Eine ethnologische Studie über die Geschlechtsbeziehung im Mutter- bzw. Vaterrecht
Eine ethnologische Studie über die Geschlechtsbeziehung im Mutter- bzw. Vaterrecht
Jürgen Engelbert
14,80 EUR
ISBN 978-3-88864-463-4
2010 • 190 Seiten
VAS Verlagstext
„Wenn Kinder keinen leiblichen Vater haben und wenn Frauen wegen ihren alleinigen Fähigkeiten, Kinder in die Welt zu setzen, hoch verehrt werden, dann kann es sich nur um gesellschaftliche Lebensformen des Mutterrechts handeln.“ Ziel der vorliegenden Arbeit sei, „die Tausende von Jahren beherrschende soziale Form des Zusammenlebens zwischen Mann und Frau und ihre Unterschiede zu Lebensformen des Vaterrechts zu untersuchen.“ Viele spezifische Kultur-Merkmale des Mutterrechts basieren, laut Engelbrecht, z.B. auf der Tatsache, dass etliche medizinische Erkenntnisse seinerzeit völlig unbekannt waren.
Die Zeitreise zurück in unsere Vergangenheit lasse „uns erkennen woher wir kommen aber auch wohin wir gehen“.
Einschätzung des Autors und des Werks
Jürgen Engelbert ist laut Kurzbio am Buchrücken 1949 in Ostdeutschland in Buttstädt/Thüringen geboren. Er wuchs in Lippstadt einer Mittelstadt in Nordrhein-Westfalen auf. 1967 legte er dort das Abitur ab und studierte in Hamburg die wohl eher seltene Kombination Betriebeswirtschaft, Ehnologie und Astronomie.
1973 wird er Diplomkaufmann und arbeitet in verschiedenen Unternehmen und Branchen. Jürgen Engelbert ist verheiratet und hat vier Kinder. Er lebt derzeit in Hessen.
1998 promovierte Egelbert im Fach Ethnologie über Bestattungsriten im südlichen Südamerika an der Universität Modesto/Kalifornien.
Er veröffentlichte zahlreiche ethnologische und astronomische Arbeiten in wissenschaftlichen Zeitschriften.
Grundlagen und Zielsetzungen des Buches
Der Einstieg ist spannend, straff und gut leserlich geschrieben.
Aus der Leseprobe des Verlags:
>>„Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen“,…
„Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.“… „Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch. Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm und brachte sie zu ihm. Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist.“…
So schildert die Bibel die Geburt von Adam und Eva, den ersten Menschen.<<
Drei Dinge fallen auf Engelbert als Ethnologe dabei auf:
1. Adam wird als erster Mensch aus Lehm geformt, ist also dem fruchtbaren Acker, der Erde, verbunden. So wie der Acker Frucht bringt, so bringt er auch den Menschen hervor, und zwar nur den männlichen Teil. Eva entsteht später aus einem Teil des Mannes, ist also von „Geburt“ an benachteiligt. Dadurch, dass sie einTeil des Mannes ist, ist sie von vornherein ihm untergeordnet. Auch fehlt ihr die direkte Beziehung zur Frucht bringenden Erde.
2. Im wissenschaftlichen Sinne können Adam und Eva nicht die ersten Menschen gewesen sein, denn die Erzählung gründet bereits auf sesshaften, Ackerbau treibenden Sozialsystemen. Adam steht mitten in der Zivilisation einer von Männern geprägten patriarchalischen Kultur (ab etwa dem 8. Jahrtausend. v. Chr.)
3. Der Mann ist Leben spendendes Individuum. Die Rolle der Frau als Mutter wird vernachlässigt.<<
Mit dieser Geschichte der Menschwerdung solle die ursprüngliche mutterrechtliche Sozialordnung im vorderen Orient zerschlagen werden, indem die neue vaterrechtliche Ordnung durch göttliches Handeln sanktioniert wird. Gott werde hier zum Schöpfer einer neuen Sozialordnung, bei der die Frau, die bisher im Mittelpunkt des Stammesgeschehens stand, in eine Randposition untergeordneter Bedeutung gedrängt werden solle.
Das ist mit Sicherheit keine theistische oder gar dogmatische christliche Geschichtssicht.
Anlass dieses Wechsels in der Bedeutung der Geschlechter zueinander, sei laut Engelbert These: „die zu diesem Zeitpunkt auftauchende insulare wissenschaftliche Erkenntnis über die Relevanz des Mannes bei der Zeugung von Nachkommen.“ Bis etwa zum 8. Jahrtausend. v. Chr. sei es ausschließlich die Frau gewesen, „so der damalige Kenntnisstand“, die für das Fortpflanzungsgeschehen verantwortlich zeichnete. Der Mann sei „Beschützer und Ernährer, hatte aber mit der Entstehung von Kindern nichts, aber auch gar nichts zu tun“. Aus dieser Randposition in den gesellschaftlichen Strukturen des Mutterrechts sei der Mann durch den Nachweis einer „Mittäterschaft“ bei der Kindszeugung heraus katapultiert worden. „Es vollzog sich eine grundlegende Wandlung hinsichtlich der Bedeutung des Mannes in den naturvölkischen Strukturen.
Diese neuen Erkenntnisse über die Vaterschaft: „nutzte dieser, um nun seinerseits die Frau in ein soziales und gesellschaftliches Abseits zu drängen. Um wie viel wirkungsvoller war dies Hinausdrängen der Frau, wenn sogar göttliche Mächte dies sanktionierten und durch eigene Handlungen unterstrichen.“
Menschen mutterrechtlicher Kulturstufen würden, laut Engelbert, „dieser Schöpfungsgeschichte mit völligem Unverständnis begegnen.“ Denn:
„Mann und Frau bilden die Grundeinheit gesellschaftlicher Sozialsysteme.“
Ziel dieses Buches sei es,
- ihr Mit- und Gegeneinander,
- die komplizierten und komplexen Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen,
- gekoppelt mit unterschiedlichem Wissensstand der Akteure, unterschiedlichen Vorstellungen und Moralbegriffen
- von den Vorstufen des Menschseins an,
zu betrachten.
Besonderes Augenmerk werde dabei auf mutterrechtliche Sozialsysteme gerichtet, die nach Engelbers Erachten „bisher in der Literatur nicht ganz korrekt definiert und gewürdigt wurden“.
Gründe für diese Vernachlässigung und zum Teil auch völlige Fehlinterpretationen mutterrechtlicher Sozialsysteme:
Engelbert reduziert sie vornehmlich auf drei Aspekte:
- Menschen, die zuerst mutterrechtlichen Kulturen begegneten, waren keine Ethnologen, so dass eine Bestandsaufnahme und kritische Würdigung der das Mutterrecht prägenden Kultur-Merkmale unterblieb.
- Als endlich Forscher (Ethnologen) den Urformen menschlichen Lebens begegneten, war es bereits zu spät. Sie trafen nur noch Trümmer der Kultur an. Ein reines unverfälschtes Bild der mutterrechtlichen Kulturen ließ sich nicht mehr zeichnen.
- „Die Forscher beurteilten das mutterrechtliche System von der Warte eines vaterrechtlich geprägten Menschen aus. Die wurde zusätzlich gepaart mit christlichen Moral- und Anstandsbegriffen“.
Das letzte Zitat: „Die Forscher“ weist auf vollkommenes Fehlen von geschlechtssensibler Sprache im Buch hin. Was bei einem sonst so scharfen Denker verwundert. Mead, Margaret, eine der wenigen im Buch genannten Frauen, wird mit „Ders. 1958“ von Engelbert grammatikalisch vermännlicht. Göttner-Abendroth, eine der wichtigsten Forscherinnen zum Matriarchat, die über viele Jahre hinweg alle ethnologischen Studien zu diesem Thema genau analysiert hat, wird von Engelbert mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt. Er scheint sie gar nicht zu kennen, denn „seines Wissens“ gibt es bislang keine Metastudien auf diesem Gebiet. Auch sonst ist einiges Wording seltsam: einzelne „Genies“ in Anführungsstrichen, die quasi die Menschheit voranbringen, sind mir noch in Erinnerung.
Trotz allen diesen Mängeln ist dieses Buch ein spannender Versuch der „Neuinterpretation“ von Vater und Mutterrecht unter den oben skizzierten Aspekten. Ich denke, das Buch ist lesenswert und sollte nicht wegen formaler Mängel oder dem in Genderfragen so häufigem Tunnelblick einer unsachlichen Polemik unterliegen. Lesen Sie und urteilen Sie selbst! Ich finde das Buch interessant und werde mich sicher damit eingehender beschäftigen. Die tödlichen Konflikte zwischen männlichen und weiblichen Wesen, die innerhalb eng blutsverwandter Gruppen ablaufen, oder zwischen diesen, können so sicher besser erhellt werden als durch Forscher und Forscherinnen, die das mutterrechtliche System von der Warte eines vaterrechtlich geprägten Menschen aus beleuchten und zusätzlich gepaart mit Moral- und Anstandsbegriffen unreflektierter religiöser Art operieren.
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