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Katastrophen und Atomwaffen

Erstellt am 19.08.2024 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 4198 mal gelesen und am 19.08.2024 zuletzt geändert.

Am 1. September ist wie jedes Jahr der Anti-Kriegstag.
Warum sollte uns der jucken?

Warum wurde der 1. September berühmt berüchtigt?

Medien-Professor und Aktionskünstler und bis zum letzten Atemzug Friedensaktivist Peter Weibl sang schon vor 40 Jahren:

„Die schönsten Strophen sind die Katastrophen“.

Im Februar 2023 war Weibel Erstunterzeichner einer von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Petition an Olaf Scholz. Das „Manifest für Frieden“ ruft zu Diplomatie und Verhandlungen und gegen weitere „eskalierende Waffenlieferungen“ an die Ukraine im Zuge des russischen Überfalls auf.

  • Am 1. März 2023 starb der am 5. März 1944 in Odessa geborene Weibel in Karlsruhe.
  • Am 2. April 1944 verlangte Hitler erneut und ausdrücklich das unbedingte Halten der nun erreichten Front im Osten. Der Vorschlag des Rückzugs in die kürzeste Linie zwischen Riga und Odessa von Hitler abgelehnt.  
  • Am 15. März 2024 starben in Odessa 20 Menschen in Folge eines russischen Raketenangriffs.

Ich habe im Juli in der UNO mit dem Mann von Helga Kromp-Kolb gesprochen, über unabsichtliche Weltkrieg mit Atomwaffen. Sie sind ja derzeit so wahrscheinlich wie noch nie.

Fukushima und Tschernobyl, Harrisburg, … waren ja AKW-Katastrophen die laut Atomlobby ja nie auftreten würden – höchstens einmal in Hunderttausend Jahren. Ich bekam dann den Tipp zu einem Buch von Charles Perrow, Normale Katastrophen, Campus Verlag 1987 – kurz nach Tschernobyl. Er sei ein heute noch lesenswerter Klassiker dazu. Die Folgekosten von Tschernobyl werden uns ja noch 24000 Jahre beschäftigen. Laut International Agency for Research on Cancer (IARC). Die IARC schätzte, dass die weltweite Zahl der Krebsfälle infolge der Tschernobyl-Katastrophe etwa 16.000 Fälle betragen könnte, wobei etwa 25.000 Krebstote als Folge der Strahlenexposition erwartet werden könnten. 9/11 ist im Vergleich dazu eine kleine, kurze Panne der Menschheit gewesen. Wenn Islamisten das jüngste Gericht herbeiführen wollen oder eine KI einen Vogelschwarm falsch interpretiert, dann werden die Effekte erheblich krasser aussehen:

Ein Atomwaffen-GAU wäre eine der katastrophalsten Ereignisse, die sich vorstellen lassen. Die unmittelbaren und langfristigen Folgen für Menschen, Umwelt und Gesellschaft wären enorm und möglicherweise apokalyptisch. Ein solcher Vorfall würde nicht nur die betroffene Region, sondern die gesamte Welt erschüttern und könnte das Überleben der Menschheit auf die Probe stellen.

Die direkte als auch sekundäre Strahlenexposition, einschließlich der Verbreitung von radioaktivem Material am Globus wäre der wohl schlimmste menschgemachte Alptraum. Wer also in Zukunft Schilddrüsenkrebs oder Leukämie, et. bekommt kann sich bei der USA und der Sowjetunion und seinen Nachfolgern in Moskau bedanken. Natürlich gilt das auch für die Atomwaffentests von den USA 1945 bis Nordkorea 2017 oder Fukushima in Japan.

Kommen wir aber wieder zu Perrow. Charles Perrow, ein renommierter amerikanischer Soziologe, ist vor allem bekannt für sein Buch „Normal Accidents: Living with High-Risk Technologies“ (auf Deutsch „Normale Katastrophen: Die unvermeidlichen Risiken der Großtechnik“), das 1984 erstmals veröffentlicht wurde. In diesem Werk untersucht Perrow das Phänomen von Unfällen in komplexen technischen Systemen und argumentiert, dass solche Unfälle in bestimmten Systemen unvermeidlich sind, weil sie aufgrund ihrer Komplexität und engen Kopplung (Interdependenz) inhärente Risiken bergen.

Kernthesen des Buches gelten wohl alle auch für den Umgang mit Atomwaffen:

  1. Unvermeidlichkeit von Unfällen: Perrow stellt die These auf, dass in hochkomplexen und eng gekoppelten Systemen – wie Kernkraftwerken, Chemiefabriken oder großen Transportsystemen – Unfälle unvermeidlich sind, auch wenn sie selten auftreten. Diese Systeme sind so komplex, dass es unmöglich ist, alle potenziellen Fehlermöglichkeiten vorherzusehen und zu verhindern.
  2. Komplexität und enge Kopplung: Komplexität bezieht sich auf die Vielzahl und Vielschichtigkeit von Komponenten und Prozessen in einem System, die oft auf unvorhersehbare Weise miteinander interagieren. Enge Kopplung bedeutet, dass die Teile eines Systems stark voneinander abhängig sind, sodass eine Störung in einem Teil schnell und unkontrolliert Auswirkungen auf andere Teile haben kann.
  3. Organisatorische Versagen: Perrow argumentiert, dass es nicht nur technische, sondern auch organisatorische und menschliche Faktoren gibt, die zu Katastrophen führen können. Fehler in der Kommunikation, mangelhafte Sicherheitskultur oder unzureichende Ausbildung der Mitarbeiter können dazu beitragen, dass aus kleinen Problemen große Katastrophen werden.
  4. „Normale“ Katastrophen: Der Begriff „normale Katastrophen“ bezeichnet die Idee, dass in bestimmten technischen Systemen Unfälle sozusagen systemimmanent sind. Sie sind eine normale, wenn auch tragische Folge der Komplexität und engen Kopplung dieser Systeme.

Relevanz des Buches:

„Normale Katastrophen“ hat weitreichende Implikationen für das Verständnis und das Management von Risiken in modernen Gesellschaften. Perrows Arbeit hat Diskussionen über die Sicherheit von Großtechnologien und die Notwendigkeit einer kritischen Bewertung der gesellschaftlichen Abhängigkeit von solchen Technologien angestoßen. Insbesondere nach Unfällen wie dem Reaktorunfall in Tschernobyl oder der Fukushima-Katastrophe ist das Buch von großer Aktualität.

Campus Verlag: Die deutsche Ausgabe des Buches ist im Campus Verlag erschienen, der sich auf anspruchsvolle wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Literatur spezialisiert hat.

Perrows Werk bleibt ein Schlüsseltext für das Verständnis von Risiken und Sicherheitskulturen in unserer hochtechnologisierten Welt.

Was gibt es an aktueller ähnlicher Literatur?

Es gibt eine Reihe aktueller Bücher, die sich mit ähnlichen Themen wie Charles Perrows „Normale Katastrophen“ befassen, insbesondere mit den Risiken und Herausforderungen, die durch komplexe technologische Systeme entstehen. Hier sind einige Beispiele:

  1. „Blackout: Morgen ist es zu spät“ von Marc Elsberg (2012)
    Obwohl es sich um einen Thriller handelt, behandelt dieses Buch die Risiken und Folgen eines großflächigen Stromausfalls in Europa und zeigt auf erschreckend realistische Weise, wie verletzlich moderne Gesellschaften gegenüber solchen Ereignissen sind.
  2. „The Black Swan: The Impact of the Highly Improbable“ von Nassim Nicholas Taleb (2007)
    Talebs Werk konzentriert sich auf das Phänomen von unvorhersehbaren, aber extrem folgenschweren Ereignissen („Schwarze Schwäne“) und wie sie in komplexen Systemen entstehen. Obwohl der Schwerpunkt eher auf Finanzmärkten und sozialen Systemen liegt, sind die zugrundeliegenden Konzepte auch für das Verständnis technologischer Risiken relevant.
  3. „Risk Society: Towards a New Modernity“ von Ulrich Beck (1986, deutsche Ausgabe: „Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne“) Ulrich Beck untersucht in diesem Klassiker, wie moderne Gesellschaften mit Risiken und Unsicherheiten umgehen, die durch den technischen Fortschritt entstehen. Das Buch ist grundlegend für das Verständnis der sozialen Dimension von Risiken.
  4. „The Fifth Risk“ von Michael Lewis (2018)
    In diesem Buch untersucht Michael Lewis die Risiken, die durch die Misswirtschaft und das Versagen von Regierungsinstitutionen in den USA entstehen, insbesondere im Zusammenhang mit technologischem Fortschritt und Krisenmanagement. Es wirft ein Licht auf die oft unsichtbare, aber kritische Rolle von staatlichen Institutionen im Risikomanagement.
  5. „Deep Water: The Gulf Oil Disaster and the Future of Offshore Drilling“ von National Commission on the BP Deepwater Horizon Oil Spill and Offshore Drilling (2011) Dieses Buch ist ein Bericht über die Ursachen und Folgen der BP-Ölkatastrophe im Golf von Mexiko. Es analysiert die technischen, organisatorischen und regulatorischen Fehler, die zu einem der schlimmsten Umweltunfälle der Geschichte führten.
  6. „Collapse: How Societies Choose to Fail or Succeed“ von Jared Diamond (2005, deutsche Ausgabe: „Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“) Jared Diamond untersucht, wie komplexe Gesellschaften in der Vergangenheit durch Umweltzerstörung, Klimawandel und falsche Entscheidungen kollabiert sind, und zieht Parallelen zu modernen Risiken.
  7. „The Glass Cage: Automation and Us“ von Nicholas Carr (2014, deutsche Ausgabe: „Abgehängt: Wo Automatisierung uns alle betrifft“) Carrs Buch beschäftigt sich mit den Risiken und gesellschaftlichen Auswirkungen der Automatisierung, insbesondere in Bezug auf menschliche Fähigkeiten, Arbeit und die Sicherheit komplexer Systeme.

Diese Bücher bieten unterschiedliche Perspektiven auf das Thema Risiko, von theoretischen Überlegungen über historische Analysen bis hin zu aktuellen Fällen. Sie ergänzen Perrows Werk und bieten vertiefende Einsichten in die Herausforderungen unserer technologisierten Welt.

Wer hat zu ungeplanten Katastrophen von Atomwaffen gearbeitet seit 1945 mit besonderem Schwerpunkt seit 2000?

Seit 1945 und insbesondere seit 2000 haben mehrere Wissenschaftler, Journalisten und Organisationen intensiv zu den Risiken und potenziellen Katastrophen im Zusammenhang mit Atomwaffen gearbeitet. Hier sind einige der wichtigsten Akteure und ihre Beiträge:

1. Eric Schlosser

2. Scott D. Sagan

  • Buch: „The Limits of Safety: Organizations, Accidents, and Nuclear Weapons“ (1993)
  • Inhalt: Scott Sagan analysiert die institutionellen und organisatorischen Schwächen, die das Risiko von Unfällen mit Atomwaffen erhöhen. Obwohl das Buch 1993 veröffentlicht wurde, bleibt es ein Standardwerk und wird auch heute noch häufig zitiert, um die anhaltenden Risiken und Herausforderungen bei der Verwaltung von Atomwaffen zu verstehen.
  • Artikel und Aufsätze seit 2000: Sagan hat weiterhin zahlreiche Artikel über nukleare Sicherheit und die Risiken von Atomwaffen veröffentlicht, die aktuelle politische und technologische Entwicklungen berücksichtigen.

3. Bruce G. Blair

  • Fokus: Bruce Blair, ein ehemaliger Startoffizier und Experte für nukleare Sicherheit, hat sich intensiv mit den Risiken von Atomwaffenunfällen und Fehlstarts beschäftigt.
  • Organisation: Blair gründete das „Global Zero“ Projekt, eine internationale Bewegung, die sich für die Abschaffung von Atomwaffen einsetzt.
  • Beiträge: Er hat zahlreiche Artikel und Berichte veröffentlicht, die die Risiken von Fehlalarmen, technischen Fehlern und menschlichem Versagen im Umgang mit Atomwaffen beleuchten.

4. William J. Perry

  • Buch: „My Journey at the Nuclear Brink“ (2015)
  • Inhalt: William Perry, ehemaliger US-Verteidigungsminister, beschreibt in seinen Memoiren die Gefahren, die von Atomwaffen ausgehen, und plädiert für eine drastische Reduzierung der nuklearen Arsenale. Er hat nach seiner Zeit im Amt weiterhin intensiv vor den Risiken unkontrollierter nuklearer Eskalation gewarnt.

5. The Bulletin of the Atomic Scientists

  • Fokus: Das Bulletin, das seit 1945 veröffentlicht wird, bietet laufend Berichterstattung und Analysen zu nuklearen Risiken, einschließlich ungeplanter Katastrophen und der Bedrohung durch nukleare Konflikte.
  • Doomsday Clock: Die berühmte „Doomsday Clock“, die das Bulletin betreibt, dient als Symbol für die Nähe der Menschheit zu einer globalen Katastrophe, einschließlich nuklearer Unfälle.

6. Chatham House (The Royal Institute of International Affairs)

7. John E. Lewis

  • Fokus: John E. Lewis ist Experte für nukleare Sicherheit und hat sich auf das Risiko nuklearer Katastrophen durch menschliches Versagen und technische Fehler konzentriert.
  • Beitrag: Er hat zahlreiche Studien und Berichte veröffentlicht, die auf die Gefahren nuklearer Unfälle in modernen Arsenalen hinweisen.

Diese Forscher und Institutionen haben wesentlich dazu beigetragen, das Verständnis der Risiken von Atomwaffen zu vertiefen und die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit verstärkter Sicherheitsmaßnahmen zu lenken. Ihre Arbeiten sind von besonderer Bedeutung angesichts der fortwährenden Bedrohung durch Atomwaffen in einer geopolitisch angespannten Welt.

 

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