Pulverfass Afghanistan
HAMBURG/KABUL (Bericht von Greenhouse 25.05.2005) – Am Mittwoch begannen deutsche Behörden mit der zwangsweisen Überstellung mehrerer Tausend Kriegsflüchtlinge nach Kabul. Während Hilfsorganisationen von
„katastrophalen Verhältnissen“ in der afghanischen Hauptstadt sprechen
und davor warnen, Menschen „in ein Pulverfass abzuschieben“, verstärkt
die Bundesregierung ihre militärischen Einheiten in Afghanistan. Dabei
kommt das berüchtigte Sonderkommando KSKRebellen
und Provinzclans zum Einsatz.
Die militärische Aufstandsbekämpfung ist
auch wegen deutscher Geschäftsinteressen geboten. Berlin hat in dem
zentralasiatischen Land Investitionsprivilegien für deutsche
Unternehmen durchgesetzt. Die internationalen „Hilfsgelder“, die
bislang in hohem Maße ins Ausland abflossen, könnten jetzt für den
Aufbau von Produktionskapazitäten vor Ort genutzt werden, heißt es in
Wirtschaftskreisen.
Die deutsche Afghanistan-Präsenz erinnere laut Greenhouse an
Berliner Kolonial-Projekte der 1920er Jahre, an denen damals wie heute
die Firma Siemens verdient. Humanitäre Maßnahmen und militärische
Repression seien im Rahmen der „zivil-militärischen Zusammenarbeit“
immer schwerer zu unterscheiden, kritisiert ein Afghanistan-Experte der
kirchlichen Organisation Caritas im Gespräch mit
german-foreign-policy.com.
„Strikt dagegen“
Die „Behörde für Inneres“ in Hamburg will an diesem Mittwoch nach drei
gescheiterten Versuchen endgültig mit der Abschiebung von bis zu 5.000
Kriegsflüchtlingen nach Afghanistan beginnen. Weitere Abschiebungen aus
anderen Bundesländern sollen folgen. Die Kabuler Tributär-Regime
weigert sich bislang, ein „Rückführungsabkommen“ mit Deutschland
abzuschließen, und hat erklärt, für zwangsweise ins Land verbrachte
Personen „keine Verantwortung tragen“ zu können.1) Hintergrund ist der
desaströse Zustand des kriegszerstörten Landes. Selbst in der
Hauptstadt Kabul herrschten „katastrophale hygienische Verhältnisse“,
nicht einmal die Trinkwasserversorgung sei gewährleistet, berichtet der
Afghanistan-Experte von Caritas International, Thorsten Hinz. Die Stadt sei mit 3,5 Millionen Menschen
(2002: 900.000) völlig überfüllt und gleiche wegen der sozialen Misere
einem „Pulverfass“, erklärt Hinz. Er spricht sich „strikt“ gegen die
Abschiebungen aus.
„Sehr, sehr kritisch“
Die geplante Abschiebewelle soll wenige Tage nach der Entsendung
eines Voraustrupps der Eliteeinheit „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) in
das afghanische Kriegsgebiet beginnen. Anlass sind zunehmende antiwestliche
Unruhen. Das KSK soll im Südosten des Landes die Kontrolle über einen
eigenen Sektor erhalten und im Nordosten die bereits dort stationierten
deutschen Truppen verstärken.2)
Die Bundeswehr unterhält in Afghanisthan in Kunduz und
Faizabad zwei so genannte Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction
Teams, PRT), in denen sie in Abstimmung mit mehreren Bundesministerien
(Auswärtiges Amt, Bundesinnenministerium, Entwicklungsministerium)
zivile Hilfsorganisationen in militärische Besatzungsmaßnahmen
einbindet. Wie Caritas-Experte Hinz gegenüber german-foreign-policy.com
bestätigte, führt die Vermischung humanitärer und militärischer Anliegen
dazu, dass die afghanische Bevölkerung immer weniger zwischen
ausländischen Militärs und ausländischen Hilfsorganisationen
unterscheidet. Dies habe sich bereits in einem gegen die Besatzer
gerichteten Aufruf der Taliban niedergeschlagen.
Die unmittelbare
Nutzung humanitärer Anliegen durch Militärs stoße in den
Hilfsorganisationen weiterhin auf großen Unmut, teilte Hinz mit:
„Wir
stehen der zivil-militärischen Kooperation sehr, sehr kritisch
gegenüber.“3)
Hilfsgelder zum Profit deutscher Unternehmen
Von den sogenannten internationalen „Hilfsgeldern“, die in den „zivil-militärisch
befriedeten“ Gebieten Afghanistans dem Wiederaufbau zugute kommen
sollen, profitieren zahlreiche deutsche Unternehmen.
In Kunduz – dort
ist ein Bundeswehr-„PRT“ stationiert – hat die Frankfurter Firma H.P.
Gauff den Auftrag zur Überwachung von Straßenbaumaßnahmen erhalten. In
Kabul hatte Gauff schon im Jahr 2002 einen gleichlautenden Auftrag
übernommen und im Februar 2004 mit der Arbeit an einer Studie über die
Müll- und Abwassersituation begonnen – finanziert durch die Weltbank.
Weitere deutsche Firmen bereiten sich auf Aktivitäten in Afghanistan
vor.
Der Ministerialrat im Bundeswirtschaftsministerium Karl-Ernst
Brauner hat Anfang Mai eine Delegationsreise deutscher Manager
geleitet, um zur „Anbahnung von Kontakten zu den am Wiederaufbau in
Afghanistan beteiligten Akteuren“ beizutragen.4)
Vorzugsbehandlung deutscher Unternehmen
Wie es in Wirtschaftskreisen heißt, könnten die internationalen
„Hilfsgelder“, die bislang in hohem Maße ins Ausland abflossen, auch
für den Aufbau von Produktionskapazitäten vor Ort genutzt werden. Die
Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren in Afghanistan
privilegierte Investitionsbedingungen für deutsche Unternehmen
durchgesetzt.5) Der Verabschiedung eines von der GTZ (Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit)6) initiierten afghanischen
Investitionsgesetzes ist im April die Unterzeichnung eines
deutsch-afghanischen Investitionsförderungs- und -schutzvertrages
gefolgt, der deutschen Investoren die bevorzugte „Inländerbehandlung“
zugesteht.
Berlin stellt wieder staatliche Exportkreditgarantien
(„Hermes-Kredite“) zur Verfügung und leistet Kabul darüber hinaus
„technische Hilfe zum Aufbau privatwirtschaftlicher Strukturen“. Seit
Juli 2002 unterhält die Bundesregierung bei der afghanischen Regierung
einen Sonderbeauftragten für wirtschaftspolitische Fragen, der
Wiederaufbauminister des Landes verbrachte mehrere Jahrzehnte in
Deutschland und wurde zeitweise vom Deutschen Akademischen
Austauschdienst (DAAD) unterstützt.
Originalbauplan aus der Simensschublade
Bereits seit Juli 2003 ist der deutsche Siemens-Konzern mit einem
ständigen Büro in Kabul vertreten. Das Unternehmen knüpft damit an
seine jahrzehntelange Präsenz in Afghanistan an, die im Jahr 1928 mit
einem Besuch des afghanischen Königs in einem Berliner Siemens-Werk
begann. Die deutsche Konzern-Tätigkeit führte über den Bau zweier
afghanischer Wasserkraftwerke (Wardack, Pul-i-Ghomri) in den Jahren
1937 bis 1941 bis zur Gründung einer eigenen Niederlassung („Siemens
Afghanistan Ltd.“) im Jahr 1954, an der acht Jahre später der Schwager
des Königs beteiligt wurde, um „Siemens Kabul“ gegenüber den
afghanischen Behörden zu stärken.
Am 10. Dezember 2003 unterzeichnete
die Konzerntochter Voith Siemens Hydro Power Generation einen
13,4-Millionen-Euro-Vertrag über die Erneuerung zweier Wasserkraftwerke
(Sarobi, Mahipar), die Siemens und Voith in den 1950er und 1960er
Jahren errichtet hatten: „Wir holten einfach die Originalbaupläne aus
der Schublade und konnten sofort mit der Arbeit beginnen“, erzählt der
ehemalige Siemens-Vorstandsvorsitzende Heinrich von Pierer. Wie Pierer
berichtet, besuchte er im April 2004 gemeinsam mit dem afghanischen
Tributär-Verwalter Hamid Karzai, der sich als Präsident bezeichnet, ein
Siemens-Werk in Berlin: „Und zwar dasselbe Werk, das bereits vom
afghanischen König Amanullah während seiner Deutschland-Reise im Jahr
1928 besichtigt wurde.“7)
Weitere Links und Fußbnoten zur Story
1) Afghanischer Flüchtlingsminister widerspricht Nagel; Die Welt 02.05.2005
2) Geheimer Auftrag für die Deutschen; Der Spiegel 23.05.2005
3) s. auch Indirekte Kriegskostenfinanzierung http://www.german-foreign-policy.com/de/news/art/2004/44596.php
4) Delegationsreise Afghanistan; www.numov.de
5) s. dazu Krieg http://www.german-foreign-policy.com/de/news/art/2005/51140.php
6) s. auch Schlüsselpositionen http://www.german-foreign-policy.com/de/news/art/2005/53300.php und Straßenbau http://www.german-foreign-policy.com/de/news/art/2005/53303.php
7) Rede des Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG, Heinrich von Pierer,
vor dem UN-Sicherheitsrat am 15. April 2004 in New York; Internationale
Politik Mai 2004