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Fried-Symposium Potsdam 2011

Erstellt am 25.12.2011 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 8851 mal gelesen und am 27.12.2011 zuletzt geändert.

IMG_4987Deserteursdenkmal in Potsdam

Christoph Jahr verfasste einen Tagungsbericht über das Gedenksymposium zu Ehren von Alfred. H. Fried am 28. und 29. Oktober 2011 in Potsdam für den Rundbrief des Arbeitskreises Historische Friedensforschung

(Nr. 2/2011, Dezember 2011 S. 13-15, „Organisiert die Welt!“, Berlin).

Ein Bericht von friedennews.at mit Fotos und Links ist längst fällig.

Hier ist er – basierend auf dem Text von Jahr („Zitate):

Unter den gut 100 Friedensnobelpreisträgern seit 1901 gehört Alfred Hermann Fried (1864-1921) nicht zu denen, die einer breiteren Öffentlichkeit heute noch bekannt sind.
Diesem Defizit abzuhelfen war das Ziel eines Symposiums aus Anlass des hundertsten Jahrestages der Verleihung des Nobelpreises an Fried,…

Guido Grünewald (Köln) langjähriges Arbeitskreismitglied des Arbeitskreises Historische Friedensforschung (AKHF) organisierte es umsichtig engagiert und mit der nötigen kritischen Distanz zum verdienstvollen Mann. Spätestens seit dem Film „Wag the Dog“ und nach zwei Weltkriegen und unzählichen anderen Kriegen sollte die Friedensbewegung sich fragen wie sie noch wesentlich effektiver werden könnte, die die weltweiten Militärausgaben dürften auch 2012 trotz Krise wieder steigen wie 2011. Mit Rekordausgaben von 607 Milliarden US Dollar und insgesamt 41,5 Prozent aller Militärausgaben weltweit lassen sich die Amerikaner auch unter Friedensnobelpreisträger Obama kaum vom Thron stoßen.

Die Veranstalter des Friedsymposiums

  • Das International Peace Bureau (IPB) in Zusammenarbeit mit
  • dem AKHF,
  • der Bertha von Suttner-Stiftung der
  • Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK) und

unterstützt von

  • der Ludwig Quidde-Stiftung (in Verwaltung der Deutschen Stiftung Friedensforschung) sowie
  • der Stiftung „Die Schwelle“,

organisierten ein Symposium auf international bemerkenswertem Niveau.

Top-Friedensbewegte im Rathaus Potsdam

Im Rathaus der Stadt Potsdam kamen über sechzig Interessierte

  • aus zahlreichen Kernländern der internationalen Friedensbewegung (UK, D, A, CH, IRL, NOR, SWE, …)
  • aus verschiedenen Bereichen der Friedensforschung und
  • in der Friedensarbeit engagierter Institutionen

zusammen, um sich mit Leben, Werk und Bedeutung Frieds für die Friedensbewegung zu beschäftigen.

Die Referate

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Petra Schönemann-Behrens (Oldenburg)

Sie gab einleitend einen profunden Überblick über den Lebenslauf Frieds, der als

  • Mitgründer der Deutschen Friedensgesellschaft,
  • Verfasser des ersten Handbuchs der Friedensbewegung im deutschsprachigen Raum,
  • Friedensjournalist,
  • Verfasser des ersten deutschen Esperanto-Lehrbuchs,
  • Gründer der bis heute existierenden Zeitschrift „Die Friedens-Warte“,
  • Impulsgeber für verschiedene Strömungen der Friedensbewegung
  • die Entwicklung des modernen Völkerrechts und,
  • als Begründer der ersten in sich geschlossenen Theorie des Pazifismus,

eine zentrale Gestalt in der formativen Phase des modernen Pazifismus war.

Frieds Lebensweg läßt sich in vier Hauptphasen in zwei zentralen Städten und die Jahre im Exil in der Schweiz:

  1. Die ersten knapp 20 Jahre verbrachte er in Wien,
  2. die folgenden 20 Jahre in Berlin,
  3. ab 1903 wieder in Wien bis zu seinem Tod,
  4. abgesehen von fünf Jahren im Berner Exil während des Weltkrieges.

Prägend für Fried war

  • nicht nur seine Herkunft aus einer jüdischen Familie, sondern
  • auch die Tatsache, dass er Autodidakt war, weil ihm die Gymnasialausbildung verwehrt blieb, da er seine in wirtschaftliche Not geratene Familie bereits früh unterstützen musste.

Fast die ganze Zeit seines Lebens lebte er in wirtschaftlich prekären Verhältnissen, was seinem rastlosen pazifistischen Engagement, das durch seinen 1891 einsetzenden Kontakt mit Bertha von Suttner geprägt wurde, jedoch keinen Abbruch tat.

Komprimiertende Einblicke in die Zeitumstände, in denen Fried wirkte

Christoph Jahr (Berlin) betonte,

  • wie stark der „Zeitgeist“ in ganz Europa vom Antisemitismus, vom Militarismus und vom Nationalismus geprägte wurde und
  • welchen grundlegenden Widerständen die Pazifisten dieser Zeit ausgesetzt waren.

Sandi E. Cooper (New York)

Sie arbeitete in ihrem Vortag heraus, dass es trotz dieser ungünstigen Rahmenbedingungen

  • eine „pazifistische Internationale“ gab, an die Fried einerseits anknüpfen konnte und
  • die er andererseits wesentlich prägte und fortentwickelte.

Seit den 1860er Jahren entstanden verstärkt

  • moderne transnationale Institutionen und
  • Netzwerke wie das Internationale Rote Kreuz, der Weltpostverein, die International Law Association oder die Ligue de la Paix et de la Liberté.

Der Gedanke, dass Krieg

  • dem zivilisatorischen (und ökonomischen) „Fortschritt“ entgegenstehe und
  • die europäische Zivilisation (und Herrschaft über weite Teile der Welt) bedrohe,

sei durchaus präsent gewesen, auch wenn der dominante Diskurs noch viel bellizistischer war wie heute.

Nach dem Weltkrieg, den der Pazifismus mangels Befolgung seiner Rezepte durch die Politik nicht hatte verhindern können, entstanden, zahlreiche weitere internationale Friedensorganisationen wie

  • die Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF),
  • die War Resisters’ International (WRI) und
  • die International Fellowship for Reconciliation (IFOR).

Das war noch zu Lebzeiten Frieds wie Cooper darlegte.

Peter van den Dungen (Bradford)

Der in den Niederlanden geborene Experte für Ideengeschichte des Friedens aus England stellte Frieds Pazifismustheorie vor. Trotz wechselnden voran gestellten Begriffen

  • „wissenschaftlicher Pazifismus“,
  • „revolutionärer Pazifismus“,
  • „ursächlicher Pazifismus“

ging Fried von einem in sich konsistenten Entwicklungsmodell aus. Nach Frieds Theorie entwickle sich die menschliche Gesellschaft von

  • einem archaischen, gewalthaften Urzustand
  • durch zunehmende Komplexität, Vernetzung und Organisation
  • zu einem Zustand hin entwickelt, in dem es zwar weiterhin Konflikte zwischen Gesellschaften bzw. Staaten geben würde, diese aber ohne Anwendung kriegerischer Gewalt gelöst werden könnten.

In Auseinandersetzung mit Kants Schrift „Zum Ewigen Frieden“ kam Fried zu dem Schluss, dass das Vertrauen auf Ethik und Moral nicht

  • über einen „utopischen“ oder
  • „amateurhaften“ Pazifismus

hinausführen könne.

Stattdessen ging er von einer der Menschheit inhärenten Tendenz zur Höherentwicklung aus. Die werde durch die neuen Technologien möglich, die eine immer engere Kommunikation zwischen den Menschen im globalen Maßstab befördere. Die würde laut Fried, dazu führen, dass in einer derart „organisierten Welt“ der Krieg wohl nicht völlig verschwinden, aber immer mehr reguliert und eingehegt werde.  Die Voraussetzung dafür sei allerdings

  • nicht Symptome (z.B. Rüstung) zu bekämpfen, sondern
  • die Ursachen, eben den Zustand der Anarchie zwischen den Staaten.

Van den Dungen verwies auch darauf, dess es kein Wunder sei, dass Fried den polnischen Autor und Indusriellen Jan Bloch als „Realpolitiker des Friedens“ feierte.

Für die Friedensbewegung komme es laut Fried darauf an,

  1. diesen Entwicklungsprozess der Menschheit positiv zu fördern und
  2. alles, was ihm entgegenstehe, zu bekämpfen.

Frieds Nähe zum liberalen Fortschrittsoptimismus des 19. Jahrhunderts dürfte laut Auffassung der meisten Anwesenden die größte Schwäche seines theoretischen Konzeptes von Fried sein. Volunataristisch, zweckoptimistisches Denken sei heute zu Recht in der Wissenschaft nicht mehr haltbar. 100 Jahre später ist aber natürlich leicht einen Mann zu kritisieren, der in vielen Punkten mit seinem Fortschrittsglauben erstmals eine scheinbare Self-Fulfilling Formel in Umlauf brachte: „Organisiert die Welt“ – oder die Menschheit wird aufhören.

Walter Göhring (Wien)

Göhrung, der

  • die erste umfangreiche Biografie über Fried 2006 publizierte und
  • heuer ein Buch über Fried im poltischen Kontext der Zeit veröffentliche,

wies auf die enge Verbindung Frieds zur sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Österreich und Deutschland hin. Fried habe die Arbeiterbewegung aber nicht mit seiner Kritik aus pazifister Sicht verschont.  Denn aus seiner Sicht agierte ihre Anhängerschaft nicht ausreichend im Sinne des Pazifismus. Vor allem die Anwendung von Waffengewalt für den Frieden sah er als wenig revolutionär. Der Klassenkampf mit Atombomben scheiterte noch im 21. Jahrhundert in der Sowjetunion. Weites wie Göhrung darauf hin wie Fried seine Aktivitäten in Freimaurerlogen und deren grenzüberschreitende Kommunikationskanäle er für seine Arbeit nutzte. Die von Göhring gezogene Kontinuitätslinie von Fried über – unter anderem – Winston Churchill zur EWG-Gründung bis hin zur heutigen Europäischen Union wurde im Publikum kontrovers aufgenommen. Göhrings Vortrag beendete den ersten Tag des Symposiums.

Alfred H. Frieds Wirkungen – zweiter Tag des Gedenksymposiums

Welche Wirkungen hatte Frieds Denken mittel- und langfristig?

AHF Aus der Mappe eines Friedensjournalisten.jpg

Andreas H. Landl (Wien)

Er betonte die Bedeutung Frieds für die Begründung des Friedensjournalismus als Profession. Er wies darauf hin das Fried 1902 das Erste Buch zum Friedensjournalismus publizierte und dass es Friedensjournalismus heute stets um

  • konkrete Konfliktlösungen und
  • die Humanisierung aller Seiten gehen müsse.

Untermauert wurden diese Thesen mit zahlreichen Beispielen

  • aus Frieds Lebenszeit (Libyenkrieg 1911) und
  • aus der Gegenwart (Libyenkrieg 2011, etc.)
  • eine kritische Auseinandersetzung mit Mahatma Gandhi und
  • insbesondere mit Johan Galtung.

Klaus Schlichtmann (Tokio)

Er vertrat

  1. die These, dass Frieds völkerrechtliches Konzept eines Übergangs vom anarchischen zu einem nach Rechtsprinzipien geordneten internationalen System nach 1945 in die UNO-Charta eingeflossen sei.
  2. argumentierte er, dass die praktische Umsetzung dieses Konzepts durch die Haager Friedenskonferenzen über den Völkerbund der Zwischenkriegszeit bis hin zu den Vereinten Nationen nach 1945 hauptsächlich von den Westmächten verfolgt und Frieds völkerrechtliche Vorstellungen insbesondere in den USA rezipiert wurden.

Laurie Cohen (Innsbruck)

Sie  beleuchtete die Strahlkraft Frieds auf die internationale Frauenfriedensbewegung.  Anhand seiner Beziehungen zu

  • Bertha von Suttner,
  • Helene Stöcker,
  • Jane Addams und
  • Olga Misar.

Cohen vertrat dabei die These, dass für Fried die Emanzipation der Frauen ein Teil der „Zivilisierung“ der Menschheit gewesen sei und insofern unmittelbar zur Entwicklung einer zukünftigen Weltfriedensordnung beitragen würde.

Dieter Riesenberger (Paderborn)

Wie Riesenberger ausführte, blieb Fried seinen Überzeugungen auch im Weltkrieg treu. Selbst nachdem im er Ende September 1914 ins Schweizer Exil flüchten musste um seiner Verhaftung in Wien zu entgehen, wo er bis Ende Juli den ersten Weltfriedenskongress vorbereitet hatte.

So scharf er die Verantwortung des Deutschen Kaiserreichs für die Entfesselung des Krieges verurteilte und eine grundlegende Demokratisierung von Staat und Gesellschaft als wichtige Voraussetzung für die Errichtung einer dauerhaften Friedensordnung ansah, so sehr warnte er auch die Ententemächte davor, ihrerseits einen Siegfrieden um jeden Preis anzustreben.

Ulrich Schneckener (Osnabrück)

Schneckener  – der vom erkrankten Dieter Senghaas als Ersatzmann empfohlen wurde – widmete sich der Frage:

Was uns Frieds Pazifismus im gerade begonnenen 21. Jahrhundert noch zu sagen habe?

Frieds Ansatz, danach zu fragen,

  • wie die Welt „organisiert“ sein müsse, um eine dauerhafte Friedensordnung zu schaffen, die mehr als ein bloßer Waffenstillstand sei, bleibe auf der Tagesordnung, auch
  • wenn sie sich heute anders als vor 100 Jahren stelle und um einige Punkte ergänzt werden müsse.

Denn lediglich auf den „Überbau“ (d. h. „Weltorganisationen“ wie die UNO) zu setzen, werde nicht genügen, die vielfältig miteinander verschränkten Probleme einer globalen Friedensordnung im 21. Jahrhundert zu lösen.

Stärker, als Fried das in seiner Zeit gesehen hat, muss auch der staatliche und gesellschaftliche „Unterbau“ in den Blick genommen werden.

Langfristigen Erfolg verspreche eine globale Ordnungspolitik, so Schneckener.  Erst, wenn es den „alten“ (westlichen) und „neuen“ (vor allem asiatischen) Mächten gelinge, eine gemeinsame Politik im Umgang mit Armuts- und Krisenregionen sowie dem damit eng verbunden Problem fragiler Staatlichkeit zu entwickeln könne sie gelingen.

Auch wenn nicht alle Gedankengänge Frieds heute noch überzeugen können:

seine visionäre Kraft und die Konsequenz seines friedenspolitischen Engagements sind bis heute vorbildlich.

Dies wurde beeindruckender Vielfalt vom Standpunkt kritischer Empathie heraus aufgezeigt.

Ein sehr verdienstvolles Symposium!

Publikation

2012 ist eine Publikation der Tagungsergebnisse geplant.

Links

 

 

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