Tourismus und Frieden – Balanceakte im Spannungsfeld geopolitischer Einflüsse
Die Ereignisse rund um die Wahl in Georgien, bei der prorussische Einflüsse eine spürbare Rolle spielten, werfen Licht auf die Rolle des Tourismus als potenzielles Friedensinstrument. Georgien hat am 27. September den alljährlichen Welttourismustag 2024 in Tiflis ausgerichtet. Er hatte das Motto „Tourismus und Frieden“. Georgien befindet sich an einer Schnittstelle zwischen West und Ost und ist ein Schauplatz geostrategischer Spannungen. Gerade im Kontext dieser Herausforderungen zeigt sich, wie Tourismus in Regionen, die Konflikten ausgesetzt sind, zu einem Mittel der Verständigung und Konfliktprävention beitragen kann – wenn auch unter schwierigen Bedingungen.
Georgiens Wahl und die russische und westliche Einflussnahme
Im Wahlprozess hat sich Georgiens Abhängigkeit von externer Stabilität und Frieden erneut gezeigt. Während der Wahlprozess von russischer Seite beeinflusst wurde und laut Medienberichten Versuche bestanden, die Wahl mit einer „Spezialoperation“ zu stören, gewann der russlandfreundliche Premierminister mit deutlicher Mehrheit. Georgiens Staatspräsidentin kritisierte den Wahlausgang und stellte fest, dass der russische Einfluss auf den Wahlausgang bedenklich sei und eine Gefahr für die Demokratie darstelle. Auch die OSZE-Beobachter wiesen auf Unregelmäßigkeiten im Wahlverlauf hin und bemängelten die Transparenz der Abstimmungen.
Diese Entwicklungen unterstreichen das Spannungsfeld, in dem sich das Land bewegt, und stellen die Frage, wie stabil eine Tourismuswirtschaft sein kann, wenn die geopolitischen Spannungen solche Dimensionen erreichen.
Post-Konfliktives Georgien
Georgien gilt als „postkonfliktiv“, weil das Land seit dem Zerfall der Sowjetunion von mehreren militärischen und politischen Konflikten betroffen war, insbesondere mit Russland.
1. Abchasien und Südossetien-Konflikte: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 erklärten die Regionen Abchasien und Südossetien ihre Unabhängigkeit von Georgien, was zu bewaffneten Konflikten führte. Diese Regionen haben seitdem eine weitgehende Autonomie, wurden jedoch international nur von wenigen Staaten (darunter Russland) als unabhängig anerkannt. Georgien betrachtet sie weiterhin als Teil seines Territoriums, und die Beziehungen zu diesen Gebieten bleiben gespannt.
2. Der Krieg mit Russland 2008: Ein bedeutender Wendepunkt war der kurze, aber intensive Krieg mit Russland im August 2008, der auf einen Streit um Südossetien zurückzuführen ist. Russische Truppen intervenierten in Südossetien und Abchasien, was zu einer Eskalation führte. Als Ergebnis des Krieges stationierte Russland dauerhaft Truppen in beiden Regionen und erkannte deren Unabhängigkeit offiziell an. Dies führte zu einer dauerhaften, oft angespannten Beziehung zwischen Georgien und Russland.
3. Fortgesetzte politische Spannungen: Der Einfluss Russlands in Georgien bleibt ein umstrittenes Thema, insbesondere angesichts der geopolitischen Ausrichtung Georgiens, das seit Jahren eine engere Bindung an die NATO und die Europäische Union anstrebt. Russland sieht dies als Bedrohung für seine Interessen im Kaukasus, was gelegentlich zu politischen und wirtschaftlichen Spannungen führt. Internationale Organisationen wie die OSZE beobachten regelmäßig Spannungen und Konfliktlinien entlang der administrativen Grenzen zu den abtrünnigen Regionen, was die fragile Sicherheitssituation in der Region widerspiegelt.
Insgesamt ist Georgien ein Beispiel für eine postkonfliktive Region, da es ständig darum bemüht ist, Stabilität und Frieden zu wahren, während ungelöste Konflikte und geopolitische Spannungen im Hintergrund bestehen bleiben.
Tourismus als Friedensinstrument: Lehren aus dem „International Handbook on Tourism and Peace“
Das „International Handbook on Tourism and Peace“ (2013) bietet wertvolle Perspektiven, wie Tourismus in Regionen mit Konfliktpotenzial als Friedensmittel eingesetzt werden kann. Das Handbuch, unterstützt durch die UNWTO und Österreich, konzentriert sich auf das Potenzial des Tourismus in der Konfliktprävention und Versöhnung und gibt Empfehlungen, wie diese Branche auch in Regionen wie Georgien friedensfördernd wirken könnte. Der Fokus liegt dabei auf der Förderung von kulturellem Austausch und wirtschaftlicher Stabilität, die sich als tragende Säulen eines „friedenssensiblen“ Tourismus bewährt haben.
Frieden und Tourismus in einem Spannungsfeld
Um den Tourismus als stabilisierenden Faktor zu nutzen, sind jedoch mehrere Voraussetzungen notwendig. Das Handbuch betont, dass Friedensprojekte im Tourismus besonders durch
- die Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften und
- die Förderung von Dialogstrukturen gestärkt werden können.
In post-konfliktiven oder konfliktbelasteten Regionen wie Georgien ist es essentiell, den Tourismus nachhaltig zu gestalten und auf die lokale Bevölkerung auszurichten, um Konflikte zu entschärfen und zu verhindern, dass der Tourismus zu einem Instrument externer Interessen wird.
Die Rolle Georgiens und die Bedeutung internationaler Kooperation
Als Gastgeber des Welttourismustages 2024 hat Georgien die Chance, ein Symbol für die friedensfördernde Rolle des Tourismus zu werden aufgegriffen. Auch wenn die politische Lage eine Herausforderung darstellt, könnte die Branche durch gezielte Friedensprojekte und die Schaffung kultureller Austauschmöglichkeiten zu einem stabilisierenden Faktor werden. Die Verknüpfung von Tourismuseinnahmen mit sozialen Projekten und die Einbeziehung von Gemeinden vor Ort stärken das Vertrauen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Ein stärkerer Fokus auf internationale Kooperation, wie ihn das „Handbook on Tourism and Peace“ empfiehlt, könnte Georgien und ähnliche Regionen unterstützen, die Vorteile des Tourismus besser für den inneren Frieden zu nutzen. Gerade in Zeiten geopolitischer Spannungen kann diese Perspektive langfristig den Weg für mehr Stabilität und Verständigung ebnen.
Links zu Frieden und Tourismus
https://www.unwto.org/world-tourism-day-2024
https://www.unwto.org/news/world-tourism-day-2024-a-global-message-of-tourism-for-peace
Posted in Friedensarbeit, Friedenskultur, Friedenspädagogik, Friedenspolitik, Friedensstruktur, Friedenstourismus, Gewaltprävention, Global, Russland, Südosteuropa, Tipp, Unfrieden, Wirtschaft