G20-Gipfel in Hamburg der 19 plus 28 Staaten
Laut Heinrich Böll geht es am 7. und 8. Juli 2017 „beim G20-Gipfel in Hamburg um nicht weniger als die künftige Gestaltung der Globalisierung“. Auf dem Treffen der 19 Mitgliedsstaaten der G20 und der Europäischen Union (28 Mitgliedsstaaten von A wie Austria bis UK), sollten Antworten auf die zentrale Frage unserer Zeit gefunden werden:
- Wie soll eine globalisierte Weltwirtschaft in Zeiten von wachsender Ungleichheit,
- Klimawandel,
- von Flucht und Migration
im Interesse aller Menschen koordiniert werden?
Die deutsche Rats-Präsidentschaft der EU trat am 1. Dezember mit einem Drei-Säulen-Programm an. Sie will
- eine „vernetzte Welt gestalten“
- Stabilität sicherstellen,
- Zukunftsfähigkeit verbessern und
- Verantwortung übernehmen.
Das seien laut Böll-Stiftung ehrgeizige Ziele, für deren Umsetzung die Deutsche Ratspräsidentschaft nicht nur die Unterstützung der anderen 19 Partner brauche, sondern einen auf viel breiteren Schultern getragenen und funktionierenden Multilateralismus. Es gehe also
- um die gleichberechtigte Zusammenarbeit der Staaten und
- einen fairen Ausgleich ihrer unterschiedlichen Interessen.
Die G20 müsse dafür mit
- der UN und
- anderen internationalen Organisationen zusammenarbeiten und
- die Interessen der 174 Länder berücksichtigen, die keine direkten Mitgestaltungsrechte haben.
Vor allem aber müssten
- „Entwicklungsstrategien neu definiert werden und
- auf Wohlstandsgewinne für die Mehrheit ausgerichtet werden.
Parole Globalsierung gerecht gestalten
Globalisierung, wie wir sie heute erleben, bewege sich, laut Böllstiftung, schon lange in einer Sackgasse. Zwar hätten sich
- die Lebensbedingungen für die globale Mittelklasse verbessert.
- globale Vernetzung der Menschen habe durch Reisen und digitale Medien, und
- das Erfahren anderer Lebenswirklichkeiten und Kulturen, sei durch die zahlreichen Produkte und Gegenstände aus unterschiedlichen Kontinenten kaum noch aus unserem Alltag wegzudenken.
Bei letzterem handele es sich bei weltweiter Betrachtung nur um die Lebenswelt einer Minderheit in den Reichen Staaten der Erde.
Globalisierung habe zu lange zu Wenigen mehr Lebensqualität gebracht.
Wenige Reiche besitzen schon heute zusammengenommen mehr Geld als die Hälfte der Weltbevölkerung.
Diese Verteilungstendenzen hätten sich inden letzten Jahren noch verstärkt.
Tatsächlich profitiert nur eine Minderheit vom internationalen Handels- und Wirtschaftssystem in seiner jetzigen, Form. So hat das Subsaharische Afrika z.B. nur einen Anteil von 1,7% am Welthandel
Immer mehr Menschen, selbst in den Industrieländern, fühlen sich abgehängt und ausgeschlossen.
Handels- und Investitionsabkommen und neue Technologien beeinflussen den Arbeitsmarkt
Dadurch sind
- Arbeitsplätze sind gefährdet und
- Löhne und Gehälter geraten unter Druck.
In weniger entwickelten Ländern ist weiterhin ein großer Teil der Menschen im informellen Sektor tätig oder versorgt sich selbst.
Landgrabbing
Der Aufkauf von Land und Superreiche wird vorangetrieben durch
- Infrastrukturentwicklung und
- industrielle Landwirtschaft
Dies nimmt den meisten Menschen in den weniger industriell entwickelten Ländern die Lebensgrundlagen.
Forcierung Industrieller Landwirtschaft und Subventionspolitiken
Der weltweite Trend zur Industrialisierung der Agrarwirtschaft wie auch Subventionspolitiken, z.B. im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union, führe
- zu unfairen Wettbewerbsverzerrungen und
- zerstöre in der Folge kleine landwirtschaftliche Betriebe.
Die Folge sei das junge Menschen immer öfter auswandern, um Jobs und eine Zukunft zu finden. Diese werde durch derzeitige Praxis der Globalisierung in weniger entwickelten und weniger mächtigen Ländern in großem Stil zerstört. Diese vom Globalisierungstsunamie getriebenen Migrantinnen und Migranten stoßen dennoch in Zeiten zunehmender Grenzabschottungen auf immer neue Hürden und Hindernisse. Für die globalen Finanz-und Warenströme dagegen sollen immer Schranken fallen.
Immer mehr Menschen müssen derzeit vor Krieg und Gewalt fliehen
Weltweit fliehen immer mehr Menschen vor Krieg und Gewalt. Ende des Jahres 2016 waren, laut Weltflüchtingsorganisation (UNHCR), 65,6 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht.
- Rund 22,5 Millionen dieser Menschen sind Flüchtlinge, die vor Konflikten, Verfolgung oder schweren Menschenrechtsverletzungen aus ihrer Heimat flohen.
- Darunter fallen 17,2 Millionen Flüchtlinge unter das Mandat von UNHCR.
- Die Hälfte der Flüchtlinge weltweit sind Kinder unter 18 Jahren.
- 40,3 Millionen Menschen sind Binnenvertriebene, Menschen, die innerhalb ihres Landes auf der Flucht sind.
- 2,8 Millionen Menschen unter den 65,6 Millionen sind Asylsuchende.
Ländliche Regionen und ganze Nationen sind von diesen Migrationsbewegungen betroffen.
Repräsentation und Bürgerbeteiligung gewähren
Viele Menschen sehen ihre Interessen im Rahmen dieser globalen Politik immer weniger repräsentiert. Die Politik habe, gefühlt oder real, ihre Gestaltungsmacht gegenüber einer globalen Entwicklung in den letzten Jahren nicht ernsthaft oder überzeugend genutzt. Somit wache das Misstrauen in Politiker/-innen und staatliche Institutionen. Zunehmend würden
- Rufe nach der „starken Hand“ laut,
- werden autoritäre Parteien gewählt.
Andere Gruppen organisieren Protest auf der Straße. Der Raum für zivilgesellschaftliche Beteiligung und Kritik ist und werde in vielen G20-Ländern extrem eingeschränkt. Mittlerweile werde Protest sogar zunehmend kriminalisiert. Menschenrechtsverteidiger/innen seien immer größeren Risiken ausgesetzt. Diese weltweite Entwicklung, die sich auch in den G20-Staaten manifestiere, sei „eine Bedrohung für die Freiheitsrechte und die Demokratie überhaupt“.
Die drei Herausforderungen seien anzunehmen
- Wachstum
- Wohlstand,
- Klimawandel
Klimawandel
Doch der Klimawandel schreite derzeit unaufhaltsam voran. Er sei auch eine Folge des unkoordinierten fossilen Wirtschaftsmodells, das inzwischen in beinah jeden Winkel der Erde vorgedrungen sei und keine realen Anreize habe, zu einer ebenso notwendigen wie unausweichlichen nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Und es gäbe jede Menge Anzeichen dafür, dass es der fossilen Lobby gelungen sei, Regierungen davon abzuhalten, die nötigen Schritte für drastische CO2-Reduktion zu unternehmen.
Überkommene Wachstumspoltik
Seit dem Gipfel der G20 in Pittsburgh im Jahr 2009 stand konventionelles Wachstum auf der Agenda der G20-Staaten ganz weit oben. Es wurde zwar eine Rahmenvereinbarung Namens „Framework for Strong, Sustainable and Balanced Growth“ verabschiedet. Beim Gipfel in Australien 2014 hatte das 2%-Wachstumsziel für die globale Wirtschaft wiederum eindeutig Vorrang gegenüber vor dem 2 Grad-Ziel zur Stabilisierung der Erderwärmung. Zwei Jahre später wurde das Klimaziel in Paris mit 1,5 Grad deutlich ambitionierter formuliert. „Wachstumsraten“ sagen aber nichts über das tatsächliche Wohlergehen der Menschen aus, die dies hänge im wesentlichen an
- der Qualität von Jobs,
- der Ausbeutung von Ressourcen und
- Klimarisiken.
„Ineffiziente Subventionen“ für fossile Brennstoffe weiterhin Uneinigkeit der G20
Bereits 2009 versprach die G20 „ineffiziente Subventionen“ für fossile Brennstoffe abzubauen. Bis heute haben sich die G20 nicht einmal auf eine gemeinsame Definition dafür einigen können.
Die G20-Mitglieder subventionieren fossile Energieträger mit 444 Milliarden Dollar jährlich.
4x so viel wie weltweit in erneuerbare Energien investiert wird.
Politik kohärent machen
Den G20 fehle „ein kohärentes Zusammendenken von Wirtschafts- und Finanzpolitik, Klimapolitik und den nachhaltigen Entwicklungszielen (Agenda 2030)“. Auf die politische Harmonisierung dieses Dreiklangs müssten sich die G20-Staaten jedoch konzentrieren, um die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, so die Böllstiftung.
Hier wolle die deutsche Präsidentschaft anpacken. Sie Frage sei aber:
Wie konsequent ist deutsche Präsidentschaft und wie weit folgen ihre G20-Partner?
Konventionelles Wachstum allein sei keine Lösung: Es brauche einen radikalen Bruch mit den zunehmend unkontrollierbaren Unwuchten, die eine zum Teil ins Irrationale abgedriftete finanzkapitalistische Wachstumspolitik in den vergangenen Jahrzehnten produziert habe. Die Folge seien Staatsschuldenkrisen und drastische Sparpolitiken gewesen, die an die Substanz vieler Gesellschaften gegangen seien und den demokratischen Zusammenhalt gefährdet hätten. Was wir bräuchten, sei
- eine nachhaltige Realwirtschaft und
- eine Politik, die öffentliche Güter und Daseinsvorsorge für Menschen und nicht für Finanzmarktakteure ins Zentrum stelle.
„Öffentliche Daseinsvorsorge vor Profitmaximierung“
Die G20-Mitglieder seien politische und wirtschaftliche Schwergewichte. Sie müssten, laut Böllstiftung, sich aus der engen Umarmung der Finanzmärkte befreien und nationale Regierungen ermächtigen öffentliche Güter zu schützen und für die Mehrheit der Menschen zur Verfügung zu stellen. Das bedeute z.B:
- eine angemessene Besteuerung von multinationalen Unternehmen,
- die Trockenlegung von Steuersümpfen und
- den Umbau der Finanzmärkte für die Zukunft von „Green Finance“, d.h. einer internationalen Finanzwirtschaft die Risiken für Mensch und Umwelt in den Blick nehme und dadurch Finanzströme in Investitionen ohne Klimarisiken lenke. Dadurch würden effektiv Ressourcen- und umweltschonende Produktion und Dienstleistungen ermöglicht.
- Infrastrukturen bereitzustellen, die der öffentlichen Daseinsvorsorge dienen, die Nutzer/innen und nicht Finanzmarktinteressen ins Zentrum stellen.
- Politik gegen den weiteren Ausbau fossiler Energiequellen und stattdessen eine konzertierte Aktion der G20 zugunsten des Ausbaus der Erneuerbaren.
- die weltweite Stärkung der Gesundheitssysteme und die Stärkung der Weltgesundheitsorganisation die für diese Aufgabe bestimmt ist; den Ausbau öffentlicher Forschung, um Epidemien zu bekämpfen oder Antibiotika-Resistenz anzugehen.
- dass, wer wie die G20 100 Millionen neue Jobs für Frauen schaffen will, sich auch um die Rahmenbedingungen kümmern muss, die Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern: Dazu gehört die Überwindung der Gender Pay Gap von Frauen gegenüber Männern weltweit, dazu zählt aber auch das Fördern einer gerechteren Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen in der Pflege und der unbezahlten Haushalts-und Erziehungsarbeit und deren Anerkennung als notwendige Arbeit, die Erwerbsarbeit überhaupt erst ermöglicht.
„Demokratisch legitimierter Multilateralismus und Bürgerbeteiligung“
Die Regierungschefs der G20-Staaten repräsentierten „vornehmlich eine kleine Elite der UN-Mitgliedsstaaten“, sie sich selbst ermächtigt hätten und deshalb nicht demokratisch legitimiert seien. Zudem misstraue die G20-Elite der Vielfalt und Gestaltungsfähigkeit einer vernetzten globalen Bürgergesellschaft.
Die deutsche Präsidentschaft bemühe sich im Vergleich zu vorausgegangenen Gipfelrunden zwar um eine „offene und transparente G20“, zu der auch ein breit angelegter Dialog mit sieben Beteiligungsgruppen gehöre, darunter auch mit der Zivilgesellschaft. Doch die Zivilgesellschaft allein in Deutschland sei viel breiter und vielfältiger als die wenigen Nichtregierungsorganisationen und Verbände, die in der offiziell anerkannten „Civil-20-Beteiligungsgruppe“ vertreten sein könnten.
Es sei zwar vergleichsweise ein Fortschritt, dass es diesen Prozess gäbe., Deutschland könne hier seinen G20-Partnern ein gutes Modell präsentieren, das möglicherweise auch diesbezügliche Normen für die Zukunft mitbestimme. Aber es existiere bislang kein festes und verbindliches Regelwerk, in dem
- die Mitspracherechte und
- die Gestaltung effektiver Arbeitsprozesse der Beteiligungsgruppen
festgelegt sind. Zieht die G20-Karawane weiter, nach in Argentinien 2018, seien „derzeit vor allem für die Civil-20-Beteiligungsgruppe wieder alle Fragen offen:
- Wird Zivilgesellschaft eine offizielle Anerkennung und Förderung erleben?
- Wird es – jenseits von öffentlichkeitswirksamen Alibireflexen – ein ernsthaftes Interesse der jeweiligen Gastgeberregierung an der Mitwirkung der eigenen und der internationalen Zivilgesellschaft geben?
- Von den Menschen, die sich außerhalb dieser Prozesse zu Wort melden und auf die Straße gehen wollen, ganz zu schweigen?“
Eine Globalisierung ohne Beteiligungsgerechtigkeit, ohne Rücksicht auf die Interessen der Mehrheit schlechthin, werde auf eine höchst unschöne Weise scheitern.
- Wie dieses Scheitern aussehen könnte,
- von welchen Folgen es begleitet würde,
darauf gäben bereits jetzt die jüngsten politischen Entwicklungen und Ankündigungen in einigen der G20-Länder einen düsteren Ausblick.
Mehr denn je gehe es also nun darum, eine bislang rein ökonomische Globalisierung neu auszurichten und um ökologische und demokratische Elemente zu ergänzen.
Im Kern gehe es um Weichenstellungen für die Zukunft:
- um demokratische Formen eines effektiven Multilateralismus dem es gelingt, den gegenwärtigen Trend eines nationalen egoistischen Protektionismus umzukehren und
- Lösungen für eine gerechtere, ökologische und menschenrechtsorientierte Politik zu organisieren.
Die Böllstiftung fasst abschließend zusammen:
Dafür setzen wir uns ein!
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