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Friedlicher Protest wird in Europa unterdrückt

Erstellt am 09.07.2024 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 2748 mal gelesen und am 08.07.2024 zuletzt geändert.

„Das Recht zu protestieren droht in Europa durch tausende Maßnahmen schrittweise abgeschafft zu werden. Menschen, die auf die Straße gehen, sehen sich einer Lawine von zunehmend repressiven Einschränkungen, strafrechtlichen Sanktionen, staatlicher Gewalt, Diskriminierung und allgegenwärtiger Überwachung gegenüber“

Shoura Zehetner-Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

Europa „die Wiege der Menschenrechte“ steht hier in Frankreich? Friedlicher Protest werde jedoch laut einer Presseaussendung von Amnesty „systematisch eingeschränkt und unterdrückt“. Ein aktueller Bericht von Amnesty International zeige auf, dass das Recht, sich friedlich zu versammeln, in ganz Europa eingeschränkt werde.

„Friedliche Demonstrationen werden zunehmend stigmatisiert, kriminalisiert und unterdrückt, indem die Behörden ungerechtfertigt Einschränkungen verhängen und Strafmassnahmen gegen Demonstrantinnen einleiten.“ 

Amnesty International Österreich – Presseaussendung

Auch Österreich steht unter Kritik“

  • Straflosigkeit bei Polizeigewalt
  • kriminalisierende Narrative und
  • Ethnic Profiling

bedrohen das Recht auf Versammlungsfreiheit, so Amnesty.

Bericht Under-protected and Over-Restricted

The state of the right to protest in 21 countries in Europe“ dokumentiere „ein Muster repressiver Gesetze, übermäßiger Gewaltanwendung, willkürlicher Festnahmen und strafrechtlicher Verfolgung sowie ungerechtfertigter oder diskriminierender Einschränkungen deutlich, das sich über den gesamten Kontinent erstreckt.“

Ebenfalls klar erkennbar sei: „der zunehmende Einsatz invasiver Überwachungstechnologien, was zu einer systematischen Einschränkung des Demonstrationsrechts führt“. 

„Die Recherchen von Amnesty International zeichnen ein zutiefst beunruhigendes Bild eines europaweiten Angriffs auf das Recht auf Protest“

Shoura Zehetner-Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

„Das Recht zu protestieren droht in Europa durch tausende Maßnahmen schrittweise abgeschafft zu werden. Menschen, die auf die Straße gehen, sehen sich einer Lawine von zunehmend repressiven Einschränkungen, strafrechtlichen Sanktionen, staatlicher Gewalt, Diskriminierung und allgegenwärtiger Überwachung gegenüber.“ 

Wirksame Untersuchung von Polizeigewalt:

Individuelle Kennzeichnung von Polizistinnen müsse Pflicht werden. Auch Österreich gehört zu den insgesamt 21 Ländern, die von Amnesty International untersucht wurden. Es komme nicht gut weg, so die Presse-Aussendung von Amnesty.

„Besonders die Tatsache, dass beschuldigte Polizeibeamtinnen hierzulande die längste Zeit straflos blieben, wird kritisiert.“

Österreich nicht allein in der Kritik

Auch zahlreiche andere Staaten, u.a. Belgien, Frankreich, Griechenland, Deutschland, Italien, Portugal, Spanien, die Schweiz und das Vereinigte Königreich würden es mit der Rechenschaftspflicht der Polizei nicht so genau nehmen, so der Bericht.

„Bei Versammlungen kommt es oft zu ungerechtfertigter Gewaltanwendung durch die Polizei – und hier herrschte in Österreich in den letzten Jahren ein Klima der Straflosigkeit“„Missbrauchsvorwürfe gegen Polizeibeamtinnen führten in der Vergangenheit fast nie zu einer Anklage und Verfahren wurden meist eingestellt.“

Charlotte Deiss, Juristin bei Amnesty International Österreich und u.a. zuständig für den Bereich Versammlungsfreiheit

Deiss kritisiere auch die Tatsache, dass in Österreich mit Gegenklagen durch die Polizei geantwortet wurde. 

„Seit heuer gibt es nun endlich die Ermittlungs- und Beschwerdestelle und das war ein erster wichtiger Schritt, um Missbrauchsvorwürfe gegen die Polizei zu untersuchen. Dem muss aber unbedingt die gesetzliche Verankerung der Kennzeichnungspflicht von Polizistinnen folgen, sonst laufen Untersuchungen erst recht wieder ins Leere“, betont Deiss.

Nehammers Österreich gehört neben Melonis Italien, Zwergstaat Luxemburg, Wilders Niederlanden und Spezialdemokratie Serbien zu den fünf von 21 untersuchten Staaten, in denen Polizistinnen keine individuelle Kennzeichnung tragen müssen. 

Kriminalisierung von Protesten:

Das beunruhigende Narrativ der Politik, dass Protest in ganz Europa bewusst eingeschränkt werde, lasse sich auch aus vielen Wortmeldungen politisch Verantwortlicher ablesen.

„Das in dem Bericht aufgezeigte toxische Umfeld, das eine ernsthafte Bedrohung für friedliche Proteste darstellt, wird maßgeblich von einem Narrativ geprägt, das von der Politik verbreitet wird und das Protestierende als Kriminelle darstellt und repressive Maßnahme rechtfertigen soll“,

Shoura Hashemi

Europaweit würden Demonstrantinnen als „Terroristinnen“, „Kriminelle“, „ausländische Agentinnen“, „Anarchistinnen“ und „Extremistinnen“ bezeichnet. Friedliche Akte des zivilen Ungehorsams würden zunehmend als Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit dargestellt. Dies liefere den Behörden einen Vorwand liefert, um Beschränkungen zu verhängen und internationale Menschenrechtsverpflichtungen zu umgehen. 

Dazu gehören

  • unnötige Platzverweise durch die Polizei,
  • übermäßige Gewaltanwendung,
  • Festnahmen auf der Grundlage rechtlich unklarer Gesetze,
  • Anklagen und Sanktionen, die auch Gefängnisstrafen umfassen. 

In Deutschland, Italien, Spanien und der Türkei würden Klimaaktivist*innen auch mit terrorismusbezogenen Bestimmungen und Gesetzen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und zum Schutz der nationalen Sicherheit ins Visier genommen.

In Österreich wurden Klimaaktivistinnen unter anderen wegen dem Straftatbestand „schwere gemeinschaftliche Gewalt“ angezeigt, so Amnesty. Das Verfahren sei letztlich aber eingestellt worden. 

Charlotte Deiss – Amnesty:

„Wir fordern dringend ein Ende dieser Kriminalisierung von Protest. Die Politik muss anerkennen, dass friedliche Proteste und Handlungen des zivilen Ungehorsams durch die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit geschützt sind – und legitime Akte einer lebendigen Demokratie sind“

Das bedeute, so die Juristin, dass Akte des zivilen Ungehorsams nicht härter bestraft werden dürften als andere, die ähnliche Handlungen begehen, ohne damit eine politische oder andere Meinung zum Ausdruck bringen zu wollen. Das Strafrecht dürfe nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn keine weniger einschneidenden Maßnahmen zur Verfügung stehen, um ein legitimes öffentliches Interesse zu schützen. Unrechtmäßige Anwendung von Gewalt, Überwachung und restriktive Verwaltungsvorschriften Beunruhigend sei auch die europaweite Zunahme von übermäßiger und/oder unnötiger Gewaltanwendung durch die Polizei gegen friedliche Demonstrierende, einschließlich des Einsatzes von weniger tödlichen Waffen.

„Auch in Österreich kommt es regelmäßig zu – wohlgemerkt rechtswidrigen – Auflösungen friedlicher Proteste, und zwar oft unter Anwendung übermäßiger und unnötiger Gewalt“,

Deiss, Amnesty International

Folter oder andere Misshandlungen in Europa

In einigen europäischen Ländern käme die Anwendung von Gewalt laut Amnesty der Folter oder anderen Misshandlungen gleich.

In Belgien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Polen, Slowenien, Serbien und der Schweiz wurde von den Strafverfolgungsbehörden exzessive Gewalt gegen Minderjährige angewandt.

Charlotte Deiss betonte auch, dass:

„Eindämmungsmaßnahmen, wie etwa Einkesseln oder anderweitig abriegeln, nur eingesetzt werden sollen, wenn sie unbedingt erforderlich sind, um gewalttätige Demonstrantinnen zu isolieren.“ 

Auch der zunehmende Einsatz neuer Technologien und Überwachungsinstrumente durch viele europäische Staaten, darunter auch Österreich, um Demonstrierende gezielt und in großem Umfang zu kontrollieren, wird in dem Amnesty-Bericht scharf kritisiert.

Zu diesen Maßnahmen gehören

  • Gesichtserkennungstechnologien,
  • das Tracking und
  • die Überwachung von Aktivitäten sowie
  • die Erfassung, Analyse und Speicherung von Daten.

Dazu Charlotte Deiss: „Der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologien zur Identifizierung von Demonstrierenden kommt einer willkürlichen Massenüberwachung gleich und könne kein verhältnismäßiger Eingriff in die Rechte auf

  • Privatsphäre
  • freie Meinungsäußerung
  • Vereinigungsfreiheit und
  • friedliche Versammlung sein.

Amnesty International fordere daher ein grundsätzliches Verbot solcher Überwachungstechnologien. Vielerorts würden auch restriktive Verwaltungsvorschriften genützt, um Protestaktionen zu erschweren oder zu verbieten.

Wird die Demonstration im Voraus nicht rechtzeitig angemeldet bzw. eine Genehmigung eingeholt, wird die Versammlung als „rechtswidrig“ eingestuft und ihre Auflösung angeordnet.

Die Verwaltungsübertretung wird genutzt:

  • die Beteiligten festzunehmen und
  • strafrechtliche Sanktionen gegen Organisatorinnen und Teilnehmerinnen zu verhängen.

Deiss erklärt dazu die Rechtslage: „Verwaltungsvorschriften dürfen nicht dazu verwendet werden, Versammlungen als rechtswidrig einzustufen und zu unterbinden“.

Für Österreich fordert Amnesty International:

  • „eine ausdrückliche Ausnahme der Anzeigepflicht bei spontanen Versammlungen“. 
  • Maßnahmen gegen Ethnic Profiling

Angst und Schrecken vor Teilnahme an politischen Versammlungen

  • Die in dem Bericht festgestellten
  • willkürlichen Massenüberwachungen
  • strengen polizeilichen Maßnahmen
  • übermäßigen Auflagen und
  • die Gefahr strafrechtlicher Sanktionen

schaffen Angst und schrecken von der Teilnahme an Versammlungen ab.

Dieser „Abschreckungseffekt“ wirke sich laut Amnesty „unverhältnismäßig stark auf von Rassismus betroffene Menschen und marginalisierte Gruppen aus, die ohnehin einem höheren Risiko von Gewalt, Ungleichbehandlung, rassistischer und anderer Diskriminierung durch staatliche Stellen ausgesetzt sind“.

Zusätzlich scheinen viele Länder in diskriminierender Weise zwischen verschiedenen Protestbewegungen, Gruppen und Anliegen zu unterscheiden. So wurden etwa in

Deutschland die geplanten Demonstrationen zum Gedenken an die palästinensische Nakba in Berlin in den Jahren 2022 und 2023 aufgrund von diskriminierenden Stereotypen über die zu erwartenden Teilnehmerinnen, die von der Polizei als „gewaltbereit“ bezeichnet wurden, vorsorglich verboten. 

In Österreich sind Menschen, die Rassismus erleben, im Rahmen von Versammlungen Diskriminierungen betroffen, u.a. von Polizeigewalt und ethnic profiling.

„Davon spricht man, wenn Polizeibedienste ihre Amtshandlung auf Eigenschaften wie Hautfarbe, Sprache, vermutete oder tatsächliche ethnische Zugehörigkeit, Religion oder Staatsbürgerschaft abstellen“, so Deiss. Sie fordert in Österreich dringend wirksamen Maßnahmen dagegen, als allererstes eine statistische Erhebung, um diskriminierende Praktiken zu identifizieren und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können, sowie Schulungsmaßnahmen innerhalb der Polizei.

„Außerdem braucht es klare polizeiliche Verfahren und Kriterien, um berechtigte und unberechtigte Gründe für einen Verdacht definieren zu können, sowie konkrete Überwachungsmöglichkeiten von Polizeikontrollen.“ 

Deiss Amnesty

Schutz von Journalist*innen

Last but not least ist im Zuge der Versammlungsfreiheit auch der Einsatz von Journalistinnen zu schützen.

Amnesty kritisiert in diesem Zusammenhang u.a.

Österreich, wo etwa die Polizei in Wien bei mehreren Protesten Journalistinnen daran gehindert habe, das Geschehen zu beobachten und darüber zu berichten, oder sie nicht angemessen vor Angriffen durch Demonstrierende geschützt habe.

Räumung des Lobau Protestcamps im April 2022

Damals richtete die Polizei etwa eine separate Pressezone für Journalist*innen ein, die so weit vom Camp entfernt war, dass eine angemessene Beobachtung der Ereignisse unmöglich war.   

Hintergrund & Zusammenfassung 

Amnesty International hat in den vergangenen Jahren 21 europäische Staaten auf ihre Praxis und nationalen Bestimmungen im Zusammenhang mit Versammlungsfreiheit, friedlichen Protesten und Akten des zivilen Ungehorsams untersucht. Die Ergebnisse wurden nun in einem umfangreichen Bericht im Rahmen der globalen Kampagne „Protect the Protest“ vorgestellt, bei der sich Amnesty für das Recht auf Protest in der ganzen Welt einsetzt. Das Ergebnis: Obwohl alle 21 in dem Bericht untersuchten Länder die wichtigsten Menschenrechtsinstrumente zum Schutz des Rechts auf friedliche Versammlung ratifiziert haben, wurden die internationalen und regionalen Bestimmungen vielerorts nicht in nationales Recht umgesetzt. Dies hat – in Verbindung mit der Verabschiedung repressiver neuer Gesetze, weitreichender Beschränkungen und aufwändiger Auflagen – ein zunehmend feindliches Umfeld für Proteste geschaffen. Insgesamt zeige sich in ganz Europa ein Muster

  • repressiver Gesetze
  • übermäßiger Gewaltanwendung
  • willkürlicher Festnahmen und
  • strafrechtlicher Verfolgung sowie
  • ungerechtfertigter oder diskriminierender Einschränkungen.

„Das Recht zu protestieren droht in Europa durch tausende Maßnahmen schrittweise abgeschafft zu werden. Menschen, die auf die Straße gehen, sehen sich einer Lawine von zunehmend repressiven Einschränkungen, strafrechtlichen Sanktionen, staatlicher Gewalt, Diskriminierung und allgegenwärtiger Überwachung gegenüber“ zeigt sich Shoura Zehetner-Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, besorgt.  

Im Rahmen des Berichts wurden folgende Länder untersucht: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, die Schweiz, Serbien, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn, die Türkei und das Vereinigte Königreich.

 

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