Dieser Artikel wurde 6702 mal gelesen und am 13.06.2012 zuletzt geändert.
Brauchen wir Frieden mit den Vätern?
Oder brauchen wir „Schärfere Sanktionen für Gewalttäter“ wie dies Rosa Logar, Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie kürzlich forderte. Der Anlassfall ereignete sich am Freitag 25. Mai in St. Pölten in Niederösterreich in der Volksschule Wagram.
Der eingebürgerte Engin K. (37), Kebabstand-Besitzer, erschießt seinen Sohn Berk (7) und erschießt sich dann selbst. Logar fordert daher nun einen Haftantrag bei wiederholter Gewalt in der Familie.
Nach der ersten Einschätzung der Krisenpsychologin Eva Münker-Kramer seien etwa 85 Prozent der Täter, die Familienmitglieder töten, Männer.
Der Tat gehe meist ein emotionaler Eskalationsprozess voraus – so auch in diesem Fall:
Am Dienstag hatte Gattin Senay K. Scheidungsklage eingereicht. In der Beziehung hatte es offenbar schon länger gekriselt. Die Krone berichtete: „Ich hatte mit meinem Schwiegersohn kaum Kontakt“, sagte Mehmet K., der Großvater des Opfers. „Die letzten Tage wohnten meine Tochter und ihre beiden Kinder bei mir.“
Die drohende Scheidung hat der Engin K. der Vater von zwei Kindern offenbar nicht verkraftet.
Es gab Schläge und Drohungen.
Die Mutter ging nach der Scheidungsklage am selben Tag zur Polizei und erstattete Anzeige gegen ihren Ehemann.
Engin K. wurde weggewiesen. Das heißt, es wurde ihm von der Polizei der Wohnungsschlüssel abgenommen.
Bei den Einvernahmen gab sich Engin K. allerdings kooperativ, so die Staatsanwaltschaft St. Pölten, „dass von einer Untersuchungshaft abgesehen wurde“.
Die zweite Befragung fand einen Tag vor dem Drama statt.
Der 37-Jährige wurde trotz Haftantrags der Polizei lediglich auf freiem Fuß angezeigt.
Ein tödlicher Fehler, wie sich herausstellen sollte.
Wegsperren von rabiaten Vätern hilft wahrscheinlich, allerdings nur so gut wie die Aufstockung der Mittel für die Feuerwehr in Fukushima. Try harder – scharfe Sanktionen verschärfen – unter sonst gleich bleibenden Bedingungen – schafft mit Sicherheit noch mehr Frustrationen,Aggressionen und Blackouts bei Vätern mit verpfuschter Sozialisation. Vater Staat fördert aber gerade die gelungene Sozialisation von Männern und Vätern kaum. Für das Empowerment von Frauen werden Millionen ausgegeben. Das ist gut und richtig. Buben, Burschen, Männer, Väter werden mit negativen Sanktionen nieder-gegendert. Die Mittel für das „hoch-gendern“ von Männern, das heißt die Förderung im erlernen eines sozialeren Verhalten gegenüber Frauen, Kinder und sich selbst gegenüber ist das Stiefkind der Politiker_innen in Österreich. Gender-Mainstreaming heißt heute in erster Linie Frauenförderung und anti-sexistische soziale und staatliche Repression. Aber wie formulierte Gandhi der alte Patriarch es so trefflich:
Ein Sieg der durch Gewalt errungen wurde, ist mit einer Niederlage gleichbedeutend, denn er ist nur vorrübergehend.
Klassische Polizei-, Justiz, Sicherheitsarbeit hat mit Prävention im wissenschaftlichen Sinne fast nichts zu tun. Sie ist nur auf die Unterbrechung krimineller Handlungen mit schützender Macht gerichtet. Das ein sehr verantwortungsvoller Job in einem Rechtsstaat. Vertrauen in die Exekutive und die Justiz ist schwerer zu gewinnen als zu zerstören. Staatliche Fehler oder gar Machtmissbrauch in diesem Zusammenhang erschüttern den sozialen Frieden in seinen Grundfesten nachhaltig – wie leider einige aktuelle Fälle zeigen.
Staatsgewalt statt Prävention oder gar Friedensarbeit
Anzeigen, Verhaftungen, Ein- oder Wegsperrung von Tätern haben ebenso wenig Sozialisierungseffekte wie „Schwarze Pädagogik“. Sie zielen, nüchtern betrachtet, in der Regel auch nicht auf Resozialisierung. Sie sind höchstens abschreckend solange Kontrolle möglich ist. Fällt die übermächtige Gewalt der Sicherheitsarbeiter weg, entsteht ein toter Winkel von Kontrolle und Überwachung. Aggressionsgesteuerte Gewalttäter stoßen sofort mit viel Energie und Kreativität in dieses Vakuum. Sie sind in der Regel „nicht ganz bei Trost“, sprich nicht voll zurechnungsfähig, in Rage, …
Staatliche Präventionsmöglichkeiten
Friedenspädagogische Gewaltprävention arbeitet dagegen an der Wurzel der Kriminalität. Sie säht Wohlverhalten im Keim bzw. hegt und pflegt soziales Verhalten im öffentlichen Raum und in privaten Sphären bei Männern aber auch bei Frauen. Die Beteiligung letzerer an der Eskalation von Familiendramen oder bei der Gewalt in der Schule ist zur Zeit nicht opportun. Opfer-Täter-Verfolger-Spiele sind leider Volkssport Nummer 1. MentorInnen-Musen-MacherInnen-Spiele wären eine Alternative.
Was steht am Spiel?
Ein mehr an staatlicher Repression zur Unterdrückung von Männergewalt ist in etwa so sinnvoll wie ein Plutonium-Filter der 99,99 % des erzeugten Plutonium vor dem Austritt in die Umwelt verhindert. Präventive Arbeit mit Männern wäre im Vergleich dazu viel nachhaltiger. Denn jeder Bub, Bursche oder Mann der lernt mit friedlichen Mitteln seine Konflikte zu bearbeiten ist ein Vorbild – für seine Kinder und sein soziales Umfeld.Als Vorstand im Zentrum für Interaktion, Medien & soziale Diversität (ZIMD) arbeite ich seit 2006 friedenspädagogisch im Bereich Gewaltprävention mit Buben, Burschen und Männern. Außerdem habe ich seit 2007 mit mehr als 1500 Mädchen mit Roberta und Robina emanzipatorisch gearbeitet.
Auch an der Pädagogischen Hochschule unterrichte ich zu diesem Thema Lehrerinnen und Lehrer.
Da ich des öfteren in Wiener Schulen arbeite, in denen 70 % der Buben und Burschen keinen Erzeugervater im Haushalt haben, die häufig bis ins Alter von 14 zu 70 bis 100 Prozent von Frauen unterrichtet werden, haben wir heuer beim Sozialministerium und beim Familienresort um die Förderung einer Vätergruppe angesucht. Das war eine logische Konsequenz meiner bisherigen Arbeit mit Lehrkräften und Burschen. Denn:
Buben die am meisten Probleme machen haben in der Regel auch die meisten Probleme
mit ihren leiblichen Vätern oder
mit Vaterentbehrung.
mit ihren Müttern – die oft mehr als einen Prinzen zum Frosch küssen.
Die Pubertät ist für alle Burschen schwierig. Für Burschen mit bi- oder gar multi-kulturellen Wurzeln ist sie ungleich schwerer. Ihre familiär gelebten Wert und Normen weichen von den herrschen Normen und Werten in Österreich ab. Diese Pubertieren müssen immense zusätzlichen Anpassungsleistungen erbringen. Die von der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Ressourcen in Hot-Spot-Schulen und Familien sind in der Regel äußerst bescheiden.
Minima Moralia guter Vielfalt im globalen Dorf
Gute Vielfalt, in der die in der Wissensgesellschaft heiß begehrte Innovationen gedeihen, ist in der Regel konfliktträchtiger. Das wird aufgrund projektiver Idealisierung von Diversität oft verdrängt. Dragica wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass grinst es von in urtümlichem Sinne idiotischen Plakaten.
Kulturelle Vielfalt und Toleranz erfordern aber wesentlich konfliktfähigere und sozial komptentere Menschen.
Menschen, die Konflikten kulturell, strukturell und personell vorbeugen und de-eskalieren können, statt sie kurzfristig nieder zu bügeln.
Neue Väter und neue Mütter
Die Wegweisung eines Mannes aus der Familie ist der Beweis das Prävention, das heißt die Arbeit im Vorfeld der Eskalation des Konfliktes nicht oder nicht hinreichend professionel und umfangreich geleistet wurde. Markt und Staat/Gesellschaft haben versagt.
Was wäre zu leisten?
Romeo Bissuti den Leiter des Männergesundheitszentrums wurde nach der parlamentarischen Enquette 2010 in Wien leider nicht erhört. Der Titel der Enquete war „Konflikten konstruktiv begegnen – Aktuelle Herausforderungen im Familienrecht“:
Je eher, nämlich nicht erst bei der Trennung und bei der Scheidung, sondern womöglich noch in aufrechter Ehe, es bezüglich der Vaterrolle und der Versorgungsleistungen für die Kinder eine gute Rollenaufteilung gibt, wo also Väter von vornherein für die Versorgung, für die Pflege und so weiter, für die Kinder genauso mitverantwortlich sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es nachher bei Trennungs- und Scheidungsverfahren zu diesen hocheskalierten Konflikten kommt. Wenn man im Vorfeld schon deeskalierend wirken möchte, dann – und das ist ein dringender Appell – muss man all jene Maßnahmen unterstützen, die es Vätern, Männern ermöglichen, ihre Rolle als Vater und als Mann da gut einzunehmen.
Das ZIMD hat heuer wieder Burschentrainings und erstmals auch eine „Vätergruppe“ zur Förderung eingereicht – im BMAS und im Familienressort. Nun fällt dieses Projekt, so wie es aussieht, wahrscheinlich durch den Rost der zersplitterten Förderlandschaft (Gender, Kinderschutz, Tatprävention, Elternarbeit, Elternbildung, Gewaltprävention, Männerpolitik, Sicherheitspolitik, Diversity und Integration, Konfliktkultur, Friedenspädagogik, Erwachsenenbildung etc.).
Väterarbeit mit friedlichen Mitteln versus Peitsche für die Väter und Zuckerbrot für die Frauen
Gewaltprävention nach dem Fukushima-Feuerwehr-Spende-Prinzip ist besser als nichtsUnser Projekt zur Gewaltprävention bei Burschen, für das wir die Sozialmarie, den Benya-Preis und Mittel von der Gala Wider die Gewalt erhielten wird höchstwahrscheinlich 2012 mit zirka 14.000 gefördert. So sehr uns das freut, bedauern wir, dass die öffentliche Hand in der Verhinderung von Männergewalt in Österreich leider immer noch viel zu spät ansetzt und zu anlassbezogen agiert. Wenn in der Folge frustrierte Väter in Kindergärten oder Schulen eindringen und ihre Söhne erschießen oder entführen und Pädagoginnen und Frauen bedrohen etc., dann ist der Schaden enorm. Aber gerade in dieser Situation sollte hinreichend gründlich nachgedacht werden. Den kleinen Berk und seinen Vater kann niemand wieder lebendig machen. Berk Tod könnte aber Sinn stifen, wenn die Regierenden in Österreich beherzt, tiefgründig, weitblickend und weise einen Wandel in die richtige Richtung in Gang zu setzen.
Regionen mit 70 % der Burschen ohne Erzeugervater im Haushalt
Ich mache, wie bereits erwähnt, Burschentrainings in Schulen in Wien wo 70 % der Burschen keinen Erzeugervater im Haushalt haben. Daher müssen viele Burschen ihre Männer- und Vaterbilder vor allem aus Medienfantasien konstruieren. Buben, die elterlicher Gewalt – in all ihren offenen und versteckten Formen – ausgesetzt sind, sind in der Regel die größten Sorgenkinder der PädagogInnen. Väter sind aber die größte Herausforderung in der Elternarbeit. Denn die meisten Männer haben noch keinen Frieden mit ihrem Vater geschlossen und laufen mit unversorgten Vaterwunden herum. Ihnen einmal im Jahr Alkohol und Zigarren zu schenken, ist ebenso irrwitzig wie einer geknechteten Mutter mit Kummerspeck am Muttertag Süßigkeiten zu schenken. Der Vater braucht vieles zum Vatertag aber sicher keinen Alkohol und keine Zigarren.
Krieg den Vätern?
Der Return-on-Investment von Väterarbeit für die Gesellschaft ist potentiell sehr hoch
Professor Lösel – zurzeit Direktor des Institute of Criminology, University of Cambridge – lieferte 2008 bemerkenswerte Zahlen zu den sozialen Kosten krimineller Männer.[1] Sie wurden von mir, als gelernter Volkswirt, ergänzt durch Schätzwerte für den Entgang an gesellschaftlichem Nutzen, den unreife Männer bzw. Väter nach sich ziehen:
Ein gelungen sozialisierter Mann/Vater erwirtschaftet durchschnittlich zirka 4.000.000 Euro im Laufe seines Lebens (die Hälfte davon, 2 Mio., sind Steuern)
Ein straffälliger junger Mann kostet die Gesellschaft zirka 1.000.000 Million Euro (2 Jahre Anstaltsunterbringung zirka 100.000-200.000 Euro, etc.)Die Alternativkosten von unterlassener präventiver Väterarbeit sind nach dieser Schätzung ca. 5.000.000 Euro pro „Problem-Vater“.[1] Univ. Prof. Dr. Friedrich Lösel, Direktor des Institute of Criminology, University of Cambridge, UK am 28. November 2008 in Wien in seinem Vortrag «Prävention von Aggression und Delinquenz in der Entwicklung» im Rahmen von «Gemeinsam Gegen Gewalt» im Siemens Forum Wien.
Direkte Gewalt in der Familie ist vorwiegend männlich, wenn auch die Rolle der Frauen als Mittäterinnen bei Überschreitung von psychischen männlichen Schmerzgrenzen in der Regel stark unterschätzt wird. Das ist aber nur die Negativseite.
Positiv leisten befriedigende Väter für ihre Familien natürlich mehr als sich in rein wirtschaftlichen Kalkülen fassen lässt – siehe Romeo Bissuti oben. Nun die ZIMD-Vätergruppe ist ein Angebot das genau hier ansetzt. So wie es aussieht wir sie mangels Koordination der bürokratischen Vernunft bislang heuer den Rost fallen.
Das Frauenministerium fördert Väterkarenz hauptsächlich durch Plakate und Studien zu deren Bewerbung,
der Sozialminister hat zwar ein interessantes Buch „Zeit zum Vatersein“ publiziert aber ich bezweifle, ob das die Männer erreicht, die es am notwendigsten hätten. (In der Praxis ist gerade die Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit der Väter, die es am notwendigsten hätten, am geringsten. Die öffentliche Hand würde gut daran tun hier koordiniert vorzugehen).
Männer sterben früher, rasen öfter, töten sich und andere häufiger, trinken mehr und handeln häufiger kriminell. Doch diskutiert werden diese Fakten nur als Fragen der Gesundheits-, Verkehrs- oder Sozialpolitik. Dass es sich dabei auch um Gleichstellungs- und männerpolitische Fragestellungen handelt gerät bislang regelmäßig aus dem Blick.
Männerpolitische Stellen in Bund, Ländern und Gemeinden und Ressourcen für gezielte emanzipatorische Väterarbeit machen fehlen. Sie allerdings wesentlich mehr Sinn machen als verstärkte Männerrepression. Investitionen in Frauenförderung und Kinderschutz sind gut. Die Förderung sollte aber aber auch „Wälder“ in denen neue Vätern still und leise heranwachsen können. Sie müssen Gedeihen, ihnen muss es schmecken und nicht nur gendergeauftragten PapiertigerInnen und Populisten. Handeln sie wie Staatsmänner und Staatsfrauen. Ein wachsender Wald macht aber weniger Lärm als ein fallender Baum das ist für die Lenkung der Ressourcen und der flankierenden Öffentlichkeitsarbeit zu berücksichtigen.
Und Männer mal ehrlich, schließen wir uns zusammen und werden wir besser – solange es noch Zeit ist.