechnen“.
Vom
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