50 Jahre GKSS und Deutschlands Streben nach der Atombombe
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17.05.2006
Das Kernforschungszentrum GKSS feiert heute 50-jährigen „Geburtstag“ /
Die Gründer der GKSS forschten bereits in der Nazi-Zeit an der
Atombombe / War der Brand am 12. September 1986 auf dem Gelände der
GKSS Folge von Atombomben-Experimenten?
Daß Wissenschaftler auch heute in Deutschland an der Atombombe
forschen, wird offiziell geleugnet. Dennoch gibt es eine Vielzahl ernst
zu nehmender Hinweise, daß eine solche Forschung seit Beginn der
Bundesrepublik bis heute nicht nur geduldet, sondern mit öffentlichen
Mitteln gefördert wird. So wurde bekannt, daß am IPP Garching bei
München mit atomwaffenfähigem Uran hantiert wird.
Die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO hatte – noch unter
ihrem früheren Vorsitzenden Hans Blix – von der deutschen
Bundesregierung gefordert, auf den Einsatz hochangereicherten Urans im
Forschungsreaktor Garching 2 zu verzichten. Dieser Forderung schloß
sich der heutige Vorsitzende der IAEO, Mohammed al-Baradei, vor wenigen
Jahren an. Doch selbst der Protest der USA an die deutsche
Bundesregierung, in dem von einem Bruch des
Non-Proliferations-Abkommens die Rede ist, blieb wirkungslos. Und wo
überall in Deutschlands Forschungszentren an der Atombombe geforscht
wird, ist selbst vielen Wissenschaftlern nicht bekannt.
In unmittelbarer Nähe des AKW Krümmel rund 30 Kilometer vor den Toren
Hamburgs liegt das Kernforschungszentrum Geesthacht, kurz: GKSS. Heute
feiert diese nach eigener Darstellung zivile Forschungseinrichtung mit
etlichen Veranstaltungen ihren 50. Geburtstag. Zu einem Festakt in der
Hamburger Fischauktionshalle sind laut GKSS „über tausend Gäste aus
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“ geladen. In einer offiziellen
„Information zur Geschichte des GKSS-Forschungszentrums“ findet sich
kein einziges Wort zu Waffen-Forschung oder militärischen Verbindungen.
Die Broschüre erweckt den Eindruck, bei der GKSS handele es sich um
eine Forschungseinrichtung der Umweltbewegung.
Und gerade in jüngster Zeit hat die Bundesregierung allen Grund,
jegliche Atomwaffen-Forschung geheim zu halten. Denn internationale
Brisanz erhält dieses Thema durch die Kriegsdrohungen gegen den Iran.
Der iranischen Führung wird vorgeworfen, nicht allein am Bau
„friedlicher“ Atomkraftwerke, sondern auch am Bau einer Atombombe
interessiert zu sein. Dabei ist längst nachgewiesen, daß sämtliche
Staaten, die in den Besitz des Know-hows zum Bau von Atomkraftwerken
gelangten, auch Ambitionen zeigten, in den „Club der Atommächte“
aufzurücken.
Nicht zuletzt die USA selbst haben längst in aller Öffentlichkeit
eingeräumt, den Atomwaffensperrvertrag mißachtet zu haben, indem sie
innerhalb der letzten zehn Jahre Mini-Atomwaffen („Mini-Nukes“)
entwickelten. Groß ist offenbar die Versuchung, diese nun auch zu
testen. Jetzt drohen die US-Regierung ebenso wie der französische
Präsident Chirac dem Iran mit einem atomaren Erstschlag, um so
angeblich zu verhindern, daß das iranische Regime sich die Besitzer von
Massenvernichtungsmitteln zum Vorbild nimmt.
Daß auch Deutschland bis in die jüngste Vergangenheit Ambitionen
zeigte, die in der Folge des Zweiten Weltkriegs auferlegte Beschränkung
in der Atomwaffen-Forschung zu beseitigen, zeigt sich nicht nur am
Beispiel Garching. Auf der Ebene internationaler Vertragswerke werden
beachtliche Verschiebungen deutlich. Seit 1990 das
Kriegswaffenkontrollgesetz geändert wurde, ist es der Bundesrepublik
nunmehr erlaubt, im „Rahmen der NATO“ Atomwaffen-Forschung zu
betreiben. Doch wo in Deutschland wird solche Forschung betrieben?
Am 12. September 1986 wurde bei einem Brand auf dem Gelände der GKSS in
Geesthacht radioaktives Material freigesetzt. Immer mehr Fakten deuten
darauf hin, daß es sich um einen Unfall bei Experimenten zur
Entwicklung von Mini-Atombomen („Mini-Nukes“) handelte. Über Jahre hin
wurde von Atom-Lobby, Behörden und Politik versucht, diesen Unfall zu
vertuschen. Nach der für Leukämie typischen Latenzzeit von vier Jahren
mußte ab 1990 in einem engen Kreis um die Atom-Anlagen eine eklatante
Häufung von Leukämie-Erkrankungen überwiegend bei kleinen Kindern
registriert werden. Eine Häufung von Leukämie-Fällen in dieser
Konzentration ist bisher weltweit sonst nirgendwo beobachtet worden.
Durch international anerkannte Wissenschaftler einer
Untersuchungskommission, mit Hilfe der atomkritischen
Ärzte-Organisation IPPNW, der ‚Bürgerinitiative gegen Leukämie in der
Elbmarsch‘ und nicht zuletzt durch einen couragierten Dokumentarfilm im
Auftrag des ZDF, gesendet am 2. April 2006 um 23.30 Uhr, kommt nun
allmählich Licht ins Dunkel eines „Skandals, der in Deutschland
seinesgleichen sucht“ (Frankfurter Rundschau). Zeugen meldeten sich
erstmals öffentlich zu Wort, die den Brand beobachtet hatten.
Radioaktive Kügelchen, die sich an einer Vielzahl von Stellen um die
GKSS fanden, erwiesen sich – nachdem sie mehrfach durch Institute in
staatlichem Auftrag als völlig harmlos qualifiziert worden waren – als
industriell gefertigt und in ihrer Zusammensetzung hochgefährlich.
Diese sogenannten Mikrosphären enthalten Plutonium, Americium, Curium
und Thorium in Konzentrationen, die so in der Natur nicht vorkommen.
Eine Untersuchung an der Minsker Sacharow-Universität durch den
international renommierten Experten für Plutoniumverortung Professor
Mironov ergab zudem, daß es sich weder um Fall-Out früherer
oberirdischer Atomwaffenversuche, noch um Spaltprodukte aus der Wolke
der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl handeln kann. Diese Mikrosphären
sind mit einer Titan-Ummantelung versehen. Art und Aufbau der
Mikrosphären verweisen darauf, daß sie aus einer Hybridanlage stammen,
bei der Kernreaktionen zur Energiefreisetzung genutzt werden sollten.
Wurden an der GKSS Experimente durchgeführt, die der Entwicklung von
Mini-Atombomben dienten?
In der schleswig-holsteinischen Landesregierung ist das
Sozialministerium für die Reaktorsicherheit zuständig. Die GKSS mit
ihrem Forschungsreaktor fällt in dessen Zuständigkeit. Auf Anfrage
erklärte die Pressesprecherin des Sozialministeriums Randy Lehmann, es
seien keine weiteren Untersuchungen der an der Sacharow-Universität
Minsk untersuchten Mikrosphären vorgesehen. Im übrigen sei die Übergabe
von Proben von Seiten der Bürgerinitiative ‚Leukämie in der Elbmarsch‘
sowohl dem Ministerium als auch der GKSS verweigert worden. Die
Umweltschützer verweisen darauf, daß diese Kügelchen ohne großen
Aufwand in der Umgebung der Atomanlagen zu finden seien. Im übrigen
wurden die Proben, die an der Sacharow-Universität untersucht wurden,
in Anwesenheit eines Notars genommen.
Das Kernforschungszentrum bei Geesthacht mit dem Tarnnamen GKSS,
„Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt
GmbH“, ist bereits seit seiner Gründung in die Entwicklung von
Militär-Technologie verwickelt. 1989 erschien eine Dokumentation mit
dem Titel ‚Atomforschung in Geesthacht – Schleichwege zur Atombombe?‘
Eine fünfköpfige Redaktionsgruppe deckte auf, daß die GKSS mit anderen
Kernfoschungszentren zusammen eine Infrastruktur aufgebaut hatte, die
Plutoniumwirtschaft im Labormaßstab ermöglichte. Der frühere SPD
Forschungsminister Volker Hauff wird mit der Äußerung zitiert, es
handele sich dabei um eine ausreichende Infrastruktur zum Bau einer
Atombombe. Die Geesthacher Forscher beschäftigten sich demnach bereits
seit den 50er Jahren mit Atombomben-Technologie.
Atomtransporte aus Geesthacht fuhren unter anderem direkt in die
militärische „Wiederaufarbeitungsanlage“ im französischen Marcule. Ein
weiterer in dieser Schrift dokumentierter Transport erweist sich aus
heutiger Sicht als weitaus brisanter: Im Zeitraum zwischen dem
15.9.1986 – also drei Tage nach dem Brand – und dem 14.9.1987 wurden
„bestrahlte Brennstabsegmente“ ins bayerische Karlstein verfrachtet
(oder handelte es sich um Karlstein am Main, dem Sitz der KWU?). Von
„Segmenten“ ist in Transport-Protokollen sonst nie die Rede. Brennstäbe
sind versiegelt und unterliegen der Spaltstoffkontrolle der IAEO. Auch
der Zielort Karlstein ist als „Endlager“ reichlich dubios. Eigentlich
ein Fall für die Staatsanwaltschaft.
Gegründet wurde die GKSS 1956 von den Kernphysikern Erich Bagge und
Kurt Diebner. Wer sich mit der Geschichte der Entwicklung einer
deutschen Atombombe in der Nazi-Zeit befaßt hat, kennt diese Namen. Sie
stehen neben Otto Hahn, Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker und
Werner Heisenberg auf der Liste der zehn deutschen Kernphysiker, die
von den Alliierten vom 3. Juli 1945 bis zum 3. Januar 1946 im
englischen Farm Hall interniert wurden.
Kurt Diebner war von Beginn an Leiter der NS-„Uranprojekts“ und Gründer
einer Forschungseinrichtung in Gottow auf dem Gelände der
Heeresversuchsstelle Kummersdorf. Im Herbst 1944 begann Diebner in
Gottow mit einem neuen Reaktorversuch, in dessen Verlauf es zu einem
Unfall kam. Die Umstände sind bis heute nicht eindeutig geklärt, aber
es müssen bei diesem Unfall mehrere Mitarbeiter verstrahlt worden sein.
Nachgewiesen sind Versuche Diebners zwischen 1943 und 1944 mittels
Implosion thermonukleare Reaktionen einzuleiten. Ein „Verfahren zur
Verwertung der Fusionsenergie von Deuterium und Tritium mit Hilfe
konvergenter, periodischer Verdichtungsstöße“ hat Diebner nach dem
Zweiten Weltkrieg alsbald zum Patent angemeldet (Patent 1414759). Diese
später als ICF-Verfahren (Inertial Confinement Fusion oder
Trägheitseinschlußfusion) bekannte Methode hat Jahrzehnte später bei
der US-amerikanischen Entwicklung von Mini-Atombomben, den sogenannten
Mini-Nukes, zum Durchbruch geführt. Forschungsschwerpunkte auf dem
ICF-Gebiet existierten in den 80er Jahren nicht nur im GKSS, sondern
auch im Kernforschungszentrum Karlsruhe, der GSI in Darmstadt und am
IPP Garching.
1947 gründete Diebner in Hamburg die Firma Durag. Ab Mai 1955 meldete
er auch gemeinsam mit Professor Erich Bagge zahlreiche Reaktorpatente
an. Darunter befinden sich unter anderem Patente zum Schnellen Brüter
sowie zur Plutoniumgewinnung und -separation. Zwei Patentanmeldungen
erfolgten 1955 zusammen mit Dr. Friedwardt Winterberg zu
thermonuklearen Bomben (Mini-Nuke, boosted weapon).
Am 4. März 1957 erschien Diebners Name in der deutschen Presse mit der
Ankündigung, er habe das „Geheimnis der Kernverschmelzung“ enträtselt.
Das Nachrichtenmagazin ’spiegel‘ brachte am 20. März 1957 ein größerer
Artikel hierüber, doch die wissenschaftlichen Erwartungen konnten nicht
erfüllt werden. Die Erforschung der Fusion blieb dennoch weiterhin
Diebners Spezialgebiet und führte zu weiteren Patentanmeldungen.
Erich Bagge arbeitete in der NS-Zeit in der „Gruppe Diebner“, benannt
nach dem Leiter des Kernforschungsreferats in Hitlers Heereswaffenamt,
Dr. Kurt Diebner. Die mit großem Enthusiasmus vorangetriebene Aufgabe
dieser Gruppe bestand in der Entwicklung einer deutschen Atombombe.
1939 war das Jahr, in dem der globale Wettlauf um den Erstbesitz der
Atombombe begann. Von den Nazis wurde bereits Anfang 1939 der
Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und Mitglied im
Reichsforschungsrat, Prof. Abraham Esau, mit der Organisation einer
Geheimkonferenz beauftragt. Auf dieser Konferenz zum „Uranproblem“, die
in Berlin am 29. April 1939 stattfand, wurden eine Reihe von wichtigen
Festlegungen getroffen. So wurden umgehend die in den böhmischen Gruben
von Joachimsthal geförderten Uranerze der alleinigen deutscher Nutzung
unterstellten. Das NS-„Uranprojekt“ wurde ins Leben gerufen und
deutsche Kernphysiker in Forschungsgruppen zusammengefaßt, um effektiv
an der Entwicklung der Atombombe zu arbeiten.
Parallel arbeiteten im Nazi-Deutschland Forschergruppen um Paul Harteck
an der Uni Hamburg (später in Celle: Isotopentrennung!), um Heisenberg
und Döpel an der Uni Leipzig, um Bothe am Kaiser-Wilhelm-Institut für
Medizin Heidelberg, und um von Weizsäcker und Wirtz am
Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin an derselben Zielsetzung.
Das Heereswaffenamt beschlagnahmte in der Folgezeit das KWI in Berlin
und setzte dort Diebner als Leiter ein. Ziel der ab 1939 im
„Uranprojekt“ koordinierten Forschergruppen war – wie eine Reihe
erhaltener Unterlagen beweist – die Schaffung der technischen
Grundlagen zum Bau der Atombombe. Bereits im März 1943 hatte die Gruppe
um Harteck herausgefunden, daß durch die Hintereinanderschaltung
mehrerer Zentrifugen die nötige Anreicherung von Uran-235 erreicht
werden kann.
Bagge bestritt zwar in späteren Jahren gelegentlich, jemals etwas mit
der Entwicklung der NS-Atombombe zu tun gehabt zu haben. Doch seine
eigenen Schriften legen Zeugnis darüber ab, daß er eine zentrale Rolle
bei dieser „kriegswichtigen Forschung“ gespielt hatte. Zusammen mit
Diebner veröffentlichte er 1957 ein Taschenbuch, in dem auch sein
Tagebuch über diese Zeit veröffentlicht ist (Bagge/Diebner/Jay: Von der
Uranspaltung bis Calder Hall, Reinbek 1957). Zwischen 1941 und 1943
entwickelte Bagge die Isotopenschleuse, ein Gerät zur Anreicherung des
Urans bis zu einem bombenfähigen Grad.
Auch Erich Bagge faßte nach dem Zweiten Weltkrieg in der jungen
Bundesrepublik schnell wieder Fuß. Bereits 1948 wurde Bagge zum
Außerordentlichen Professor und Abteilungsleiter des Physikalischen
Staatsinstituts in Hamburg berufen. Er gründet das Institut für Reine
und Angewandte Kernphysik der Uni Kiel. Durch Professor Bagge bestand
von Anfang an eine enge Verbindung mit dem Forschungsreaktor
Geesthacht, der später durch die Gesellschaft für Kernenergieverwertung
in Schiffbau und Schiffahrt (GKSS) als Trägerorganisation betrieben
wurde.
Als Publikations-Organ gab Professor Erich Bagge die Zeitschrift
‚Atomkernenergie‘ heraus. Mitherausgeber war Professor Kraut von der
Bundeswehrhochschule in Neubiberg. Im erweiterten Herausgeberkreis sind
die Namen Friedwardt Winterberg und Prof. W. Seifritz zu finden.
Letzterer ein Schweizer Atomwaffenspezialisten vom Atomzentrum
Würenlingen. Winterberg veröffentlichte in dieser Fachzeitschrift 1956
einen Beitrag, der technische Details verschiedener thermonuklearer
Reaktionen behandelt und spezifische Kenntnisse von der Funktionsweise
der Wasserstoffbombe verrät. Bei der Wasserstoffbombe handelt es sich
um eine Atombombe, deren Wirkungsweise auf der Energiefreisetzung durch
Kernfusion beruht.
Bagge unterhielt auch immer enge politische Kontakte. Nach dem Zweiten
Weltkrieg sicherte ihm sein Sitz in der Atomkommission Einfluß im
Atomministerium. Er konnte sich zudem freundschaftlicher Beziehungen zu
Franz Josef Strauß rühmen.
Neben Diebner und Bagge waren beim Aufbau des GKSS weitere Personen mit
unrühmlicher Vergangenheit beteiligt. So Paul Harteck (auch er stand
auf der Liste der zehn brisantesten deutschen Kernphysiker und gehörte
während der NS-Zeit zur „Gruppe Diebner“) und der zum Generaldirektor
der AG Weser aufgestiegene Heinrich Schliephake, der 1944 als Direktor
bei Blohm + Voss maßgeblich bei der Einrichtung eines KZ-Außenlagers
mitgewirkt hatte.
Nachgewiesen werden können darüber hinaus Auftragsarbeiten der GKSS für
die Bundeswehr in den 60er Jahren. Franz Josef Strauß, 1955 und 1956
Atomminister, von 1956 bis 1962 Rüstungsminister und von 1966 bis 1969
Finanzminister in einer „schwarz-roten“ Bundesregierung bekannte in
seiner Autobiographie stolz: Bereits 1958 hatten der deutsche, der
französische und der britische Außenminister bei einem Geheimtreffen
ein Abkommen zur geheimen Produktion von Atomwaffen unterzeichnet.
Die wissenschaftlichen Einrichtungen und Erkenntnisse der GKSS wurden
insbesondere von der deutschen Industrie genutzt. Darunter befanden
sich prominente Rüstungs-Konzerne wie MTU München, Rheinmetall, Rohde
& Schwarz, HDW Kiel und das durch seine U-Boot-Blaupausen bekannte
Ingenieurkontor Lübeck (IKL). Mehrfach arbeitete die GKSS auch direkt
mit militärischen Einrichtungen zusammen, so mit den
Bundeswehruniversitäten in Hamburg und München. In den 80er Jahren
führte die Wehrwissenschaftliche Dienststelle der Bundeswehr für
ABC-Schutz Bestrahlungsversuche in den Forschungsreaktoren der GKSS
durch.
Im November 2004 äußerte der Münchner Strahlenmediziner Edmund
Lengfelder, Mitglied der Leukämie-Kommission, gegenüber der
‚Süddeutschen Zeitung‘ (2.11.2004) den Verdacht, daß es sich bei den
gefundenen Mikrosphären um PAC-Kügelchen handele. Die Bezeichnung PAC
leitet sich ab von den drei Isotopen Plutonium, Americium und Curium.
Solche Kügelchen wurden als Bestandteile der Brennstoffkugeln des
Hochtemperaturreaktors (THTR) in Hamm-Uentrop produziert, der nach nur
zweijährigem Betrieb im Jahr 1989 stillgelegt werden mußte.
Die im THTR eingesetzten Brennelementkugeln mit einem Durchmesser von
rund 6 Zentimeter enthalten jeweils mehrere tausend PAC-Kügelchen.
Diese oder ähnlich aufgebaute Mikrosphären könnten – so Lengfelder –
auch benutzt werden, um damit unter Laser-Beschuß nukleare
Mini-Explosionen auszulösen. Etlichen Physikern aus dem Umfeld des GKSS
veröffentlichten Publikationen in Fachzeitschriften, die ihr Interesse
an eben solchen Experimenten belegen. Lengfelder vermutet, daß es am
12. September 1986 bei solchen illegalen Experimenten zu einem schweren
Unfall kam. Ein solcher Hintergrund des Unfalls wäre ein plausibles
Motiv für die hartnäckige „Mauer des Schweigens“ (ZDF). Darüber hinaus
ist es naheliegend, daß mit einem solchen Skandal 1986 in Deutschland –
nur ein halbes Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl – ein
tatsächlicher Ausstieg aus der Atomenergie, wie er in Italien zu jener
Zeit realisiert wurde, auch in Deutschland besiegelt gewesen wäre. „Das
Geständnis eines Unfalls (…) hätte den Atomenergie-Konzernen das
Geschäft vermutlich auf Dauer verdorben“, so die ‚Frankfurter
Rundschau‘.
Ein weiterer Fund bestätigt die Vermutung Lengfelders: Der Berliner
Physiker Sebastian Pflugbeil von der ‚Gesellschaft für Strahlenschutz‘
stieß auf Stasi-Dokumente über bundesdeutsche Nuklearforschungen. In
diesen Unterlagen der Abteilung 5 der Hauptabteilung XVIII von 1987 ist
tatsächlich von „Mininukes“ die Rede, an denen in der BRD gearbeitet
werde und die man mit Hilfe eines Röntgen-Lasers zur Explosion bringen
könne. Darin heißt es: „Interessanterweise sind in der letzten Zeit die
Erfolg versprechendsten Fusionskonzepte in einer ganz anderen Richtung
angelegt worden“, die ergeben haben, daß bei
„Fusions-Fissions-Kügelchen eine andere Anwendung wesentlich
interessanter ist“. Das werde „durch die Zielrichtung der
US-amerikanischen Atompolitik unterstützt“, bei der „das Streben der
Kernwaffenforschung eindeutig zu kleineren und leichteren Kernladungen
(…) geht“. Weiter ist in diesem MfS-Dokument die Rede von Kügelchen
mit Abmessungen im Millimeter- bis Zentimeter-Bereich, die gigantische
Sprengstärken entwickeln. Gegen diesen Dokumenten-Fund des früheren
DDR-Bürgerrechtlers Pflugbeil wird auffallend schnell das
Totschlag-Argument in Stellung gebracht, sämtliche Stasi-Unterlagen
seien allein zur Desinformation produziert worden.
Der Brand in der GKSS war nicht der einzige größere Unfall in jener
Zeit, der unter den Teppich gekehrt werden sollte. Im Januar 1987
ereignete sich eine Explosion im NUKEM-Werk in Hanau, die nicht völlig
vertuscht werden konnte. Nach offiziellen Angaben wurde bei der „Panne“
lediglich eine Person durch Freisetzung von Plutonium aus einer kleinen
Probe kontaminiert. Laut Aussagen eines mit der Untersuchung der
Betroffenen betrauten Wissenschaftlers seien jedoch tatsächlich 36
Arbeiter einer Strahlendosis weit über dem zulässigen Grenzwert
ausgesetzt gewesen. Viele dieser Arbeiter seien heute an Krebs
erkrankt, doch sie würden nicht an die Öffentlichkeit gehen, weil sie
um ihre Betriebsrente fürchteten.
Als das von der Explosion zerstörte Gebäude in Hanau 2003 abgerissen
und nach den entsprechenden Entsorgungsrichtlinien abgetragen wurde,
war die Beteiligung der örtlichen Behörden unvermeidbar.
NUKEM-Ingenieur Paul Börner äußerte während dieser Arbeiten gegenüber
einem Beamten: „Jetzt, wo es verjährt ist, kann ich es ihnen ja sagen:
Das ist das Gebäude, das uns damals hochgegangen ist.“ Protokolliert
ist diese Aussage in den Akten der Hanauer Staatsanwaltschaft. Anfang
1987 war Joseph Fischer „Umwelt“-Minister in Hessen. Laut Zeugen war er
vom Ausmaß des Unfalls in Hanau, sowohl von den Hintergründen als auch
von den Folgen, umfänglich informiert. Auch er hielt dicht.
In der Umgebung der Unfallstelle in Hanau fanden sich ebenfalls ominöse
Brennstoffkügelschen. Im Unterschied zu jenen in der Umgebung von
Geesthacht hatten sie jedoch keine auffällige Häufung von
Leukämie-Fällen zur Folge. Wurde in Geesthacht und in Hanau an
verschiedenen Konzepten zur Entwicklung der Mini-Atombombe geforscht?
Eine genauere Untersuchung der verschiedenen Mikrosphären mit
Durchmessern von 5, 20 und 50 Mikrometern hätte längst darüber
Aufschluß geben können. Doch eine Aufklärung konnte bislang von einer
gemeinsamen Front aus Atom-Mafia, Behörden und Politikern jeglicher
Couleur blockiert werden.
Klaus Schramm <klaus.schramm@bund.net>;
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