Verfolgung von Kriegsverbrechen in Kroation
Sie müsse laut Presseaussendung von Amnesty International für Kroatien allerhöchste Priorität haben
„Stolperstein auf dem Weg in die EU:
Eingeschüchterte Zeugen, verschleppte Verfahren, 700 offene Fälle
Die Verfolgung von Kriegsverbrechen muss für Kroatien allerhöchste Priorität haben und deutlich beschleunigt werden, fordert Amnesty
International in einem aktuellen Bericht. Auch mehr als 15 Jahre nach dem Kroatien-Krieg wurden eine Reihe hochrangiger Politiker, Militärs und
Beamter, die im Verdacht stehen, Kriegsverbrechen begangen zu haben, nicht zur Rechenschaft gezogen.
Der Bericht Behind a wall of silence: Prosecution of war crimes in Croatia (77 S., engl.) dokumentiert das Scheitern der kroatischen Justiz, die Täter
zur Verantwortung zu ziehen und den Opfern des Krieges 1991 bis 1995 gerecht zu werden. Laut Regierungsstatistiken werden jedes Jahr rund 18
Kriegsverbrecher-Verfahren abgeschlossen, aber rund 700 Fälle seien noch offen: Die meisten Verantwortlichen werden womöglich nie vor Gericht
stehen.
In manchen Bereichen seien Fortschritte gemacht worden, sagt Nicola Duckworth, Amnesty-Direktorin für Europa und Zentralasien. Aber insgesamt
- gäbe es nur punktuell Gerechtigkeit und
- die Verfolgung von Kriegsverbrechen schreite viel zu langsam voran.
„Obwohl die kroatische Regierung den vollen Rückhalt der internationalen Gemeinschaft hat und sich immer wieder zur Verfolgung von Kriegsverbrechen bekannt hat.“
Nicht in Übereinstimmung mit internationalem Recht geregelt sind Schlüsselkonzepte wie
- Befehlsverantwortung,
- sexuelle Gewalt als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit;
Straffreiheit für viele Verbrechen sei die Folge.
Die überwältigende Mehrheit von Kriegsverbrecher-Prozessen findet in Kroatien zudem vor Bezirksgerichten statt, deren Richter oft wenig Expertise in internationalem Strafrecht besitzen. Zeugen werden bedroht und eingeschüchtert; es mangelt den Gerichten an Mitteln und Einrichtungen, um sie zu schützen.
Die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen habe sich, laut Amnesty, in den Jahren 2005 bis 2009 zudem übermäßig auf eine Bevölkerungsgruppe konzentriert.
- In fast 76 Prozent der Fälle waren kroatische Serben die Beschuldigten.
- Gegen hochrangige Militärs und Politiker wurden hingegen nicht ermittelt, obwohl öffentlich zugängliche Informationen, auch aus Gerichtsverfahren, die Vorwürfe gegen sie erhärten.
Im Bericht dargestellt ist etwa der Fall des stellvertretenden Parlamentspräsidenten Vladimir Šeks, der in die Verbrechen in Osijek 1991 verwickelt sein soll. Auch General Davor Domazet-Lošo, der laut einem Gerichtsurteil in einem anderen Fall die Militär-Operation „Medak Pocket“
1993 befehligt haben soll, oder der einstige Innenstaatssekretär Tomislav Merep, gegen den das UNO-Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien (ICTY) ermittelt haben soll, mussten sich bisher nicht gründlichen, unabhängigen und unparteiischen Ermittlungen stellen.
„Kriegsverbrechen haben keine ethnische Zugehörigkeit; sie betreffen
Menschen ungeachtet ihrer Herkunft. Ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft
und sozialen Position müssen auch die Täter verfolgt werden“,
fordert Duckworth. Stattdessen genießen einige mutmaßliche Kriegsverbrecher weiterhin die Unterstützung des Staates, während dieser vielen Opfern Entschädigungen vorenthält.
„Viele Unzulänglichkeiten des kroatischen Justizsystems dürften mit einem Mangel an politischen Willen zu tun haben, sich mit dem Erbe des Krieges zu
beschäftigen“, so Duckworth. Kroatien müsse sich jedoch mit seiner Vergangenheit befassen, um voranzukommen. „Straflosigkeit für
Kriegsverbrechen ist ein Stolperstein für die EU-Mitgliedschaft. Räumt die Regierung diesen Stolperstein aus dem Weg, dann beweist sie damit
unmissverständlich ihren Willen, vorhandene Lücken auf dem Weg zu Gerechtigkeit zu schließen. Die Opfer erwarten und verdienen das.“
Amnesty International fordert Kroatien auf
- seine Gesetzgebung mit internationalen Standards in Einklang zu bringen
- eine Strategie für die Verfolgung von Kriegsverbrechen zu entwickeln und
- allen mutmaßlichen Täter den Prozess zu machen.
Hintergrund:
Auf Kroatiens Unabhängigkeitserklärung von Jugoslawien im Juni 1991 folgte ein bis 1995 andauernder Krieg zwischen der kroatischen Armee auf der einen und paramilitärischen Einheiten der kroatischen Serben sowie Truppen der serbisch dominierten jugoslawischen Armee auf der anderen Seite. Beide
Seiten begingen massive Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Tötungen, Folter, Vergewaltigungen, Verschwindenlassen, Vertreibungen und
willkürliche Haft. Hunderttausende flüchteten ins Ausland oder wurden zu Binnenvertriebenen.
Seit den Anfängen des Konflikts hat Amnesty International sich gegen die Straffreiheit für Kriegsverbrechen in Kroatien und anderen Landesteilen des
ehemaligen Jugoslawien eingesetzt.
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