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Atomwaffenfreies Geleit zum Weltfriedenstag 2019

Erstellt am 21.09.2019 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 5612 mal gelesen und am 12.09.2019 zuletzt geändert.

1957: „chorische(n) Hymnus auf eine schöne, atombombenfreie Zukunft“

Nach der Veröffentlichung von „Anrufung des Großen Bären“, 1956, trat Ingeborg Bachmann als Lyrikerin zunehmend zurück.

Sie selbst erklärte einmal, sie habe danach nur noch ein Gedicht geschrieben, „Böhmen liegt am Meer“.

Ingeborg Bachmann

Die Forschung konstatierte allerdings, dass sie noch mehr als 20 Gedichte geschrieben hat bis zu ihrem Tod im Jahr 1973.

Eine Sonderstellung unter diesen Gedichten nimmt „Freies Geleit“ ein. Weil das Gedicht der den expressionistischen Ton der Naturbilder in der Sammlung „Anrufung des Großen Bären“ weitgehend verlässt und fast durchwegs einen hymnischen Ton anstimmt.

Hölderlins „Wie wenn am Feiertage“ klingt darin vielfach an, bis hinein in die Bilderwahl.

Bei Hölderlin ist es „die Natur“, die am Morgen erwacht und sich, vom Regen gereinigt und belebt und dem Dichter als Heilsversprechen zeigt.

Bei Bachmann ist es „die Erde“.

Bei Hölderlin heißt es in der ersten Strophe

„In sein Gestade wieder tritt der Strom,
Und frisch der Boden grünt“

Bei Bachmann

„Die Flüsse wallen ans große Wasser,
und das Land legt Liebesversprechen
der reinen Luft in den Mund
mit frischen Blumen“.

Hölderlins „Dichter“ stehen „unter Gottes Gewittern (…) mit entblößtem Haupt“.

Ingeborg Bachmanns „Wir“ bekundet,
die Erde wolle „mit Regen und Zornesblitzen abschaffen
die unerhörten Stimmen des Verderbens“, um dann
„mit uns“ ihre Schönheit zu entfalten,
„die bunten Brüder/und grauen Schwestern erwachen sehen“.

Die „grauen Schwestern“ klingt wie eine Kritik an Hölderlin,
der nur die „Erdensöhne“ nennt, nicht auch die „Töchter“.

„Rauchpilz“ in der dritten Strophe wird vage benannt,
was die Schöpfungskraft der Erde/Natur bedroht,
Menschenwerk, konkret ein Atomkrieg,
„die unerhörten Stimmen des Verderbens“.

„Freies Geleit“ sei das, was eine bedrohte Existenz von den Machthabern fordere. Es mute seltsam an, dass „die Erde“ von den Menschen „freies Geleit“ einfordert. Angesichts der in den 50er Jahren, besonders bis zu Stalins Tod, erstmals gegenwärtigen Drohung, den Planeten mit einem Atomkrieg zu zerstören, verweist diese abschließende Strophe jedoch auf eine entsetzliche Wirklichkeit, in ihrer naiv anmutenden Bittstellung. Übrigens die Doomsdayclock, die symbolische Prognoseuhr für einen durch Menschen verursachten Weltuntergang, die seit dieser Zeit von den Atomic Scientists gestellt wird. Steht heute unter Trump und Putin noch brenzliger als unter damals.

Hans Werner Henze, der geschwisterliche Geliebte Bachmanns in jenen Jahren, nannte das Gedicht „Freies Geleit“ in einem Schreiben an Bachmann vom 29. Mai 1957 „eines der schönsten gedichte der welt“. In seiner Autobiographie preist er es als „chorische(n) Hymnus auf eine schöne, atombombenfreie Zukunft“.

Freies Geleit
(1957)

Mit schlaftrunkenen Vögeln
und winddurchschossenen Bäumen
steht der Tag auf, und das Meer
leert einen schäumenden Becher auf ihn.

Die Flüsse wallen ans große Wasser,
und das Land legt Liebesversprechen
der reinen Luft in den Mund
mit frischen Blumen.

Die Erde will keinen Rauchpilz tragen,
kein Geschöpf ausspeien vorm Himmel,
mit Regen und Zornesblitzen abschaffen
die unerhörten Stimmen des Verderbens.

Mit uns will sie die bunten Brüder
und grauen Schwestern erwachen sehn,
den König Fisch, die Hoheit Nachtigall
und den Feuerfürsten Salamander.

Für uns pflanzt sie Korallen ins Meer.
Wäldern befiehlt sie, Ruhe zu halten,
dem Marmor, die schöne Ader zu schwellen,
noch einmal dem Tau, über die Asche zu gehn.

Die Erde will ein freies Geleit ins All
jeden Tag aus der Nacht haben,
daß noch tausend und ein Morgen wird
von der alten Schönheit jungen Gnaden.

Quelle: http://www.gedichte-werkstatt.de/Docs/BachmannErklaermir.html

 

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