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5 Jahre Hungerstreik von Flüchtlingen in der Wiener Votivkirche

Erstellt am 14.01.2018 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 6371 mal gelesen und am 19.01.2018 zuletzt geändert.

Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek
Burgtheater Wien, 2015

Am 14.01.2013 veröffentlicht SOLIDARISCH SCHLAFEN auf youtoube eine Video:

Der mit dem Jandl-Preis ausgezeichnete Sprachsucher und Erzähler Peter Waterhouse ist auch ein politisch engagierter Mensch. Er benützt seine kunstvolle Sprache dafür




„den am Rande der Gesellschaft Stehenden die Menschenwürde wiederzugeben, die ihnen die Mächtigen am Bazar der Kurzschlüsse geraubt haben“

( Josef Winkler)

Peter Waterhouse verbrachte eine Nacht mit den Flüchtlingen in der Wiener Votivkirche.

„Ich glaube, dass der sakralste Ort in dieser Stunde und in diesen Tagen in der Votivkirche dieses große Bett ist, in dem 67 Personen in eisiger Kälte seit einigen Wochen wohnen.“

Der Hungerstreik in Wiener Votivkirche – Refugee Protest Camp Vienna

Das Refugee Protest Camp Vienna ist ein im November 2012 begonnener Protest von Flüchtlingen und Aktivisten in Wien. Die rund 60 Flüchtlinge stammten vorwiegend aus dem Grenzgebiet Pakistan/Afghanistan. Die Flüchtlinge[1] werden hauptsächlich von der Plattform Familien und FreundInnen gegen Abschiebung, einem Zusammenschluss von NGOs und Gruppierungen wie etwa SOS Mitmensch und der trotzkistischen Sozialistischen Linkspartei (SLP), unterstützt.[2]

Am 18. Feber 2013 meldeten die Salzbuger Nachrichten:

„Hungerstreik in Wiener Votivkirche beendet“ SN/APA Die

Die Flüchtlinge in der Wiener Votivkirche setzen ihren Hungerstreik aus. Ausschlaggebend für die Entscheidung war ein „ermutigende“ Schreiben von Bundespräsident Fischer sowie eine Solidaritätsdemonstration am Samstag vor der Aussetzung. Fischer versprach Hilfe im Rahmen der geltenden Gesetze.

Die Wiener Caritas bewertete das neuerliche Aussetzen des Hungerstreiks als „erfreulichen ersten Schritt für eine gute Lösung für alle“.

Die Asylsuchenden aßen zwar wieder, die Kirche verlassen haben sie aber nicht. Der Gesundheitszustand der Flüchtlinge hatte sich nach Angaben von Ärzten in den vergangenen zehn Tagen „deutlich verschlechtert“. Zahlreiche Einlieferungen ins Krankenhaus waren notwendig. Insgesamt werden nun noch 60 Personen in der Votivkirche gezählt.

 

Seit März 2013

wohnten die 63 Flüchtlinge im zur Servitenkirche gehörigen Servitenkloster im Wien Alsergrund.[12] Am 9. März kam es zwischen zwei Asylwerbern zu einer Schlägerei.[13] Die 63 Männer durften zunächst, aufgrund von Bauarbeiten im Kloster, bis Ende Juni bleiben.[14] Auch diese Frist wurde verlängert.[15]

Ab März 2013 lagen für 27 der Asylwerber negative Bescheide vor.[16]

  • Davon wurden acht Aktivisten Ende Juli 2013 nach Pakistan abgeschoben.[17]
  • Zwölf weitere Heimreisezertifikate waren bei der Botschaft beantragt worden, jedoch nicht ausgestellt worden.[18]
  • Am 30. Juli 2013 wurden sechs Flüchtlinge, darunter drei der Asylwerber im Servitenkloster, wegen des Verdachts der Schlepperei festgenommen.[19][20]
  • Innenministerin Johanna Mikl-Leitner erklärte im Zusammenhang mit den Verhaftungen, die Schlepper hätten „äußerst unmenschlich agiert […] etwa wenn es Probleme mit schwangeren Frauen auf der Schlepperroute gab, dann wurden diese Frauen hilflos auf der Route zurückgelassen“.
  • Die Kronen Zeitung beschrieb die Verhafteten als „Schmugglerbande aus dem Servitenkloster“ und „brutales Schlepper-Syndikat“, das „nicht nur Millionen kassiert“, sondern auch „schreiende Schwangere, Alte, Kranke“ am Weg zurückgelassen habe.
  • Wie unter anderem Recherchen der Wiener Wochenzeitung Falter ergaben, fand sich keiner dieser Vorwürfe in der tatsächlichen Gerichtsakte der Staatsanwaltschaft. Die Vorwürfe und Zahlen stammten vielmehr aus Presseaussendungen des Bundeskriminalamtes.[21]

Am 22. September 2013 besetzten 17 Asylwerber erneut die Votivkirche, da sie sich im Servitenkloster „nicht sicher“ gefühlt hätten. Die Kirche wurde noch am selben Tag von der Polizei geräumt.[23] Zwei Tage später hielten einige Aktivisten vor dem Parlamentsgebäude eine Demonstration ab.[24] Die 24 verbliebenen Flüchtlinge im Servitenkloster mussten bis Ende Oktober 2013 das Kloster wegen Renovierungsarbeiten verlassen.[25][26]

Oktober 2013

Die österreichische Innenministerin und jetzige Landeshauptfrau Mikl-Leitner präsisiert in Beantwortung einer  parlamentarischen Anfrage von Alev Korun, ihre Aussagen rund um die Verhaftungen. Ihne Außerungen im Juli 2013 hätten sich gar nicht auf die Asylsuchenden in den den Kirchen bezogen, sondern auf einen „internationalen Schlepperring“.[22]

 

Am 29. Oktober 2013 besetzten die Asylwerber nach einer Diskussionsveranstaltung die Akademie der bildenden Künste. Obwohl ihnen Einzelquartiere angeboten wurden, wollen sie in der Akademie bleiben, da sie befürchteten, jemand aus der Gruppe könnte abgeschoben werden. Über Twitter erfolgte ein Aufruf, „dringend“ Schlafsäcke und Matratzen in die Akademie zu bringen.[27][28] Die Rektorin Eva Blimlinger stellte den Flüchtlingen ein Ultimatum. Sie sollten die Akademie bis zum 4. November 2013 verlassen haben.[29] Die Flüchtlinge versprachen wenig später auszuziehen, die Caritas sicherte ihre Unterstützung zu.[30]

Am 5. November 2013 nachmittags wurde die Akademie der bildenden Künste von den Asylwerbern wieder verlassen.[31] Am Abend desselben Tages gab es bei der Leopold-Ungar-Journalistenpreisverleihung eine Protestkundgebung der „Refugees“, bei der Beschimpfungen in Richtung Caritas vorkamen.[32] Die Caritas sagte den Flüchtlingen zu, diesen auch in Form einer Rückkehrberatung zur Seite zu stehen.[33]

Im März 2014 begann in Wiener Neustadt der Gerichtsprozess gegen insgesamt acht Flüchtlinge,

  • darunter vier die im Servitenkloster gewohnt hatte, denen Schlepperei vorgeworfen wurde.
  • Sechs von ihnen befanden sich seit Juni 2013 in Untersuchungshaft. Sie sollen, laut Polizei und Staatsanwaltschaft, zeitweise auch Flüchtlinge im Servitenkloster versteckt haben.[34]

Alle Angeklagten wurde von der Richterin nach den ersten Verhandlungstagen enthaftet, weil

  • die Anklageschrift unter anderem zu ungenau war,
  • keine konkreten Beweise festhielt,
  • einzelne Tathandlungen mehrmals anklagte, sowie
  • die niedergeschriebenen Übersetzungen abgehörter Telefonate teils falsch waren,
  • teils Passagen enthielten die in den Aufzeichnungen gar nicht vorhanden waren.

Alle kommenden Verhandlungstermine bis zum 6. Mai wurden abgesagt, weil die Vorsitzende erst die Akten der Anklage ordnen wollte, um zu sehen, welchem Angeklagten überhaupt was genau vorgeworfen wird.[35][36]

Politische Forderungen

Forderungen der Protestierenden sind unter anderem

  • eine Grundversorgung für alle Asylwerber,
  • der volle Zugang zum Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt, sowie
  • uneingeschränkte Bewegungsfreiheit.
  • Auch wurde die grundsätzliche Infragestellung der Dublin-II-Verordnung und die Löschung der Fingerabdrücke gefordert.[37]

Reaktionen

Personen aus Politik und Zivilgesellschaft haben sich mit den Protestierenden getroffen, unter anderem die Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, Erzbischof Christoph Schönborn, der Vizepräsident des EU-Parlaments Othmar Karas sowie Jean Ziegler, Mitglied des Beratenden Ausschusses des Menschenrechtsrats der UNO. Kritik an den Protesten kam vor allem von der FPÖ, Unterstützung von den Grünen.

Literarische Bearbeitung

Durch den Protest inspiriert schrieb die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek den Theatertext Die Schutzbefohlenen, der später von der Gruppe Lampedusa in Hamburg als Urlesung aufgeführt wurde.[38] Die szenische Uraufführung fand im Mai 2013 durch das Ensemble des Hamburger Thalia Theaters beim Festival Theater der Welt in Mannheim statt. Die Inszenierung Nicolas Stemanns war in der Folge auch beim Holland Festival und am Thalia Theater zu sehen. Die Österreichische Erstaufführung erfolgte am 28. März 2015 im Wiener Burgtheater, es inszenierte Michael Thalheimer.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

 

Lampedusa-Flüchtlinge: Was bisher geschah (Memento vom 5. November 2013 im Internet Archive) ndr.de vom 25. Oktober 2013

 

 

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