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Antimilitarismus und Gewaltfreiheit in Nordafrika 2011

Erstellt am 03.10.2011 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 7314 mal gelesen und am 03.10.2011 zuletzt geändert.

Barbara - ... - Bettina Gruber - Dieter LünseDie derzeit engangierstesten Köpfe der Friedenspädagogik aus der Schweiz, Deutschland, Österreich trafen einander in Stein bei Nürnberg zur jährlichen Fachtagung

friedensnews.at war dabei. Ein Bericht informiert über die kleine, feine Tagung unter einem D-A-CH zusammen kamen und sich austauschten.

Im Zentrum standen die Themen:

  • Antimilitarismus und Gewaltfreiheit.
  • Die friedenspädagogische Bedeutung der Umbrüche in Nordafrika

Die Fachgespräche fanden am 26.-27.9.2011 in Stein b. Nürnberg statt.

renate_grasse_klein.jpgDie Fäden für die Anmeldung liefen bei Renate Grasse in München zusammen. Sie arbeitet bei der Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik in der Waltherstr. 22 in München

VeranstalterInnen waren:

  1. Arbeitskreis Friedenspädagogik in der AFK
  2. Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik e.V. München (AGFP)
  3. ASEPaix, association des educateurs a la paix
  4. Fränkisches Bildungswerk für Friedensarbeit (FBF)
  5. Institut für Friedenspädagogik Tübingen (ift)
  6. Institut für Konfliktaustragung und Mediation (ikm)
  7. Zentrum für Friedensforschung Friedenspädagogik an der Universität Klagenfurt

in Zusammenarbeit mit

der Petra-Kelly-Stiftung und dem Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Fakultät für Kulturwissenschaften

Friedliche Revolutionen in Nordafrika 2011

Staunend und erschüttert sind viele Zuschauer der rasanten politischen wie gesellschaftlichen Veränderungsprozesse im nördlichen Afrika. Zu sehen sind bekannte aber auch ungewohnte Rollen und Wirkungen von Militär ebenso wie die Macht von Gewaltfreiheit. Die Ereignisse bestimmen derzeit die öffentlichen Diskurse.

Publizisten, Friedensbewegte und Wissenschaftler befinden sich in einer Suchbewegung nach Bewertungen

Die versammelten Pädagog_innen griffen daher  Diskurs zum Thema auf. Auch Kinder und Jugendliche im deutschen Sprachraum sind durch die Ereignisse derzeit oft hoch politisiert. Anknüpfungspunkt in im Fachgespräch sollten aber

  • die traditionellen,
  • aber nicht ahistorischen Themen Gewaltfreiheit und Antimilitarismus.
  • Die Wahrnehmung und die kritische Diskussion von Rüstungsexporten,
  • die gesellschaftliche und politische Bewertung von Militär und
  • das Bewusstsein über den wachsenden Erfahrungsschatz von Gewaltfreiheit

All diese Bereich haben sich in den letzten Jahren teilweise gravierend gewandelt. Die jüngsten Ereignisse in Nordafrika fordern dringend eine aktuelle Verortungen dieser Themen in der Friedenspädagogik. Dazu leisten die TeilnehmerInnen ein gutes Stück Arbeit.

Lünse -  Grasse - Gugel - Winter

Am 26.9. 2011

Eröffnete Prof. Werner Wintersteiner (im Bild ganz rechts), Universität Klagenfurt mit dem ersten Vortrag:

Zur Kulturellen Verankerung von Frieden und Krieg 

Besonders gut gefielen mir die sechs Formen des Militarismus. Besonders der Linke Militarismus wie er etwa im Che-Kult und im philosophieren über den Klassenkampf mit Atombomben die Spitze des Eisberges zeigt benannte Wintersteiner präzise. Er schied die Form aber auch klar von anderen Formen des Militarismus in Demokratien wie den USA.

 

 

 

Marc von Boemcken BICCMarc von Boemcken, BICC informierte über:

Aktueller Stand / aktuelle Entwicklungen in Rüstungspolitik, -industrie, -export

 

Reflexion in den Arbeitsgruppen – AG 1: Kultur des Friedens und AG 2: Politisches Lernen – am ersten Tag war ziemlich beiträchtigt, da Werner Wintersteiner sofort zum UNO Welttourismustag in Ägypten am 27.9.2011 aufbrechen musste. Ähnliches galt für Marc von Boemcken der nach dem Vortrag sofort nach Hause fahren musste um am nächsten Tag in Berlin als Experte seinen Job zu verrichten – schade. Dementsprechend wurden Konsequenzen für das pädagogische Arbeiten nur kurz andiskutiert.

Sehr interessant waren die Kurz-Projektvorstellungen aus der aktuellen Arbeit zu Antimilitarismus – hier 2 Beispiele:

Wir scheuen keine Konflikte“ | Ziviler Friedensdienst

* Peace Counts 2 des Inst für Friedenspädagogik in Tübingen in Deutschland

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Zweiter Tag 27.9.2011

Karl-Heinz - ... Reiner SteinwegReiner Steinweg (Bild Rechts) ein Urgestein der Friedensforschung referierte – mit der ihm eigenen herausragenden Akribie, Bescheidenheit und Kompetenz – über:

Gewalt und Gewaltfreiheit – neue Erfahrungen in Ägypten

Sein hochinteressanter Vortrag wird im Tagungsband der 28. Schlaininger Sommerakademie 2011 zum Thema 2011: Zeitenwende in der arabischen Welt. Welche Antwort findet Europa? publiziert. Trotz der geradezu aufregenden Durchdringung des vorgetragenen Themas – aufgrund von Zeitungsartikeln, Internet-Recherchen und 50 Jahren Hintergrundwissen als Friedensforscher undFriedensaktivist – hat Reiner Steinweg natürlich Recht, dass das höchstens der Anfang solider Friedensforschung zum Thema sein sollte. Bibliografie zu Gewaltfreiheit, Zivilem UngehorsamÄgyptenund Tunesien sollten eigentlich mindestens ein bis zwei Jahre von kundigen Forschungsteams vor Ort erforscht werden. Erst solche Arbeit kann eine solide Grundlage für die friedpädagogische Aufbereitung des Themas sein.

Die Arbeitsgruppen am zweiten Tag waren ergiebiger. Da zumindest zwei Personen einen Input zum Thema gaben und die Gruppe moderierten.

Desirée SummererBild (v. li nach re) Annemarie Müller (Ökumenisches Informarionszentrum Dresden), Quatember und Summer Friedensbüro Salzburg

Karl-Heinz Bittl –  Arbeitsgruppe Männlichkeitsbilder und Militär

  • Leiter des Europäischen Instituts Conflict-Culture-Cooperation (EiCCC) und
  • Autor eines Buches zum Thema Vater-Sohn-Konflikt mit dem Titel „Eine Art Verrat“

Er war für meinen Geschmack allzu grob und provokant im Thema Männlichkeitsbilder und Militär unterwegs.

  • Deklarativsätze und Phrasen wie „Die Männer“ – die es in meiner Wahrnehmung ebenso wenig gibt, wie „die Frauen“ oder „das Militär“ – verursachten bei mir heftige Ängste in einem Gender-Eintopf zu landen der mir gar nicht mundet. Mir kamen Sätze in den Sinn wie: „Religionsverlust durch religiöse Erziehung“.
  • Bei meinem Sohn der sich zu meiner Freude – trotz des Überangebotes der Kulturen den Gewalt – gerade zum Zivildienst entschlossen hat, hätte ich nach solcher friedenspädagogischer „Gender-Aufklärung“ vermutlich einigen zusätzlichen Erklärungsbedarf.

Die Diskussion im Arbeitskreis war folglich – vor allem durch meine Alarmstimmung –  durchaus kontroversiell und zeigte für mich:

  • wie unausgegoren, die mindestens vier Jahrzehnte alte Gender- und Sex-Debatte, im Jahr 2011 noch ist.
  • das überstrapazierte Biologismen von Hirnforschern und anderen Naturwissenschaftlern, Kulturismen und der massive meist verdeckte Konflikte zwischen linken und rechten Gleichheits- und Differenz-Köpfen, theoriefeindliche Praktiker und Theoretikerinnen im Elfenbeinturm häufig mehr verstellen als sie erhellen.

Eine neue angemessene geschlechtssensible und partnerschaftliche Sprache und Symbolik blitzt erst in kleinen Zirkeln von Frauen- und Männer- und Transgenderbewegungen hin und wieder auf wie die Wahrheit in der Kunst oder in der Friedensbewegung bei Experimenten mit ihr es gelegentlich tut.

Wie die jüngste Männerpolitische Tagung und die Konferenz zum Geschlechterwandel in Wien zeigten gibt es nicht „das Patriarchat“, „den Mann“ oder „die Frauen“. Differenzierte intersektionale theoretische und praktische Ansätze sind die wohl einzigen hinreichend komplexen Antworten in diesem schwierigen und aufwendigen Feld. Geschlecht ist bedeutend, Armut, bildungsferne, Migrationserfahrungen unterschiedliche Weltanschauen etc. ebenfalls. Die unterschiedlichen nur analytisch trennbaren Faktoren fein auseinander zu halten und andererseits zu erkennen, dass in der Kombinationswirkung von nur zwei Faktoren wie „gewaltlegitimierenden Subkulturnormen und patriarchalen Männerbildern“ bereits eine hochtödliche Gesamtwirkung resultieren kann, die weit über die Summe der Faktoren hinausgeht, das erfordert geradezu kaum zumutbare Anforderungen.

Empirisch lassen sich heute – zB in Österreich – mindestens vier unterschiedliche Männergruppen zwischen den Extrempolen „dominatorisch“ und „partnerschaftlich“ klar unterscheiden.

  • Die modernen Männer und Frauen die partnerschaftlich Leben und an ihrer Emanzipation von der Sklaverei überkommener Rollen bewusst arbeiten sind eine kleine, langsam wachsende Realität in Österreich.
  • Das zähe schrumpfen der Kohorte der klassischen Patriarchen ist in vielen Ländern feststellbar.

Männerbilder und Rollenzwänge schwanken auch national stark in Europa. Historische Faktoren und Tiefenkulturen spielen hier nachweislich beobachtbare Rollen.

  • Isländische oder norwegische Verhältnisse nehmen sich hellgrau aus während
  • ungarische Verhältnisse im Männerbild eher zu dunkelschwarz (kaum Frauen im Parlament und Geschlechter-Stereotype die einen echten Roll-Back ins 19. Jahrhundert befürchten lassen.

Die Friedenspädagogik im Gender-Kontext steht im deutschsprachigen Raum, soferne ich das überblicke, erst am Anfang des Gender-Mainstreaming. Und Gender-Mainstreaming-Haupt- und Seitenarme sind, wenn es hoch kommt, gerade mal im Stadium pubertärer Experimental-Wasserverbauungen einzustufen.

Der Ausblick am Schluss der Tagung lässt für 2012 die bewährte „procedure as every year“ – diesmal in Basel in der Schweiz – erwarten. Es wurde zwar verschiedentlich von mehr Breite und Tiefe gesprochen, zündende Ideen, inspirierende und motivierende neue Gemeinschaftsprojekte – wie das Friedenspädagogik-Buch im Rowohlt-Verlag oder eine mit reichlich mit Ressourcen ausgestattete Koordination der Fachtagungen sowie der Arbeit zwischen den Treffen – war für mich noch keine ausgemachte Sache.

 

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