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1927 Gewaltlösung in Österreich

Erstellt am 10.01.2018 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 3255 mal gelesen und am 10.01.2018 zuletzt geändert.

Anlässlich des 90. Jahrestages der Tötung des Kindes Josef Grössing und des Sozialdemokraten Csarmarits durch rechtsextreme Frontkämpfer  im Jahr 1927 läuft in der  VHS Meidling, Längenfeldgasse 13-15, 1120 Wien die von Ernst Jaritz und Brigitte Pellar gestaltete Ausstellung. Die Ausstellung ist noch bis 27.01.2018 Mi-Fr 9-18 Uhr zu bei freiem Eintritt zu besichtigen.

Der Freispruch der rechtsextremen Täter durch ein Geschworenengericht

Am 30. Jänner 1927 starben im burgenländischen Schattendorf ein Kind und ein Kriegsinvalide. Der Kriegsinvalide war Mitglied des sozialdemokratischen Republikanischen Schutzbunds. Rechtsextreme „Frontkämpfer“ schossen mit Gewehren in Richtung der vorbeimarschierenden Schutzbündler.

Der Freispruch der Täter durch ein Geschworenengericht im darauffolgenden Juli löste in Wien eine Großdemonstration aus, die nach einer Eskalation der Gewalt mit dem Brand des Justizpalasts, einem Schießbefehl an die Polizei und einem Massaker an Demonstrierenden und PassantInnen am heutigen Schmerlingplatz endete.

Hintergrund

Immer wieder kam es im Österreich der 1920er zu Anschlägen faschistischer Banden. Sie waren meist als Heimatschutz getarnt. Diese Anschläge wurden meist vom faschistischen Italien und vom halbfaschistischen Ungarn finanziert.

Obwohl es meist Zeugen und Beweise für diese Überfälle gab, wurden die Täter unter dem Jubel der bürgerlichen Presse freigesprochen oder zu milden Strafen verurteilt.

Das ehemals westungarische Burgenland wurde von dem halbfaschistischen Regime des in Ungarn herrschenden Miklós Horthy bed

roht. Die politischen Lager in Österreich waren sich zunächst bereits einig, im Burgenland weder den Schutzbund noch die Heimwehr zuzulassen, um den Ungarn keine Handhabe einer Rückgewinnung des Burgenlandes zu liefern. Doch die Frontkämpfer formierten sich. Die Lage eskalierte. Die Sozialdemokraten stellten ebenfalls eine lokale Schutzbundorganisation auf. Schon 1926 kam es immer wieder zu

  • Raufereien,
  • Störungen der Versammlungen und
  • Aufmärschen

der Frontkämpfer und der Schutzbündler im Burgenland.

Der 30. Jänner 1927

Am 30. Jänner 1927 veranstalteten Frontkämpfer eine Versammlung in dem kleinen burgenländischen Grenzort Schattendorf. Seine

Bevölkerung war zum überwiegenden Teil Sozialdemokratisch eingestellt. Als die Schutzbündler davon erfuhren, organisierten sie ihre Versammlung am selben Tag.

Die Gasthäuser Moser und Tscharmann

  • Das Gasthaus Moser wurde zum Stammquartier des Schutzbundes.
  • Das 500 Meter entfernte Gasthaus Tscharmann das der Frontkämpfer.

Die lokale Frontkämpfertruppe war im Verhältnis 30:70 klar in der Minderheit. Sie holte sich deshalb Unterstützung aus den Nachbargemeinden.

Zusammenstoß am Bahnhof Schattendorf

Am Bahnhof von Schattendorf kam es schließlich zum Zusammentreffen der beiden Organisationen. Die Schutzbündler konnten die von außen kommenden Frontkämpfer zwar vertreiben und selbst nach Schattendorf einziehen. Es kam auch zu Tätlichkeiten zwischen Schutzbündlern und Frontkämpfern im Gasthof Tscharmann.

Es flogen die Worte, dann die Gewehrkugeln

„Nieder mit den Frontkämpfern, nieder mit den christlichen Hunden, nieder mit den monarchistischen Mordbuben“ riefen die Schutzbündler und drangen in das Gasthaus ein.

Die Gebrüder Tscharmann und Johann Pinter, drei Frontkämpfer, schossen als die Schutzbündler allerdings schon vorbeigezogen waren aus dem vergitterten Schlafzimmerfenster des Hauses auf die Straße.

Der kroatische Kriegsinvalide Matthias Csmarits und der achtjährige Josef Grössing wurden dabei getötet und weitere fünf Menschen verletzt.

Am 2. Juli 1927, am Tag des Begräbnisses der beiden Getöteten, streikten Arbeiter fünfzehn Minuten lang.

Prozess und Urteil

Der Verlauf des Prozesses wurde in der Öffentlichkeit gespannt verfolgt. Schon vorher wurden Morde an Arbeitern als Kavaliersdelikte behandelt und die Mörder milde oder gar nicht bestraft worden.

Die Hauptfragen im Prozess

Hatten die Täter  eine Mordabsicht beziehungsweise auf die Absicht, die Opfer schwer zu verletzten. Das Strafausmaß betrug

  • im Falle der Mordabsicht 10 bis 20 Jahre Kerker oder lebenslänglichen Freiheitsentzug.
  • Für die Tatsache, dass sie die beiden Menschen absichtlich schwer verletzt hatten, drohten ihnen immerhin noch 5 Jahre Kerker.

Die drei Angeklagten Josef Tscharmann, Hieronimus Tscharmann und Josef Pinter versuchten von Beginn an die Morde als Notwehr darzustellen. Da die Zeugenaussagen teilweise mit den Aussagen der Angeklagten übereinstimmten, konnten sich die Geschworenen nur sehr schwer eine Meinung bilden. Bewiesen wurde allerdings, dass sich im Gasthof Tscharmann ein Waffendepot befand, das auch von der Polizei sichergestellt wurde.

Die Bezirkskommission

Sie hatte nach der Gesetzesänderung 1919/1920 über die Geschworenenliste zu entscheiden. In diesem Fall konnte man allerdings von keiner politischen Färbung reden. Bei dem Prozess, der am 5. Juli 1927 begann, setzte sich die Geschworenenbank folgendermaßen zusammen:

  • vier Arbeiter,
  • drei Beamte,
  • eine Hausfrau,
  • zwei Landwirte,
  • zwei Gewerbetreibende.

Der Staatsanwalt plädierte zwar auf schuldig, doch letztlich konnte keine der beiden Hauptfragen mit einer notwendigen Zweidrittelmehrheit bejaht werden. Somit verkündete der Richter am 14. Juli 1927 den

  • Freispruch der Angeklagten.
  • Der Mord wurde als Notwehr dargestellt, und
  • die nach Auffassung vieler Sozialisten mutmaßlichen Mörder als „Ehrenwerte Männer“.

Auswirkungen dieses umstrittenen Prozesses

Zeitungsberichte über dieses Urteil lösten Demonstrationen in der Wiener Innenstadt aus.

  • Der Justizpalast wurde in Brand gesteckt.
  • 85 Demonstranten und
  • vier Polizisten wurden getötet.

Nach diesen auch Julirevolte genannten Ereignissen war der Glaube der Linken an eine gerechte und unparteiliche Justiz in Österreich erschüttert. Gleichzeitig kam es zu einer Erstarkung der Heimwehr-Bewegung.

Die Ausstellung

Sie stellt diese Ereignisse ins Zentrum, zeigt auch auf, dass die Gewalt nicht aus heiterem Himmel ausbrach: Gewaltanwendung durch rechtsextreme Gegner der jungen österreichischen Demokratie begleiteten sie fast von Anfang an.

Durch einen Ausblick bis 1945 soll die Bedeutung aufgezeigt werden, die die Ereignisse von 1927 für die Entwicklung in Richtung Diktatur und Faschismus hatten:

  • verstärkte Militarisierung der Wehrverbände,
  • Stärkung der demokratiekritischen bis demokratiefeindlichen Kräfte,
  • Ausschaltung des Parlaments,
  • Ablöse der demokratischen Republik durch eine Diktatur mit faschistischer Staatsideologie,
  • offene Flanken gegenüber dem Vormarsch des Nationalsozialismus, dessen Terrorherrschaft und ihre Folgen.

 

Literatur

Norbert Leser u. Paul Sailer-Wlasits, 1927 Als die Republik brannte. Von Schattendorf bis Wien; Wien/Klosterneuburg 2002

 

 

Posted in Friedenspädagogik, Österreich, Unfrieden, Weltanschauungen

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