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Bindung und Frieden?

Erstellt am 30.12.2017 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 6236 mal gelesen und am 31.12.2017 zuletzt geändert.

»Karl Heinz Brisch ist aus der Forschung über frühe Bindung nicht mehr wegzudenken.«
Tilmann Moser, Psychologie Heute

Nun hat Brisch bei Klett-Cotta an drei interessanten neuen Titeln mitgewirkt.

  1. Bindung und emotionale Gewalt
  2. Bindungsstörungen – Von der Bindungstheorie zur Therapie (Bestseller völlig neu überarbeitet)
  3. SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern

Was hat das mit Krieg und Frieden zu tun?

  • Autorinnen wie Sabine Bode, Anne-Ev Ustorf sowie Professor Hartmut Radebold haben sich mit der generationsübergreifenden Weitergabe aus kriegsbelasteten Familien auseinandergesetzt.
  • Kongresse, wie beispielsweise im Juni 2014 an der Mainzer Uni „Kriegserlebnisse und ihre Auswirkungen bis heute“ machen deutlich, dass vieles, für unsere Midlife-Generation einfach sein könnte, irgendwie belastet ist.

Zwar geht es uns im Vergleich zur Kriegsgeneration relativ gut. Trotzdem zeigt sich bei vielen Menschen

  • ein diffuses, manchmal depressives Lebensgrundgefühl,
  • eine tief empfundene Einsamkeit und
  • immer wieder die Unsicherheit darüber, man selbst sein zu dürfen und
  • die Angst vor Gefühlen.

In vielen Familien wirkt der Dialog über die familiäre Vergangenheit diffus oder ist verstummt. Das heißt entweder erzählen die Eltern über diese Zeit

  • immer wieder das Gleiche oder
  • gar nichts.

Familienstammbäume zeigen in fast in allen Familien, dass Familienangehörige den Krieg nicht überlebt haben. Oft fehlen aber auch auch grundsätzlich wichtige Informationen darüber. Die Lasten des Krieges und der Nachkriegszeit Bindungsstörungen und Traumatisierungen der Elterngeneration werden in der Regel unbewusst an die Kriegsenkel weitergeben. Das ist wissenschaftlich zwischenzeitlich bewiesen.

Traumaforschung

In den 1980er Jahren begann die Traumaforschung,  mit der Erforschung der Auswirkungen von überfordernden seelischen Belastungen auf das Bewusstsein. Krieg ist wohl eine extremsten Überforderungen für die meisten Menschen. Krieg ist ein von Menschen produziertes Katastrophenszenario. Das macht seine sozialen Auswirkungen im Gegensatz zu Naturgewalten oder Unfällen deutlich schlimmer.

Die Situationen, denen unsere Eltern im Krieg ausgesetzt waren, wirkten nach Hartmut Rabold bei sechzig Prozent der Bevölkerung schwer bis mitteltraumatisch. Unsere Eltern hatten in der Kriegszeit oftmals keine sicheren Bindungen an ihre Eltern, um das eigen erfahrene Stresserleben zu verarbeiten und diese Generation hat mit dieser Bindungserfahrung unsere Generation geprägt.

  • Bombenangriffe,
  • Vernichtung,
  • Hunger,
  • Tod von Angehörigen und
  • bedrohliche Trennungen

Beispiel „Kinderlandverschickungen“

Kinder aus bedrohten Städten längerfristig in weniger gefährdete Gebiete gebracht wurden. Meist waren sie bis zu achtzehn Monaten von ihren Eltern getrennt.Bis Kriegsende 1945 wurden im III. Reich rund 2.000.000 Kinder vorsorglich verschickt. Schätzung belaufen sich auf 850.000 Schüler im Alter zwischen 10 und 14 Jahren. Es wurden aber auch einig ältere Jugendliche in KLV-Lagern gebracht.[1] Es gibt zahlreiche und ausführliche Zeitzeugenberichte über das Leben in „KLV-Lagern“. Berichte über die „Mutter-und-Kind-Verschickung“, über die Unterbringung in Pflegefamilien oder bei Verwandten in „luftsicheren Gebieten“ sind eher selten. Die Forschungsliteratur zur Evakuierungsmaßnahme mit der Bezeichnung „Erweiterte Kinderlandverschickung“ ist in ihrer Vielfalt und den psychoneurologischen Kriegsfolgen aber noch unvollendet.[2]

Die Erziehung dieser Generation die den Nazis unterworfen war

Sie erfolgte mit Hilfe von Büchern und Schriften, die nationalsozialistisches Gedankengut mehr oder weniger unverbrämt enthielten. Dr. Johanna Haarers Buch, Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind, gab Ratschläge die aus heutiger Sicht eine Mischung aus Drill und Misshandlung der Kinder empfahl. Das Buch wurde bis Mitte der 1980er-Jahre aufgelegt! Diese Ratgeber boten eine „Orientierung“ für die oft überforderten Eltern. Diese Kriegseltern hatten selbst oft keine guten Vorbilder aus ihrer Erziehungszeit. Der erste Weltkrieg hatte ja ähnliche Spuren hinterlassen.

Die Generation der Kriegskinder konnte nur durch

  • Verdrängung,
  • Verleugnung und
  • emotionalen Rückzug die Belastungen und Traumata abwehren. Im Krieg und danach gab es kaum Zeit und gute Möglichkeiten zur Aufarbeitung der seelischen Überforderungen und Zumutungen.

Was bedeutet das für uns?

  1. Menschen, die unter den oben beschriebenen Erfahrungen aufgewachsen sind, können zum großen Teil nur Bindungen weitergeben, die eine grundsätzliche Unsicherheit hinterlassen.
  2. Da sie selbst keine sichere Bindung erfahren haben, können sie auch kein Selbstvertrauen, Vertrauen in andere und inneren Frieden weitergeben.
  3. Probleme hinsichtlich Nähe und Distanz, Zugehörigkeit und einer grundsätzlichen inneren Spannung (Verlorenheitsangst) sind hier vorprogrammiert.

Beiträge aus Forschung, Klinik und Gewaltprävention zeigen

  • einerseits die Ressourcen für Wachstum durch sichere Bindungserfahrungen auf,
  • andererseits verdeutlichen sie die traumatischen Auswirkungen von emotionaler Gewalt in unterschiedlichen Situationen und Lebensaltern und diskutieren Möglichkeiten der Prävention und Hilfe.

Sichere Bindungserfahrungen benötigen

  1. Feinfühligkeit,
  2. Respekt,
  3. Anerkennung,
  4. Unterstützung und
  5. Wertschätzung sowie von
  6. Hilfe in Notsituationen.

Wenn Menschen eine solche sichere Bindung erfahren, wachsen sie in ihrer Persönlichkeit zu gesunden Menschen heran, die den Anforderungen des Lebens normalerweise gut gewachsen sind.

Heute aber immer noch wenig bekannt, wie stark emotionale Gewalt  die

  • körperliche,
  • psychische und
  • soziale Entwicklung

von Menschen, besonders im Kindesalter, belasten und traumatisieren kann.

Emotionaler Gewalt verseucht

  • Eltern-Kind-Beziehungen,
  • Familien & Partnerschaften
  • sowie das Klima am Arbeitsplatz

Emotionalen Gewalterfahrungen resultieren meist aus

  • Ablehnung bis zur emotionalen Vernachlässigung,
  • Zurückweisung,
  • Kränkung,
  • beharrlichem Schweigen,
  • Demütigungen und Hass

Sie werden, laut jünsten Befunden der Hirnforschung, von Menschen ähnlich intensiv und schmerzlich erlebt werden wie körperliche und sexuelle Gewalt!!!

Das neue Buch „Bindung und emotionale Gewalt“ von Brisch richtet sich daher an Schlüsselkräfte im Feld der Gewaltprävention

– PsychologInnen
– PsychotherapeutInnen
– SozialarbeiterInnen und PädagogInnen
– Jugendhilfe-MitarbeiterInnen
– ÄrztInnen aller Fachrichtungen

Bindunsstörungen und Gewalt?

Sind Bindungsstörungen und daraus resultierende Gewalt heute noch bedeutend? Von welchen Dimensionen müssen wir ausgehen? Manfred Cierpka schreibt 2012 in ». . . und da hat er ihr einfach eine vors Schienbein gegeben, einfach so!«: „Die Ergebnisse der empirischen Säuglingsforschung geben Aufschluss über aggressionsfördernde und gewaltauslösende Interaktionszusammenhänge.“ …

„Nach den bisherigen Erkenntnissen stellt die Gewalt in der Familie die am meisten verbreitete Form von Gewaltausübung dar (Schwind et al. 1990; Engfer 2004). Gewalt innerhalb der Familie gehört dementsprechend zu den wichtigsten Ursachen körperlicher und seelischer Verletzungen. Durch körperliche Misshandlung werden mehr Frauen verletzt als durch Autounfälle, Vergewaltigungen und Überfälle zusammen. Gewalt ist auch ein Thema für die Kliniken und besonders für die chirurgischen Ambulanzen. Man schätzt, dass 21 Prozent aller Notoperationen an Frauen in den USA aufgrund von Verletzungen durch körperliche Misshandlung erforderlich werden (van der Kolk et al. 1998). Eine der häufigsten Formen familiärer Gewaltanwendung ist die Gewalt gegen die (Ehe-)Frau, als gravierendste Form als Vergewaltigung in der Ehe. Die »Eltern-Kind-Gewalt« umfasst die familiäre Vernachlässigung, den emotionalen und/oder den sexuellen Missbrauchund die körperliche Misshandlung (Kindesmisshandlung).“
Vorbeugend empfiehlt es ich daher bereits vor der Geburt von Kindern mit Elternbildung zu beginnen. Es wäre höchste Zeit das der Mutter-Kind-Pass mit starken Anreizen zur Elternbildung verbunden wird. Besonder für geflüchtete Familien wäre diese mindestens doppelt so wichtig. Wie so etwas aussehen könnte beschreibt Brisch in:

SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern – Sichere Bindung zwischen Eltern und Kind
Karl Heinz Brisch

Mit SAFE® lernen Eltern bereits in der Schwangerschaft, feinfühlig, prompt und angemessen auf die Signale ihres Kindes zu reagieren. Dadurch entwickeln die Babys eine sichere Bindung als stabiles Fundament ihrer Persönlichkeit.
SAFE® ist, laut Verlag, ein erfolgreiches, expandierendes Erziehungsprogramm – vom wichtigsten Autor im Bereich Bindungsforschung.

ISBN: 978-3-608-94601-7 – 16,00 EUR

Das ist läppisch im Vergleich zu den Kosten für die Therapie der gröbsten Schäden von Unischerer Bindung.

Sollten sie beobachtet haben, dass ihre Eltern oder andere Personen die Ihnen begegegnen nicht ganz frei vom emotionalen Erbe der Kriege sind oder aus anderen Gründen wenig

  1. Feinfühligkeit,
  2. Respekt,
  3. Anerkennung,
  4. Unterstützung und
  5. Wertschätzung sowie von
  6. Hilfe in Notsituationen

zeigen, dann gibt es im folgenden Buch einen Fragebogen zur Diagnose von:

Bindungsstörungen – Von der Bindungstheorie zur Therapie

Es ist lauf Verlag:

Ein Bestseller und Standardwerk, das Strategien weist für Diagnostik, Therapie und Elternschaft: Karl Heinz Brisch entwickelt in dieser vollständig überarbeiteten Ausgabe der »Bindungsstörungen« die integrative therapeutische Praxis um John Bowlbys Paradigma der Bindung weiter und eröffnet neue Perspektiven des Helfens und der Prävention.

»Probably the fullest account on how attachment theory may be used to guide treatment methods when dealing with attachment-related problems is that provided by Brisch (2002) .«
Sir Michael Rutter (Implications of Attachment Theory and Research for Child Care Policies, in: Handbook of Attachment, New York, London 2008, S. 965)

ISBN: 978-3-608-94532-4 – 35,00 EUR

Je eher wir unsere Psychen reparieren desto eher kommen wir in den Genuss ihrer Früchte

Vorteile der sicheren Bindung

  • Die sichere Bindung beschützt.
  • Sie stärkt das Urvertrauen, das Selbstwertgefühl, die Fähigkeit mit anderen Menschen sozial kompetent umzugehen, die Welt zu entdecken und ihr dabei mutig und emotional ausgeglichen gegenüber zu treten.
  • Die sichere Bindung gilt als einer der wichtigsten Schutzfaktoren für die seelische Gesundheit. Sie kann als „emotionaler Polster“ verstanden werden, welcher die Auswirkungen sowohl kleine Widrigkeiten des Alltags, als auch tragischer Schicksalsschläge über das ganze Leben hinweg abzufedern vermag.
  • Gute soziale Bindungen fördern
    • die kognitive Entwicklung,
    • den Schulerfolg und die Bildung.
  • Sicher gebundenen Kindern gelingt es leichter, eine gute Beziehung zu ihren Lehrern aufzubauen, deren Bildungsangebot anzunehmen, für sich zu nützen und dabei gleichzeitig konstruktiv kritisch zu bleiben.
  • Sicher gebundene Kinder sind nicht überangepasst, sondern selbständig.
  • Die Vorteile der sicheren Bindung wirken in das weitere Leben hinein und können zu Wohlbefinden führen. Auch die Fähigkeit im Erwachsenenalter ein gutes soziales Netz aufzubauen und in einer tragfähigen, positiven Partnerschaft zu leben, wird durch sie unterstützt.

Quelle: http://www.sicherebindung.at

Karl Heinz Brisch

Brisch ist Prof. Dr. med. habil. Er ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin, Nervenheilkunde, Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Gruppen, spezielle Psychotraumatologie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.  Er leitet die Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München und hat den weltweit ersten Lehrstuhl und das Forschungsinstitut für »Early Life Care« an der Paracelsus Medizinische Privatuniversität in Salzburg inne. Seine klinische Tätigkeit und sein Forschungsschwerpunkt umfassen den Bereich der frühkindlichen Entwicklung und der Psychotherapie von bindungstraumatisierten Menschen in allen Altersgruppen.

Brisch entwickelte die Präventionsprogramme »SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern« und »B.A.S.E® – Babywatching«. Er ist Gründungsmitglied der Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit (GAIMH e. V. – German-Speaking Association for Infant Mental Health) und war dort viele Jahre lang im Vorstand. (www.khbrisch.de).

Karl Heinz Brisch ist Veranstalter der Internationalen Bindungskonferenz, die ab 2017 jährlich in Ulm stattfindet.
>>Zur Website der Bindungskonferenz

 

 

 

 

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