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Friedliche Mittel in der Revolution in Tunesien

Erstellt am 17.12.2011 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 6780 mal gelesen und am 07.07.2021 zuletzt geändert.

Mary Elizabeth King schrieb auf wagingnonviolence.org am 14. Dezember 2011, 12.38 Uhr einen interessanten Post: „Ein Jahr später, die Wurzeln des Erfolgs für Tunesiens Revolution“ („One year on, the roots of success for Tunisia’s revolution“).

Die Nachrichten der Mainstream-Medien in letzter Zeit seien meist mit den zahlreichen Konflikten bezüglich der Wahlen in Ägypten gefüllt gewesen. Und davor waren sie nach meiner Beobachtung vorwiegend mit dem Show-Down am Ende der „NATO-Revolution für Wasser- und Ölkonzerne“ unter dem Deckmantel des – im Kosovo und im Irak erprobten – humanitären Krieges.

Die Medien pochen auf Freiheitsrechte mit dem Argument, dass sie der Aufklärung des Publikums dienen? Bart de Ligt stellte 1936 die nach meinen Beobachtungen gut belegbare Hypothese auf:

„Je mehr Gewalt, desto weniger Revolution“desto mehr gewalt desto weniger Revolution“ und Gandhi

„Was man mit Gewalt gewinnt, kann man nur mit Gewalt behalten.“

Mahatma Gandhi

Warum haben sich die Medien in den Demokratien nicht mehr für Tunesien interessiert? Wer Gewalt als Mittel der Politik „ok“ findet übersieht die gravierende Unterschiede in den „Revolutionen“ leicht.

Der differenzierte Blick auf die sogenannten „Revolutionen“ in der arabischen Welt gedeiht auf solchem Boden nicht.

Der NATO Krieg in Libyen zum Sturz eines missliebigen Regimes unter Nutzung des allgemeinen Unmutes in den arabischen Diktaturen, nach der Überrumplung des UN-Sicherheitsrates, kam ganz anderes zustande wie die Revolutionen in Tunesien und später in Ägypten. 

 Peter Sloterdijk, schrieb in „Zorn und Zeit

Insbesondere der sogenannte globale Terrorismus ist ein durch und durch posthistorisches Phänomen. Seine Zeit bricht an, wenn sich der Zorn der Ausgeschlossenen mit der Infotainmentindustrie der Eingeschlossenen zu einem Gewalttheatersystem für letzte Menschen verbindet.

Das Abheben der Revolution in Tunesien am 17.12.2010

Weit weniger Aufmerksamkeit als die heißen Konflikte in der arabischen Welt erhielt die sensationell schnell und erfolgreich erwirkte Wahl in Tunesien. Obwohl:

  • Auch Tunesien hat sich heuer  von der Herrschaft eines Diktators befreit.
  • Mehr als 100 politische Parteien teilnahmen.
  • In Tunesien wurde im Oktober eine demokratische Wahl erfolgreich etabliert, um die Mitglieder der 217-köpfigen Versammlung zu wählen die eine neue Verfassung entwerfen und ein Parlament wird.

Auf der Szene , Die ehemalige US-First Lady Rosalynn Carter stellte als internationale Beobachterin fest:

„Es scheint, dass jede/r eine gute Wahl will – Politiker, Militärs (die nicht politische), die mächtigen Gewerkschaften, die Polizei, die Menschen – und alle sind bereit zu Kompromissen, um dies zu tun.“

Viele Menschen in den arabischen Länder sehen diese Wahlen als Prototyp. Sie feiern sie deutlich sichtbar als Erfolg für den Übergang zu modernem politischen Denken in der arabischen Welt. „Saubere Wahlen“ treten natürlich nicht spontan auf.

Wie konnte das Wunder von Tunesien passieren?

Der Aufstand in Tunesien wurde spätestens seit 2008 vorbereitet. Damals

  • begannen die Proteste im Bergbau-Becken von Gafsa begann.
  • Zwei junge Leute, in der Küstenregionen Monastir und Metlaoui im ​​Südwestenhaben sich am 3. März 2010 selbst geopfert sich. Der Französisch Journalist Olivier Piot schrieb, dass bereits 1998 die Verbrennungsspezialisten eines großen Tuniser Krankenhauses laut einer Studie schätzen, dass 15,1 Prozent der Fälle durch“Selbstmord durch Feuer“ in Tunesien entstanden. Die Autoren der Studie betrachteten diese Handlungen nicht als Selbstmorde ohne Motiv, sondern als „eine Antwort unserer Jugend auf eine andere Art von Gewalt.“
  • Die tunesische Regierung verfolgte die Zivilgesellschaft intensiv seit 2008. Sie schaffte es aber bis 2011 fast die gesamte Gesellschaft zur Durchführung fairer Wahlen zu vereinen.
  • In der zentralen Stadt Sidi Bouzid am 17. Dezember 2010 setzte sich Mohamed Bouazizi – ein Arbeitsloser Obst und Gemüse-Verkäufer  – aus Verzweifung selbst in Brand. Er löste die weitgehend gewaltfreie Revolution aus.
  • 40 Prozent der Bevölkerung unter 25 Jahren war in Tunesien 2011 arbeitslos
  • Hochschulabsolventen waren die ersten die nach Bouazizis Tod aktiv wurden. Ihre Bemühungen fielen in Städten wie Thala, Sbeitla, Sidi Bouzid, Regueb, Douz und Kairouan auf fruchtbaren Boden. Diese Städte lagen meist im Landesinneren. Sie waren besonders wirtschaftlich vernachlässigt, im Gegensatz zu den Küstengebieten, die Geldern aus Tourismus und Entwicklung vor allem für die korrupten Eliten abwerfen konnten. Kaum Hoffnung auf Beschäftigung und tiefe Verzweiflung führten vor allem diese jungen Menschen in Tunesien den Aufstand.
  • Empörung wandtelte sich dann in sozialen Unruhen und verbreitete sich in den zentralen und westlichen Regionen.
  • Ein weiterer 31-jähriger Mann hat sich in Metlaoui am 5. Januar selbst geopfert. An diesem dem Tag besuchten 5000 Menschen die Beerdigung von Bouazizi. In dieser Bergbaustadt mit 50.000 EinwohnerInnen gibt es eine lokale Niederlassung der wichtigsten Gewerkschaft, die tunesische General Union of Labor. Sie wusste, dass 40 Prozent der aktiven Bevölkerung arbeitslos waren und das 75 Prozent der Mitarbeiter in vergangenen 25 Jahren entlassen wurden.
  • Die Menschen in Metlaoui probten mit Unterstützung der Gewerkschaft den Aufstand.
  • Die Nachbarstädte Kasserine und Thala solidarisierten sich.
  • Organisierte Arbeiterbewegung und Tunesiens gebildete junge Menschen waren nun vereint.
  • Eltern und Großeltern der jungen gesellten sich bald zu ihnen.

Die Korruption des Zine el-Abidine Ben Ali-Regimes wurde schon lange von politischen Aktivisten aufmerksam beobachtet. Denn, die Familie übernahm nationale Unternehmen im Zuge von Privatisierungsmaßnahmen von 1995-2005. Die Korruption war bald zu offensichtlich und wurde bald allgemein bekannt.

Die Ziele der Revolution in Tunesien 2011

Die Revolution soll vor allem folgendes ändern

  1. die hohe Arbeitslosigkeit vor allem der Jugend,
  2. die Kultur der besonder krassen und systemische Korruption und deren Straflosigkeit soll beendet werden

Streik in der tunesischen Stadt Hawd el-Mongamy

Junge Online-OrganisatorInnen riefen zum Streik auf.  Die „Progressive Youth“ (fortschrittliche Jugend) in Tunesien griff das auf. OrganisatorInnen in Ägypten und Tunesien begannen einen Meinungsaustausch über Facebook.

Laut Piot, verwendet eine/r von drei TunesierInnen das Internet – vor allem in Internetcafes, die besonders schwer überwacht werden konnten. Die Ägypter waren davon überzeugt, dass in Tunesien eine masserer Polizeistaat am Werk war als in Ägypten.  Strenge Kontrollen in Tunesien von Blogging und Pressefreiheit waren ein Faktum. Gleichzeitig wurde bald klar, dass die tunesischen Gewerkschaften leistungsfähiger und unabhängiger waren. Im Vergleich zu Ägypten war war die Tunesien-Revolte „moderner“ und politisch reifer. Gebildete, belesene Menschen und die Thematisierung von Menschenrechten, der Freiheit, Bürgerrechten und Demokratie spielten in Tunesien eine größere Rolle.

Polizeiliche Repression gegen junge Demonstranten aus armen Gegenden

Die Repression schwoll an und konnte aber zurück gedrängt werden. Eine zweite explosionartige Entwicklung gab es am 7. und 8. Januar 2011. Es kam zum glühenden Widerstand und überschämenden Ressentiments gegen die 150.000 Mann starken Polizeikräfte. Sie waren lange für ihre Arroganz, Korruption und verächtliche Praktiken bekannt.

Während Ben Alis 23-Jahre dauernder Regierung hatten Tunesiens Organisationen der Zivilgesellschaft unter schwerer, erstickender Repression zu leiden. Doch sie erwies sich nun als politisch mit ihren großen Netzwerken von

  • Vereinen,
  • Radiostationen,
  • Musik-Bands,
  • Clubs und Menschenrechtsgruppen

als sehr wichtig.

  • Einige behaupten sie seien unpolitisch  (zB. Amnesty International in Tunesien).
  • Andere wurden ausdrücklich ins Leben gerufen, um sich den Habib Bourguiba-Regimes von 1956 bis 1987 zu widersetzen, und dann dem des Ben Ali Clans. Unter ihnen ist die Tunesische Liga für Menschenrechte (die wurde 1976 gegründet und ist die älteste Interessenvertretung dieser Art in der arabischen Welt).

Bei allen politischen Organisationen der sogenannten „illegalen Opposition“ in Tunesien, war die StudentInnenbewegung besonders wichtig. In den 1970er und 1980er Jahren haben sich tunesische StudentInnen in der Allgemeinen Union der tunesischen Studenten organisiert. Sie waren einige Jahre früher in Untergrund aktiv. Doch die UGTT Web-Gewerkschaften haben dazu geführt, dass lokale Führungen in weiterhin agieren konnten. Diese verteilten Machtzentren konnten einen vielfältigen Widerstand gegen das Regime leisten, wenn es gelang sie in Aktion zu bringen.

Ben Alis Schließung aller Bildungseinrichtungen am 10. Januar

Dies provozierte die UGTT-Gewerkschaften und sie reagierten wirksam. Sie gaben den

Startschuss für einen Generalstreik

  • in Sfax, Kairouan und Tozeur am 11. und 12. Januar und
  • in Tunis am 14. Januar.

ArbeitnehmerInnen konnten den Aufstand nicht alleine auslösen, sondern das gelang nur gemeinsam mit

  • den BürgerInnen der Nation
  • den AkademikerInnen, BankerInnen,
  • ÄrztInnen, AnwältInnen und
  • Geschäftsleuten

in einer breiten Allianz. Dies bewirkte eine abgestimmte geographische Ausbreitung der Proteste.

  • Tunis, Sousse, Sfax,
  • Gafsa, Gabès und Bizerte

die größten Städte stiegen ein – vor allem nach dem erfolgreichen Generalstreik in Sfax am 12. Januar .

Professionals, Händler, Kaufleute und Finanziers kamen an Bord. Viele von ihnen waren zuvor  einige Jahre verbündet mit den Bourguiba-Regimes und mit Ben Ali. Die Reihen der Aufständischen wuchsen durch jene die verbittert über die Entwicklungen waren. Abgesehen von Ben Alis Netzwerken war vor allem der Trabelsi-Clan seiner zweiten Frau Leila ein Grund für die massive Empörung.

In Sousse, einer Stadt die bei TouristInnen beliebt ist, organisierten Arbeiter aus dem Farhat Hached Krankenhaus einen massiven

  • Protestmarsch.
  •  die Mitarbeitern aus Hotels schlossen sich ihnen bald an.
  • Der Umbruch in den oberen Schichten Tunesiens gewann am 8. Januar rasch an Dynamik. Eine Delegation von Führungskräften der Wirtschaft aus Sousse aus Ben Alis Basis besuchte den Präsidentenpalast in Karthago bat den Präsidenten um seinen Rücktritt.

Am 14. Januar verließ Ben Ali Tunesien.

Bild: Gene Sharp

Kurze abschließende Analyse der Erfolge der weitgehend gewaltlosen Revolution in Tunesien

Wenn auch eingeschränkt habe die relativ freien zivilgesellschaftlichen Netzwerke mit unabhängigen Führungen Tunesien das entfaltet, was Gene Sharp die Fähigkeit zum „korporativen Widerstand und Trotz“ nennt.

King sieht eine klare Verbindung zwischen

  • dem Zusammenhalt einer gewaltfreien bürgerlichen Koalition in den Jahren davor, einem demokratischen Übergang und
  • der Tiefe ihrer Selbstverwaltung

Wahlen wurden zunächst für Juli an gesetzt. Sie wurden auf Oktober verschoben. Einige befürchten, dass nur die Ennahda, eine „islamistische“ Partei ausreichend dafür ihre Anhänger mobilisieren konnte. Schließlich kam es doch zur

Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung Tunesiens 2011

Die Wahl der Verfassunggebenden Versammlung in Tunesien 2011[2] fand am 23. Oktober 2011 statt. Sie wurde vom tunesischen Staatspräsidenten Fouad Mebazaâ in einer Fernsehansprache am 3. März 2011 für den 24. Juli angekündigt, am 8. Juni 2011 jedoch auf den 23. Oktober verschoben.[3]
Nahda – CPR – FDTL – Aridha – PDP – Initiative – PDM – Afek – und Sonst. Gruppen wurden laut Wikipedia gewählt.

Sitzverteilung:

Es handelte sich um die ersten freien Wahlen in der Geschichte des Landes.

Bei der Wahl wurden die Mitglieder der Abgeordnetenkammer für eine Legislaturperiode von einem Jahr gewählt.

Die Aufgabe der Verfassunggebenden Versammlung soll unter anderem sein,

  • eine neue Verfassung auszuarbeiten und
  • die nächsten Präsidentschafts- und
  • Parlamentswahlen zu organisieren.[4]
  • Weiterhin soll sie die Macht haben, entweder eine neue Regierung zu ernennen oder die Amtszeit der gegenwärtigen Regierung bis zu allgemeinen Wahlen zu verlängern.[5]

217 Sitze wurden durch die Wahl bestimmt.[6]

 

Links

http://wagingnonviolence.org/author/maryelizabethking/

http://de.wikipedia.org/wiki/Wahl_zur_Verfassunggebenden_Versammlung_Tunesiens_2011

 

Posted in Afrika, Friedensforschung, Friedensjournalismus

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