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The media is the damage

Erstellt am 14.06.2012 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 4660 mal gelesen und am 14.06.2012 zuletzt geändert.

Gehirnforscher Manfred Spitzer über die Auswirkungen von gewalttätigen Programmen auf das kindliche und jugendliche Gehirn.

Manfred Spitzer ein Verschwörungstheoretiker der Mediengewaltforschung?

Spitzer wird natürlich auch als „Verschwörungstheoretiker der Mediengewaltforschung“ gegeiselt von Gamer und Libertären

Kennt ihr Manfred Spitzer? Das ist ein sehr bekannter Neurologe, der auch auf br-alpha eine eigene Sendung namens Geist und Gehirn hat. Er wird gerne und oft zu Vorträgen geladen und seine Publikationen sind weit verbreitet. Und das ist ein Problem, denn der Mann ist gefährlich.

Aktuell habe ihn der Tagesspiegel zu einem Interview geladen,

in dem er wieder einmal seine Weltsicht verkünden konnte, die von einigen Lesern durchaus als Fakten verstanden werden könnten. In “Kinder lernen besser ohne Computer”

könne

der Leser all die Thesen erfahren, mit denen Spitzer seit vielen Jahren die Diskussion um “Neue Medien” belastet.

Da werde der Bankrott des deutschen Bildungssystems attestiert, weil Computer eingesetzt werden, die ja “Müll” seien.

Dort wird erneut behauptet, dass Fernsehen Leute dumm und gewalttätig macht. Und den Klassiker der Messung von physischen Komponenten wie Blutdruck, Herzfrequenz und Hautwiderstand, um auf psychisch-soziale Elemente zu schließen. Jeder der sich ein wenig mit Medienwissenschaften auseinandergesetzt hat, schlägt bei Spitzers Thesen die Hände über dem Kopf zusammen, aber er ist gerade im Umfeld von Lehrern und Pädagogen äußerst beliebt. Seine Schuldabwälzung auf Medien kommt diesen Berufsgruppen ja auch sehr entgegen, wie auch im Interview deutlich wird. Aber schauen wir uns mal ein paar der Thesen dieses Mannes an.

Bei Recherchen zum Thema Jugendschutz nehmen sich „Medienwissenschafter“ Spitzers bislang bekanntestes Buch zum Thema Vorsicht Bildschirm gerne vor.

Da dieser Mensch sich öfters sehr kritisch zu den Tätigkeiten Fernsehen und Videospielen geäußert hat, hatte ich keine sonderlich hohen Erwartungen an das Buch. In ihm finden sich hetzerische Passagen, er vergleicht Bildschirmmedien mit Umweltverschmutzung und spricht immer und immer wieder davon, dass Bildschirme Tausende von Menschen auf dem Gewissen haben und noch töten würden. Kling seltsam? Nun, hier die Kernthese:

“Wären Bildschirme nie erfunden worden, dann gäbe es alleine in den USA jährlich etwa 10.000 Morde und 70.000 Vergewaltigungen weniger sowie 700.000 weniger Gewaltdelikte gegen Personen, wie schon Anfang der 90er Jahre der Epidemologe Brandon Centerwall […] berechnet hat.” (Spitzer, Manfred: Vorsicht Bildschirm. Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft. Ernst Klett Verlag: Stuttgart Düsseldorf Leipzig 2005. S. 8.)

Das fand der Blogger „scorpiodorp“ dann doch etwas seltsam und habe sich

mal angeschaut, was der Herr Centerwall denn so geschrieben hat.

„Die Basisthese von Centerwalls These“ besage,

dass in jedem Land, welches Fernsehen einführt, sich die Anzahl der Morde innerhalb von 15 Jahren verdoppelt. Centerwalls Grundlage für diese Behauptung umfasste aber nur drei Staaten: die USA, Kanada und Süd Afrika. Dabei vergleicht er die Mörderraten der weißen Bevölkerung im Zeitraum von 1945 bis 1974 und den Besitz von Fernsehgeräten. Anhand der stabil bleibenden Zahl an Morden in Süd Afrika während dieser Zeit ohne Fernsehprogramm, aber einer steigenden Zahl von Morden in Kanada und den USA jeweils mit Fernsehprogramm, schloss er, dass bei gleichbleibender Geschwindigkeit, eben jene oben erwähnten 10.000 Morde und weitere Gewalttaten in Amerika stattfinden würden. Diese Ergebnisse sind allerdings wertlos, da Süd Afrika da die dortigen Morde an der weißen Bevölkerung nicht einmal 5% der örtlichen Mordfälle ausmachten, was die Ergebnisse grob verfälschte.

Bei einem Vergleich der These von Centerwall durch Franklin E. Zimring und Gordon Hawkins mit den vier Industriestaaten Frankreich, Deutschland, Italien und Japan, hätten diese heraus gefunden, dass die Mordraten im untersuchten Zeitraum und bei steigendem Fernsehkonsum entweder konstant blieben wie im Falle Italiens, oder sogar sanken wie bei den drei anderen Ländern. Zudem gehe Centerwall auch nicht auf die Inhalte des Fernsehens ein, sondern nur auf den Besitz eines Fernsehgeräts. (Rhodes, Richard: The Media Violence Myth)

Ferner finde sich in Vorsicht Bildschirm die Behauptung, dass „Jungen das Internet nur für illegale Downloads und „Ballerspiele“ nutzen“, wohingegen „Mädchen das Internet für Kommunikation und Recherche nutzen würden“.

Daraus schließt Spitzer, dass Mädchen früher und mehr Zugriff auf das Internet haben sollten als Jungen.

Pädagogisch sei das fragwürdig. Wobei der Blogger nicht näher erläutert was daran so fragwürding sein.  Er wirft Spitzer  aber vor, das er in Vorsicht Bildschirm (S. 140), dass er als Beweis für diese Behauptung nur die Beobachtung seiner eigenen Kinder anführe. Diesbezüglich empfehle ich einmal das Buch von Spitzer über das Lernen aus 2003 zu lesen. Besonders den Abschnitt über Gewalt lernen und seine Beobachtungen in den USA, die ihn bewogen die Sache etwas gründlicher anzugehen. Das Spitzer als Begründung für seine „Behauptungen“ die sachlich einfach Thesen sind nur die Beobachtung seiner Kinder anführe ist aus meiner Sicht absolut untergriffig, denn Spitzers Verdienst ist das er versucht populärwissenschaftlich und ansprechend zu schreiben. Eine gewisse polemische Zuspitzung von Thesen würde ich Spitzer schon attestieren. Seine Polemik hat aber in der Zusammenschau eine sachliche Grundlage die „Gamern“ alt aussehen lässt und „Medienwissenschafter“ und ihre Verwertungszusammenhänge sehr erfrischend erhellt.

Verwirrender sei allerdings Spitzers weiterer Schluss aus der Mediennutzung Jugendlicher:

„Das Resultat ist schon fast unheimlich und besteht unter anderem darin, dass trotz jeder Menge realer Kriege in der wirklichen Welt die Diskussion immit 4:3 männlich dominierten Familienkreis von fiktionalen Kriegen (von Star Wars bis Herr der Ringe) beherrscht wird.“ (265 Vgl. Spitzer, Manfred: Vorsicht Bildschirm. S. 140)

Spitzer suggeriere damit, dass fiktionale Gewalt keine Daseinsberechtigung hätte, selbst wenn sie mystifiziert dargestellt werde, wie in den Filmen Star Wars oder Herr der Ringe, da Gewalt ja real existiere. Im ganzen Buch definiere Spitzer aber nicht, was er unter Gewalt verstehe, schreibt aber immer wieder von der Wirkung von Gewalt, die er knapp, aber ohne Belege zusammenfasse:

„Fernsehen fördert die Gewaltbereitschaft und führt zu mehr Gewalt in der wirklichen Welt.“

(Vgl. Spitzer, Manfred: Vorsicht Bildschirm. S. 167)

Spitzer lasse zudem keine Kritik an seinen Thesen zu und kritisiere Studien und Personen, die ihm widersprechen nicht inhaltlich, „sondern plump mit persönlichen Anschuldigungen“ oder behaupte gar, dass „Autoren von der Industrie gekauft wurden“ (Vgl. Spitzer, Manfred: Vorsicht Bildschirm. S. 256).

Als Beispiel bezeichnet Spitzer die Feststellung der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), dass die Forschungslage uneinheitlich sei, als „dreist und dümmlich-intellektualisierend.“ Zudem sei die BpB „völlig blind für die Gefahren der Bildschirm-Medien.“ Und er stellt fest: „Es stimmt sehr nachdenklich, wenn wir solchen Unfug sogar mit öffentlichen Geldern bezahlen und verbreiten.“ Nicht nur, dass Spitzer mit seiner Leugnung des wissenschaftlichen Diskurses schlicht Unfug erzählt, verbreitet er zudem mit Verweisen auf scheinbar verschwendete Steuergelder Populismus. (Vgl. Spitzer, Manfred: VorsichtBildschirm. S. 188 & 281). OK, das kann so gesehen werden. Allerdings könnte man auch sagen: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“. Ich fand Spitzers Enttarnung heiliger Medienwissenschaftlicher Kühe und Institutionen erfrischend und erhellend. Die Polemik ist für mich im Zusammenhang zu lesen und nur weil einige Wissenschafter längst widerlegte Aggressionstheorien aus den letzten 2500 Jahren wiederkäuen haben ihre Argumente nicht die selbe Relevanz wie Spitzers Hauptargumente. Bei aller Polemik, die natürlich ihren Preis hat, sind Spitzers Behauptungen durchaus bedenkenswert und fern dessen was als landläufig als Verschwörungstheorie zu bezeichnen wäre.

Gegensätzliche Studien zu Spitzers Thesen seien nach ihm schlicht falsch, ohne dass er sich die Mühe mache, inhaltlich auf eine dieser Studien einzugehen. Letzteres wäre noch einmal näher zu prüfen.

Irritierend sei zudem Spitzers Ansicht, dass Wahrnehmung objektiv sei (Vgl. Spitzer, Manfred: Vorsicht Bildschirm. S. 188. Das sei

eine Theorie, die spätestens seit dem zweiten Weltkrieg in der Medienwissenschaft als Stimulus-Response-Modell widerlegt gelte. Oftmals befinde sich seine Argumentation nur auf Stammtisch-Niveau, wie etwa

„Die Datenlage ist eindeutig, die freiwillige Selbstkontrolle der Medien funktioniert nicht. Wann werden Politiker hierauf reagieren?“ (Vgl. Spitzer, Manfred: VorsichtBildschirm. S. 206)

Spitzer gebe aber auch keine Verbesserungsvorschläge, für die nach ihm desolate Lage. Als im Juli 2006 ein 19-jähriger einen Obdachlosen ermordete, gab er später als Grund für seine Tat an, durch das Wrestling-Videospiel SmackDown vs. Raw 2006 beeinflusst worden zu sein. Der arbeitslose Jugendliche aus zerrütteten Familienverhältnissen und mit nationalsozialistischer Gesinnung war Alkoholiker und hatte während des Spielens genug Alkohol konsumiert, um vor dem Mord bereits durch Vandalismus in eine Polizeikontrolle zu geraten, wo 1,73 Promille bei ihm festgestellt wurden. Bei der Verhandlung erklärte der Jugendliche, dass er unter Alkoholeinfluss die Kontrolle verlieren und aggressiv werden würde. Ungeachtet dessen behauptete Manfred Spitzer, der für das Verfahren als medizinischer Gutachter hinzugezogen wurde, dass das Spiel ein wesentlicher und auch strafmildernder Faktor wäre. (Vgl. Todt, Jens: Mord nach Gewaltspiel; vgl. Jüttner, Julia: 19-Jähriger gesteht Tötung eines Obdachlosen). Indem Spitzer Medien mit gewalthaltigen Inhalten eine Schuld an solchen Aktionen gebe entlaste er Täter. Auch eine Grundannahme des Gerichts, dass solche Medien grundsätzlich eine negative Wirkung hätten, senke das Strafmaß, da ja ein Sündenbock vorliege und Täter vermindert schuldfähiger werden.

Das sei ein Teufelskreis,

da immer mehr Verteidiger diese Idee aufgreifen, benutzen und damit durchkommen, wodurch sich die Theorie der negativen Wirkung von Gewaltinhalten in Medien sich noch weiter verbreitet, wie etwa aktuell auf geradezu stümperhafte Weise im Großstadtrevier.

Und deswegen sei „Herr Spitzer gefährlich“.

  • Er vertrete und veröffentliche eine extrem einseitige Sichtweise auf Mediennutzung
  •  die sich mit “Bildschirme schlecht” zusammenfassen lasse.
  • Er suggeriere wissenschaftliche Fakten, gestützt durch den Stand des Doktortitels und der Professur, wo es keine gäbe und das mit einem absoluten Standpunkt, wie auch direkt zu Beginn des Interviews sehr deutlich werde:

Das ist keine Panikmache, sondern die absehbare Folge unbestreitbarer Fakten. Der wirtschaftliche Erfolg eines Landes hängt letztlich vom Bildungsniveau ab, und das Bildungsniveau steht in direktem Zusammenhang mit dem Fernsehkonsum. Der massiv gestiegene Fernsehkonsum unserer Kinder bedroht – nach allem, was wir wissen – unsere wirtschaftliche Zukunft.

Unbestreitbare Fakten?

Der direkte Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Fernsehkonsum? Der gestiegene Fernsehkonsum der Kinder?

Der Fernsehkonsum von Kindern sei laut der Studien die der Blogger kenne seit Jahren rückläufig – „ganz im Gegensatz zur allgemeinen Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen“, die beständig steige. Die “junge Generation” stelle sich die Inhalte, die sie über Medien rezipiere selbst zusammen, anstatt die vorbereiteten Inhalte des Fernsehens hinzunehmen. Und der Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Fernsehkonsum sei einfach nur, dass der Fernsehkonsum mit dem Bildungsniveau abnehme. Spitzer schließe daraus, dass Fernsehen dumm mache. „scorpiodorp“ schließe daraus:

Bildungsferne Schichten schauen mehr Fernsehen.

Ähnlich verhalte es sich mit dem

Zusammenhang zwischen Gewalt und Fernsehkonsum.

Die Gruppe der bildungsfernen Menschen sei weit öfter in Gewaltverbrechen verwickelt als die bildungsnahe Schichten. Nach Logik Spitzers müsse daran auch das Fernsehen Schuld sein, denn immerhin schaue die bildungsferne Schicht ja mehr Fernsehen… Das sei eine bemerkenswerte Logik, die so ziemlich alle Faktoren ausklammere, die ihm nicht in diese These passen würden. So etwa den Zusammenhang zwischen Einkommen und Bildung, wegen dem unser Bildungssystem seit Jahren von internationalen Studien stark kritisiert werde.

Leicht amüsant werde es dann, wenn man Christian Pfeiffer aus dem Zitatsionszirkel hinzunehme, um das ganze zu widerlegen.

1999 identifizierte Pfeiffer in einer Studie innerfamiliäre Gewalterfahrungen, soziale Benachteiligung, schlechte Ausbildung und Zugehörigkeit zu „devianzgeneigten Cliquen“ als Ursachen für Jugendgewalt, sowie, dass die Jugendgewalt in der Realität weniger bedrohlich sei, als es sich in der Öffentlichkeit darstellen würde. Er halte fest, dass Jahrzehnte der Wirkungsforschung ergeben hätte, dass der befürchtete Nachahmungseffekt von Medien nur dann zum Tragen komme, wenn das familiäre und gesellschaftliche Umfeld die gleichen Verhaltensweisen belohnen würde. Wenige Jahre später wurde allerdings dieser Zusammenhang zum wichtigsten Faktor.

Doch dazu mehr, wenn wir zu Pfeiffer kommen…

Pfeiffers Faktorenanalysen werden wohl auch „messerscharf“ vom Verschwörungstheorie-Enttarner ins in Spitzers Eck gebloggt werden:

http://scorpiodorp.wordpress.com/tag/christian-pfeiffer/

Insgesamt bleibe festzuhalten, dass Spitzer im Bereich der Mediengewalt nur

  • „mit lange widerlegten Studien“,
  • „erfunden Zahlen“ und
  • „Holzhammerthesen“ argumentiere,
  • „die direkt aus seiner schwarz-weißen Welt- und Mediensicht stammen und auf Verbote hinauslaufen“.

Das gefährliche sei, dass man ihm zuhöre.

  • Vor Gericht,
  • in der Politik und
  • im Fernsehen.
  • Vor allem bei Pädagogen und Lehrern, die die Verantwortung für eine Erziehung zur kritischen Mediennutzung tragen.

Verbieten sei aber keine kritische Auseinandersetzung. So weit ich Spitzer verstanden habe hat er seinen Kindern das TV-schauen nicht verboten, sondern er hat gar keinen Fernseher im Haushalt. Schade, dass ich sogenannten „Experten-Empfehlungen“ auf den Leim ging bei meinen eigenen Kindern.

Uff!

Nachdem ich mich nun durch diese Anti-Polemik gemüht habe, rate ich

  • Spitzers Videos im Netz anzusehen,
  • seine Bücher zu lesen und
  • zwar gründlicher und ergebnisoffener und kritischer als „die“ Medienwissenschaft sich das leisten kann

 

 

Posted in Abrüstung, Friedensarbeit, Friedensforschung, Friedenskultur, Friedenspädagogik, Gewaltprävention, Tipp, Unfrieden, Weltanschauungen

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