friedensnews.at
Stellt die Friedensfragen!

Interview Petra C. Gruber zum Buch: Nachhaltige Entwicklung und Global Governance

Erstellt am 11.08.2008 von Markus Drechsler
Dieser Artikel wurde mal gelesen und am 28.08.2008 zuletzt geändert.

Interview mit Petra C. Gruber zum Erscheinen Ihres neuen Buchs


> In den Warenkorb
Gruber, Petra C. (Hrsg.)
Nachhaltige Entwicklung und Global Governance
Verantwortung. Macht. Politik
978-3-86649-153-3
Erscheinungsjahr: 1/2008
193 Seiten
Sprache: DE
19,90 €Publikationstyp: Buch paperback

Kategorien: > Diskussion

 

Was waren Ihre Beweggründe zur Herausgabe dieses Buches?
Wen wollten Sie damit ansprechen, was wollten Sie damit erreichen?

Ich beschäftige mich seit gut 15 Jahren mit dem Themenkomplex Umwelt und Entwicklung. Ich bin über mein Engagement für die natürlichen Lebensgrundlagen und den Wert, den ich der Natur beimesse – ich nenne sie lieber unsere Mitwelt, zur Entwicklungspolitik gekommen, als die große UN-Konferenz in Rio De Janeiro 1992 stattgefunden hat. Ich war dann auch persönlich 10 Jahre später bei der Folgekonferenz in Johannesburg und habe da den großen Unterschied zwischen dem, wo wir im inhaltlichen Diskurs gerade stehen und dem, was realpolitisch dabei rausschauen kann, erfahren. Dabei wurde mir klar, dass wir mit den Mitteln der herkömmlichen nationalstaatlichen Macht- und Interessenpolitik die globalen Herausforderungen wie Armut, Umweltzerstörung, kriegerische Auseinandersetzungen bis hin zum Terrorismus nicht lösen können. Vielmehr braucht es eine neue Kooperationskultur zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, sprich Global Governance. Schon bei der ersten Begegnung mit dem Thema habe ich Global Governance als sehr spannendes Konzept gefunden, da war es nur konsequent, dieses fünfzehn Jahre nach Rio an unserem Institut für Umwelt – Friede – Entwicklung in Rahmen einer größeren Fachtagung zu diskutieren. Es war mir dabei auch wichtig, die komplexen Zusammenhänge und Fakten aufzubereiten und über den akademischen Diskurs hinauszubringen. So war die Vorgabe an die Referentinnen und Referenten, eine einfache und klare Sprache zu finden, damit eben alle Menschen, die Interesse an den Thema haben bzw. finden könnten, sich nicht abgeschreckt durch die Fachsprache damit befassen.

Wie lautet Ihre Definition für Frieden?

Auf jeden Fall mehr als die Abwesenheit von Krieg. Ich gehe von einem positiven Friedensbegriff aus, der auf den Menschenrechten basiert und wie auch in Beiträgen von mir immer wieder zu finden ist, setzte ich dabei auf eine Kultur des Friedens. Krieg ist von Menschen gegen Menschen gemacht – das heißt, es liegt an uns, ihn zu verbannen. Nur weil wir so daran gewöhnt sind, dass Krieg lange Zeit ein legitimes – quasi das letzte – Mittel der Politik war, bedeutet das ja nicht, dass wir uns darüber nicht hinaus entwickeln können. Das ist alles andere als pazifistische Träumerei, denken wir an die vielen Regionen der Welt, beispielsweise die EU, wo zwischenstaatliche Konflikte längst mit friedlichen Mitteln gelöst werden.

Kann die UNO etwas dazu beitragen?
Welche Rolle soll die UNO zukünftig spielen?

Die UNO kann und soll einen sehr wichtigen Beitrag übernehmen. Als Nachfolgerin des Völkerbundes sollten die Vereinten Nationen ja nach dem 2. Weltkrieg weltweit Frieden und Sicherheit garantieren. Das wichtigste wäre ihre Reform und Stärkung. Denn bei aller Kritik an den der UNO ist klar, dass sie natürlich nur so stark und handlungsfähig sein kann, wie dies die einzelnen Mitgliedsstaaten auch zulassen. Die UNO kann nur im Rahmen ihres zugewiesenen Mandates, der Kompetenzen und finanziellen Möglichkeiten tätig werden. Da liegt in meinen Augen sehr vieles im Argen. Ich würde mir wünschen, dass endlich entsprechender Weitblick und Verantwortungsbewusstsein vor allem bei jenen Ländern einkehren, die in erster Linie Machtsicherung betreiben und dass die Reformvorschläge umgesetzt werden.

Stichwort Atomwaffen: Es existieren trotz Abrüstungen noch immer genügend strategische Atomwaffen um die Welt mehrfach zu zerstören. Immer mehr Nationen haben offiziell Atomwaffen (China, Indien, Pakistan, Israel) oder stehen, wie der Iran und Nordkorea im Verdacht Atomwaffen zu entwickeln.
Wie kann man dieses Problem nachhaltig bewältigen?

Ich bin für eine generelle, weltweite Abrüstung, zumal sich das Zerstörungspotential durch die heutigen Waffen noch vervielfacht hat. Auch ist nicht einzusehen ist, dass einige wenige Mächte, die jetzt Atomwaffen besitzen, den Rest der Welt bedrohen können, der nicht dagegen halten kann, das wird letztere immer provozieren. Kriegsverhütung durch Abschreckung funktioniert nicht, siehe Pakistan. Nachhaltigkeit und Frieden erfordern die vollständige Abrüstung. Statt Waffen brauchen wir eine friedliche Konfliktlösungskultur – Vertrauensaufbau, Krisenprävention und Sicherheitsgemeinschaften seien hier als wichtige Schlagwörter genannt. Das wird natürlich sehr schwierig, nach den Abrüstungsbemühungen und der Hoffnung auf eine friedliche Welt mit Ende des Kalten Krieges war meines Erachtens der 11. September 2001 für manche ein willkommener Anlass, um die Militarisierung wieder voranzutreiben. Krieg ist wie gesagt für mich nichts Naturgegebenes – und, so stellt sich natürlich die Frage: Wer hat Interesse daran?

Gibt es demnach eine Aufgabe der UNO, die nukleare Aufrüstung der „neuen“ Atommächte in den Griff zu bekommen?

Das Problem hängt natürlich mit der Zusammensetzung und Blockierung des – dringend zu reformierenden – Sicherheitsrates zusammen. Dabei geht es auch um wichtige Fragen des Global Governance-Konzeptes. Wenn es eine – aus meiner Sicht absolut nicht wünschenswerte – autoritäre Weltregierung gäbe, dann hätten wir sehr viele andere schwierige Fragen im Zusammenhang mit Demokratie. Das aufgeklärte Eigeninteresse an einer parnterschaftlichen, konsensualen Entscheidungsfindung muss hier als Handlungsmotiv noch stärker herausgearbeitet und insbesondere von den Regierenden verstanden werden.

Fast die Hälfte des weltweiten verbrauchten Wassers geht ungenutzt verloren. Dabei ist sauberes Trinkwasser ein kostbares und kostspieliges Gut. Vor allem die Weltbank und der Internationale Währungsfonds halten die Privatisierung von Wasser für das passende Mittel. Soll es ein Grundrecht auf kostenloses bzw. zum Selbstkostenpreis verkauftes Wasser geben?

Ich bin gegen Privatisierung von lebensnotwendigen, natürlichen Ressourcen. Die Erfahrungen, die man in manchen Ländern damit gemacht hat, haben genau die Befürchtungen bestätigt, dass insbesondere die ärmsten Bevölkerungsschichten darunter leiden. Ob das jetzt die Versorgung betrifft und dort gar kein Wasser zur Verfügung gestellt wird, wenn es sich für die Betreiber nicht rechnet oder ob sich die Menschen den Zugang schlichtweg nicht leisten können. Es ist für mich eine ureigene staatliche Aufgabe, für die Bereitstellung der „Public Goods“ zu sorgen. Allerdings ist damit noch nicht hinreichend geklärt, wie wir eine entsprechende Wertschätzung und eine achtsamen Umgang mit der Natur, unserer Mitwelt gewährleisten können.

Was halten Sie von der Idee „Wasser zum Selbstkostenpreis“ in Umlauf zu bringen?

Wer bestimmt den Selbstkostenpreis? Wie wird der Zugang aller Menschen gewährleistet? Das ist dann natürlich wieder die Frage?

Sollte es dann als Grundrecht bzw. Menschenrecht verankert werden?

Also für mich wäre es durch das Menschrecht auf Nahrung schon inkludiert. Wasser ist ja eine noch wichtigere Lebensgrundlage.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit sich die öffentliche Wahrnehmung der globalen Probleme bessert? Nach eine IMAS Umfrage halten 33% die Bedrohung des Klimawandels für übertrieben, 18% sind unentschieden.

Es gibt eine kleine Gruppe sogenannter Wissenschaftlern, die leugnen, dass der Klimawandel mit dem menschlichen Handeln zusammenhängt und die sich immer wieder zu Wort melden, sobald die öffentliche Meinung zu kippen droht. Dabei ist ganz klar dokumentiert, woher diese Personen ihre Gelder beziehen, nämlich von Unternehmen, die über Klimaschutzmaßnahmen Gewinneinbußen befürchten, Die seriöse wissenschaftliche Welt vertritt schon lange die anthropogene Verursachung. Ein Problem sind natürlich auch die Medien, die nicht so in den Themen bewandert sind und versuchen, Pro und Contra gleichwertig aufzuzeigen. Dabei wird aber übersehen, dass das Pro eigentlich die überwältigende wissenschaftliche Mehrheit vertritt und dieser auch ein dementsprechendes Gewicht zu geben ist. Man darf eben nicht vergessen, dass es hier um sehr viel Geld geht und sich die entsprechenden Lobbys auf politischer Ebene sehr stark machen, um ihre Interessen durchzusetzen. Von politischer Seite heißt es „Ja man muss sich alle Seiten anhören“. Natürlich bin ich für das Abwiegen aller Argumente, man muss sich aber schon genau anschauen, welche Interessen dahinter stecken.

Wieso wird dann genau dieses Problem der „finanzierten Wissenschaftler“ nicht öffentlich zum Thema gemacht?

Es wäre sicher ein hilfreicher Ansatz, diese Machenschaften medial transparenter zu machen und damit die Leute aufwecken. Das ist ja nicht nur im Klimabereich so, das ist längst bei der Kernkraft durchsichtig und wahrscheinlich auch im Gentechnikbereich. Wichtig in der Bildungs- und Informationsarbeit ist, nicht nur mit Katastrophenszenarien und erhobenem Zeigefinger zu arbeiten. Ich glaube, das schreckt die Menschen eher ab, es wird dann als unabwendbare Sache gesehen bzw. so dramatisch, kompliziert und so weit weg, dass man sich gar nicht mehr damit auseinandersetzen will. Es ist uns Nachhaltigkeitsproponenten noch nicht geglückt, darzustellen, dass zwar eine Bewusstseins- und Verhaltensänderung nötig ist, aber diese nicht negativ sein muss. Es steckt dann eine andere, halt weniger materielle Lebensqualität darin. Ich würde mir wünschen, dass wir das noch viel besser vermitteln können. Ich traue den Menschen zu, dass sie, wenn sie die Zusammenhänge verstehen und für sich einen Sinn in der Veränderung erkennen, dann auch bereit sind, anders zu agieren.

Es ist bestätigt, dass die Erde sich erwärmt. Dazu trägt nicht zuletzt der hohe Ausstoß von Kohlendioxid bei. Die bisher ergriffenen Gegenmaßnahmen kommen zu spät und reichen nicht aus. Das Scheitern der Verhandlungen bei der Kyoto Folgekonferenz in Montreal 2005 hat gezeigt, wie groß die Widerstände sind. Gibt es noch Hoffnung das Problem in den Griff zu bekommen?

Zu all diesen Fragen würde ich mich nicht engagieren, wenn es keine Hoffnung gäbe. Dann würde ich mich auf meinen kleinen Bauernhof zurückziehen und in meinem Mikrokosmos biologisch wirtschaften. Die Frage nach genügend Zeit ist müßig oder ob wir es überhaupt schaffen können, weil dies immer davon ablenkt, jetzt etwas zu tun. Die negativen Auswirkungen und Risiken sind lange genug bekannt, da kann man nicht sagen „Da müssen wir noch forschen“ oder „Das müssen wir noch genauer wissen“. Es ist entscheidend, jetzt couragiert zu handeln. Je länger wir uns damit Zeit lassen, desto schwerwiegender werden die Probleme, desto mehr Menschenleben kostet es, desto mehr zerstören wir die Umwelt, desto teurer wird es auch und desto mehr vertun wir die Chance auf ein menschenwürdiges Leben auf diesem Planeten. Gerade im Klimabereich gilt: die Zerstörungen kommen wie ein Bumerang auf uns zurück – wohin sollen denn all die Menschen flüchten, die die Lebensgrundlagen in ihrer Heimat verlieren? Das destabilisiert dann ganze Regionen und greift auf umliegende Staaten über, das sind dann ebenso Rückzugsgebiete der Terrororganisationen und somit ein internationales Sicherheitsrisiko. Mir geht es vor allem um Vermeidungsmaßnahmen, und dort wo diese nicht mehr greifen, um Anpassung, wobei es insbesondere die ärmeren Staaten zu unterstützen gilt.

Fossile Energieträger liefern noch immer zwei Drittel des Stroms der Welt.
Wird hier ein Umdenken stattfinden? Was wären brauchbare Alternativen?

Atomenergie ist für mich überhaupt keine Alternative. Abgesehen von den Risiken für Mensch und Mitwelt, die untragbar sind, sind die Kosten enorm. Es ist ein ökologisches und auch soziales Riesenproblem mit dem Endmülllager, wo man zum Beispiel im Land der Shoshonen versucht, einen heiligen Berg dazu zu missbrauchen und es zu massiven Menschenrechtsverletzungen kommt. Das Uran geht uns im Übrigen auch aus. Nicht zuletzt steigt das Risiko eines militärischen Missbrauchs. Es ist daher äußerst kurzsichtig auf Atomkraft zu setzen. Ich konnte auch bislang niemanden finden, der mir wirklich ein überzeugendes, positives Argument für die Kernenergienutzung bringt. Es gibt genügend Alternativen. Alles was rund um die Sonne passiert, auch in deren abgewandelter Form. Die Mittel die in die Atomforschung fließen, wären viel besser in den alternativen Energiegewinnungsformen aufgehoben. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht die Frage stellen sollen, wie wir generell weniger verbrauchen. Darüber hinaus muss man auch allen Menschen eine Energieversorgung zugestehen. Wir haben weltweit unzählige nicht elektrifizierte Haushalte.

Sie waren ja selbst intensiv mit der Entwicklungshilfe beschäftigt.
Österreich leistet zwischen 0,28 und 0,48% des BIP öffentliche Entwicklungshilfe. Europadurchschnitt sind 0,4% und in Norwegen sind es gar 0,9%.
Die Zielvorgabe der UN-Vollversammlung 1970 waren 0,7%.
Ist Österreichs Entwicklungshilfe so gesehen ausreichend?

Wenn man sich bereits vor vielen Jahren, ja Jahrzehnten zu etwas verpflichtet hat, dann ist es schwer beschämend, dass man als so reiches Land solange nicht einmal die Hälfte davon erfüllt und es jetzt so großer Anstrengungen bedarf auf 0,51% zu gelangen. Der Punkt ist allerdings: es geht nicht nur um eine quantitative Erhöhung der Mittel, sondern vor allem auch um eine qualitative Verbesserung. Daher reicht mir die Forderung nach mehr Mitteln alleine nicht. Es geht auch darum, was mit den Geldern passiert.

Ist das nur eine Sache der Politik?
Ist in Norwegen die Einstellung eine derart andere, dass man dort 0,9% verkraftet?

Das ist eine Frage der politischen Prioritätensetzung. Natürlich geht das auch mit dem Verständnis der Bevölkerung einher, hier ist noch viel zu wenig Wissen über die Zusammenhänge und Notwendigkeiten vorhanden. Von den NGOs und aus der Wissenschaft kommen immer wieder mahnende Aktionen und Aufrufe. Es tut sich schon auch auf politischer Ebene etwas, ich möchte das nicht nur negativ darstellen, aber angesichts der anstehenden Probleme ist es für mich viel zu wenig; ich finde das verantwortungslos.

Sind dann 0,7% ein Ziel oder ein Maßstab?

Das hängt davon ab, was man mit den 0,7% erreichen will. Ich verstehe Entwicklungszusammenarbeit sehr umfassend: Dazu gehört neben der Armutsbekämpfung im engen Sinne auch der Zugang zu den Bildungs- und Gesundheitsdiensten, wirtschaftliche Chancen, politische Partizipation, eine intakte Umwelt bis hin zur umfassenden menschlichen Sicherheit. Da wird es schwer, auch mit 0,7% alles zu erreichen. Zumal die Bemühungen immer wieder konterkariert werden, durch andere z.B. außenwirtschaftliche Aktivitäten, die wir setzen. Wenn man Entwicklungspolitik im Sinne von globaler Strukturpolitik sieht, wo auch Frieden und Umweltschutz gewährleistet werden sollen, dann ist das mit 0,7% niemals zu bewerkstelligen. Auch hier ist die Mittelverwendung eine Frage der falschen Prioritätensetzung, wenn man dem z.B. die ungleich höheren Militärausgaben gegenüberstellt.

Würde es Sinn machen die Entwicklungshilfe nicht mehr national zu behandeln sondern zum Beispiel im Forum der Europäischen Union?

Österreich hat ohnehin nie wirklich losgelöst vom internationalen Kontext agiert und ist ja in die EU eingebettet, beispielsweise dass wir nun bei den 0,51% bis 2010 oder bis 2015 die 0,7% mitziehen müssen, oder im Europäischen Konsens und der EU-Afrika-Strategie. Zudem gibt es auf OECD und internationaler, UN-Ebene viele andere Vereinbarungen, die wir als Mitgliedsland erfüllen müssen, wie die Pariser Deklaration und die Millenniumsentwicklungsziele. Die Verbesserung der internationalen Kooperation, Koordination und Kohärenz finde ich einen ganz entscheidenden Ansatz. Seit den 90er Jahren kann man beobachten, dass zunehmend erkannt wird, dass es, wenn jedes Land so im eigenen Interesse in der Welt agiert, nicht nachhaltig ist und schon gar nicht im Interesse der Betroffenen, die viel zu lange nicht zu Beteiligten gemacht wurden, geschweige denn von einem „ownership“ die Rede sein konnte. Die schwierige Frage ist die nach der Umsetzbarkeit von Theorie und Rhetorik in die Tat. Ich erkenne schon Bemühungen, entscheidend wird sein, wie weit man die nun viel bemühte Partnerschaft wirklich ernst nimmt und tatsächlich verwirklichen will. Es würde weltpolitisch, weltwirtschaftlich und machtpolitisch etwas anderes bedeuten, als davon wie bisher einseitig zu profitieren.

Jetzt aktuell wurde ja die Tsunamihilfe immer wieder von den Medien und der Opposition kritisiert. Ist der Ablauf bzw. die Vorgehensweise der Regierung für sie transparent bzw. argumentierbar? Es ist auch sehr schwer da an Zahlen zu kommen.

Das sieht man sehr schön in meinem Buchbeitrag. Es war in der Tat schwer, mir einen Überblick zu verschaffen. Natürlich war es eine ganz besondere Katastrophe. Ich sehe es jedenfalls kritisch, einerseits mitzutun im internationalen Konzert, sich an Spendenzusagen zu übertreffen, und dann in der Umsetzung nachzuhinken. Es wird immer wieder argumentiert, dass es keine sinnvollen Projekte mehr gab und das es keinen Sinn macht, das Geld einfach umzusetzen, nur um es umzusetzen. Ich stimmte dem zweiten Teil des Satzes zu, beim ersten Teil muss man aber weiterdenken. Wenn ich mich recht erinnere, waren „Ärzte ohne Grenzen“ die ersten, die aufgerufen haben „Bitte kein Geld mehr für die vom Tsunami betroffenen Regionen, wir brauchen es dringlich für die vielen vergessenen Katastrophen, die sich tagtäglich abspielen“. Man hätte, wenn man schon das Geld zusagt und offenbar auch mobilisieren konnte, die Mittel dann auch woanders sinnvoll einsetzen können. Das wäre im öffentlichen Bewusstsein eine große Chance für die langfristig orientierte Entwicklungszusammenarbeit gewesen, die man leider vertan hat. Es gibt übrigens auch vom Rechnungshof einen Bericht, der diverse Forderungen und Verbesserungsvorschläge enthält. Es gibt jedenfalls vieles aus dieser Katastrophe zu lernen – auch für die nächste, die bestimmt kommt.

Im September 2000 haben alle UNO Mitgliedsstaaten im Rahmen der Milleniumshilfe beschlossen, extreme Armut und Hunger zu bekämpfen. Bis 2015 soll der Anteil der Menschen, die Hunger leiden, halbiert sein. Inzwischen ist absehbar, dass dieses Ziel vor allem in Afrika nicht erreicht wird – obwohl heute mehr und viel billigere Nahrungsmittel produziert werden denn je. Wo ist das Problem?

Hunger ist weniger eine Frage der Produktionsmenge, denn der Verteilung, des Zugänge, der Kaufkraft der Menschen und politischer Fehlentscheidungen. Der fehlende politische Wille zur Erreichung der MDGs ist immer wieder zu betonen. In einer Welt in der so ein enormer materieller Reichtum, technologische Möglichkeiten, Wissen und Know-How zur Verfügung stehen, ist es für mich unerträglich, dass Millionen von Menschen verhungern, kein Trinkwasser zur Verfügung haben oder an leicht vermeidbaren Krankheiten sterben. Die Probleme sind ja nicht neu. Da versucht die Entwicklungszusammenarbeit ja schon seit fünf Jahrzehnten, Lösungsansätze zu finden. Dann hat man das Millennium als Anlass genommen, konkrete Ziele zu vereinbaren und mit Maßnahmen zu versehen. Meine Hoffnung wären noch viel ambitioniertere Ziele gewesen, und nun scheint es, dass nicht einmal dieser Minimalkonsens zu Wege gebracht wird. Das ist eigentlich ein Skandal.

Wieso werden dann solche Vereinbarungen getroffen, wenn der politische Wille ohnehin fehlt?

Es handelt sich um Themen, wo schwer argumentierbar ist, das man nicht dafür ist. Wer sagt schon: „Bitte ich hab kein Problem damit, das in anderen Teilen der Welt Menschen sterben.“ Sich zu den Zielen zu bekennen ist eines, was man dann konkret tut, um sie zu erreichen, ist der andere, entscheidende Schritt. Wobei ich nicht nur auf die Politik schimpfen möchte, es liegt auch an jedem und jeder Einzelnen von uns etwas zu tun. Gerade da merke ich immer wieder in Gesprächen, dass die Bereitschaft dazu häufig nicht so groß ist und die Verantwortung auf die Anderen abgeschoben wird. Ich möchte das nicht auf die Entscheidung im Supermarkt beschränken, aber in diesem Bereich kann man schon einiges tun, in dem man z.B. zu „Fair-Trade“ Produkten greift. Den Aufpreis können sich die meisten leisten, insbesondere wenn man es im Vergleich sieht, zu den Dingen, für die sonst Geld ausgegeben wird. Das ist eine Frage der Prioritätensetzung und des Bewusstseins. Ich rede dabei freilich nicht von den Menschen, die auch in Österreich unter der Armutsgrenze leben.

Ein groteskes Beispiel ist die Dem. Rep. Kongo. In diesem rohstoffreichen Land hungern 71% der Menschen. Von den 35 Ländern, die von schwerer Lebensmittelknappheit betroffen sind, liegen 24 in Afrika. Ist damit der Beweis erbracht, dass die gegenwärtig praktizierte Entwicklungshilfemodelle nicht viel taugen?

So einen einfachen Schluss würde ich nicht ziehen. Rohstoffe als Segen oder Fluch für die jeweiligen Länder und ihre Bevölkerung haben wir gerade in zwei Veranstaltungen behandelt. Sehr oft haben sich Rohstoffvorkommen als Fluch herausgestellt. Dabei liegt nicht die alleinige Verantwortung für die Misere in der OECD. Es sind in den Ländern selbst „Hausaufgaben“ zu erledigen. Solange dort auch Strukturen herrschen, wo sich einige wenige an ihren Landsleuten und auf Kosten der Natur bereichern, würde es für mich schon bei einer Umverteilung in den Ländern selbst und gutem Regierungs- und Verwaltungshandeln beginnen. Mir geht es darum, die internen und externen Aspekte zusammenzuführen. Es sind natürlich auch hier die weltweiten Rahmenbedingungen zu verändern. Gerade was die Rohstoffe betrifft, auf deren Ausbeutung und niedrigen Preisen auch noch heute unser Wohlstand beruht und die häufig unter unsäglichen Arbeitsbedingungen zu Tage gefördert werden und wo auf Umweltschutz wenig Rücksicht genommen wird. Es bräuchte strenge Regelungen für Unternehmen, in Kombination mit einer stärkeren Zivilgesellschaft, die in den Ländern noch nicht oder nur marginal existent ist. Da sehe ich ein großes Plus der Globalisierung, dass es heute für Organisationen die Möglichkeit eines Austausches gibt und voneinander zu lernen ist.

Es gab immer wieder Probleme mit Hilfsorganisationen. Geld verschwindet, landet in Kriegskassen und zweckentfremdet. Welche Organisationen würden Sie einem österreichischen Bürger empfehlen um seine Spende gut angelegt zu wissen?

Ich möchte nicht eine Organisation herausgreifen, es gibt zahlreiche professionelle NGOs, es gibt ein Spendengütesiegel. Mit geht es vor allem um Bewusstseinsbildung. Der Begriff „Entwicklungshilfe“ transportiert immer, dass es jemanden gibt, dem geholfen werden muss, also eine Machtasymmetrie. Man sollte sich vielmehr als Partner sehen, das ist natürlich ein gewisser Widerspruch zur realen wirtschaftlichen und politischen Machtsituation. Für mich reicht es nicht, ein Projekt wo beispielsweise ein Brunnen, Waisenhaus oder eine Schule gebaut werden, finanziell zu unterstützen, sondern mir geht es darum, abseits der Projekte und Programme auch auf die Strukturen und Machtverhältnisse zu schauen. Ich würde mir wünschen, dass wir irgendwann Entwicklungszusammenarbeit so nicht mehr brauchen, sondern dass es im Sinne einer gegenseitigen Lernkultur funktioniert und wir nicht mehr so tun, als wüssten wir die Lösung für jedes Problem. Vielmehr geht es darum, die Kapazitäten vor Ort zu stärken, damit die Menschen ihre Probleme selbst lösen können. Das wurde viel zu lange vernachlässigt. Wir können umgekehrt sehr viel von anderen Kulturen lernen. Zum Beispiel wie man miteinander umgeht, etwa Respekt gegenüber älteren Menschen, die bei uns keinen Wert mehr in der Gesellschaft zu haben scheinen oder was den Umgang mit unserer Mitwelt betrifft. Auch würde ich mir wünschen, das mehr in Richtung eines generellen „Fair Trade“ passiert. Also Bewusstsein in der täglichen Kaufentscheidung. Das beschränkt sich nicht nur auf Lebens- und Genussmittel, jeder von uns trägt Kleidung und da einmal zu hinterfragen, woher kommt das, wie ist es produziert worden, was bedeutet das für die Menschen, die es gemacht haben und wie sieht das für die Umwelt aus? Das sind die Fragestellungen, deren Antworten jeder mit beeinflussen kann. Es geht freilich noch weit darüber hinaus, wenn man an die ganze Klimathematik denkt, hat das ja sehr weitreichende Auswirkungen für die ärmsten Bevölkerungsschichten in anderen Teilen der Welt, die sehr wenig zum Problem beigetragen haben und von den Auswirkungen aber voll betroffen sind. Hier geht es um das eigene Mobilitätsverhalten und den eigenen Energieverbrauch, sich also immer bewusst zu machen, dass, was immer man tut, auch ein Stück dazu beiträgt, wie es in anderen Teilen der Welt aussieht. Daher ist es ganz wichtig das eigene Handeln immer im Kontext der Welt zu betrachten und da auch von der Politik entsprechend einzufordern, dass Vereinbarungen erfüllt und entsprechende Rahmenbedingungen gesetzt werden.

Konkret: Soll man also spenden und an wem?

Das heißt natürlich nicht, dass man nicht mehr spenden soll, aber es sollte sich nicht darauf beschränken. Jedenfalls soll man sich die Organisationen sehr genau anschauen. Wenn es irgendeine Organisation ist, die einen vielleicht auf der Straße anspricht, die man dann im Internet nicht findet und sich auch sonst keine Angaben ausfindig machen lassen, dann würde ich die Finger davon lassen. Ich bin selbst schon von dubiosen Organisationen angesprochen worden. Auch beim Tsunami hat sich gezeigt, dass „schwarze Schafe“ oft auftreten, wo etwas zu holen ist. Auch ist gut gemeint nicht immer gut und ein professioneller Auftritt bedeutet nicht automatisch hohe Qualität in der Umsetzung. Meine Empfehlung also: Nicht schnell das Gewissen erleichtern, sondern eine intensivere Auseinandersetzung damit, wo man einen nachhaltigeren Beitrag leisten kann.

CV – Dr. Petra C. Gruber

geb. 1971Sozialwirtschaft-Studium Univ. Linz;

Schwerpunkte: Umwelt- & Entwicklungspolitik

1996 – 1999 Interdisziplinäres Forschungsinstitut für Entwicklungszusammenarbeit (IEZ) / Linz; Forschungsassistentin

2000 African Medical Research Foundation (AMREF); Assistentin des Direktors Seit

2001 Institut für Umwelt – Friede – Entwicklung (IUFE) / Wien; GeschäftsführungSS

2008 Lehrbeauftragte der Universität Wien (ie)

Forschungsreisen und Aufenthalte:

Südafrika 1995, Tanzania 1996, Zimbabwe 1998, Uganda 2002, Sri Lanka 2005, Bolivien 2006, Äthiopien 2007.

ö. Delegationsmitglied bei der UN Konferenz über Nachhaltige Entwicklung, Jo’burg 2002;

Begleitung der Parlementarier nach Mosambik 2008

1000 km lange Pilgerreise zum Bewusst-Sein, südlicher Jakobsweg

2003 Div. Publikationen zu Nachhaltigen Entwicklungen und Globalisierung

 

Posted in Abrüstung, Afrika, Entwicklung, Friedensbewegung, Friedensforschung, Friedensjournalismus, Friedenspädagogik, Friedensstifterin, Global, Mitwelt, Österreich, Peacebuilding, Rezension, Umwelt, Unfrieden