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Literaturnobelpreisträgerin und Friedensbewegerin

Erstellt am 09.10.2004 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 3278 mal gelesen und am 12.01.2010 zuletzt geändert.

Grußadresse von Elfriede Jelinek zum Hiroshimatag 2004

Wir starren seit vielen Jahren auf die schrecklichen Konflikte und Kriege in der Welt. Sie allein sind schon kaum noch zu kontrollieren, wie wir sehen. Jeder Tote ist einer zuviel. Aber diese Schrecknisse sind nur eine dünne Tünche über dem wahren Schrecken, der ständig in den alten wie den neuen Atommächten lauert, wie ein schlafendes Ungeheuer, das jederzeit aufwachen könnte. Aus Gründen der Staatsräson verschleiern viele Länder ihr atomares Potential oder reden es klein, andre wieder drohen ganz unverhohlen damit, um stärker zu erscheinen oder etwas anderes damit zuerreichen, durch Erpressung. Sie brüsten sich ihrer Fähigkeit, ganze Landstriche ausradieren zu können. Jedes dieser Länder hat die Möglichkeit, zugrunde zu gehen und viele andre Länder, die ganze Welt in ein Brandopfer ihrer selbst hineinzureißen. Es scheint, als ob alles Entscheidende ohne unser Zutun geschähe. Immer kleinere, mobilere atomare Waffen werden entwickelt, und gleichzeitig sinkt die Schwelle immer weiter, sie auch einzusetzen. Krieg scheint zu einem legitimen Mittel der Konfliktlösung geworden zu sein.
Einzelsubjekte werden auf dem Schlachtfeld geopfert, damit das große Opfer, das Opfer des Kollektivs in einem atomaren Krieg, ein gewohntes wird. Aber niemand kann sich vorstellen, wie alles danach aussehen wird. Nur Hiroshima und Nagasaki, die beiden Städte, können es sich vorstellen, und damit haben sie eine Verpflichtung übernommen. Es sieht so aus, als müssten immer die Opfer und ihre Nachkommen vor dem Schrecken warnen, die Täter übernehmen diese Aufgabe so gut wie nie. Wir müssten unserer
Opfererfahrung aber zuvorkommen, wir müssten schon warnen, ohne erst Opfer geworden zu sein (und die Opfer der beiden Weltkriege sind ja sehr wohl noch in unserem
kollektiven Gedächtnis vorhanden). Das heißt, wir müssten diesen Schleier über den bestgehüteten Geheimnissen der atomaren Waffen immer wieder heben,
ein einziger Blick unter diesen Schleier müsste uns zeigen, dass wir
das Fragwürdigste überhaupt verehrt haben: die Macht. Die Macht, die es
einer Nation verleiht, alle andren auslöschen zu können. Schon bevor
die atomare Katastrophe eintritt, löst sich das Subjekt von seiner
Bestimmung als Einzelner, der für seine Taten verantwortlich zu machen
ist, und überantwortet sich dieser anonymen Macht. Wird schon nichts
passieren. Wird
schon alles nicht so schlimm werden. Es kann jederzeit noch viel
schlimmer werden. Es kann jederzeit alles aus sein. Das sollte man
unbedingt jeden Tag aus dem Gedächtnis herausholen und anschauen, bis
man es nicht mehr aushält.
Damit man nicht das eigene Ende aushalten wird müssen.

Grußadresse von Elfriede Jelinek zum Hiroshimatag
2003

Es hat sich anlässlich des letzten Irakkriegs herausgestellt, dass die
Entscheidung über Krieg und Frieden keine Rechtfertigung mehr zu
brauchen scheint, bzw. dass unüberprüfbare Lügen und Halbwahrheiten
bereits zu genügen scheinen, um einen Krieg zu führen. Die öffentliche
Willensbildung, das Engagement vieler Menschen gegen völkerrechtlich
nicht begründete
Angriffskriege scheint keine Rolle mehr zu spielen. Es gibt keine
Nachprüfbarkeit von scheinbaren Fakten, die angeblich von irgendwelchen
Geheimdiensten geliefert wurden (oder auch nicht), vorgeschobene
Kriegsgründe haben sich von der Realität längst abgekoppelt. Alle, die
meisten zumindest, wissen, dass etwas falsch ist an so einem Krieg,
doch
anscheinend genügt die Willkür einzelner Regierungen, ihn trotzdem zu
führen, den zivilen Widerstand, auch in den eigenen Ländern, zu
ignorieren und zu missachten. Dazu die immer undurchschaubarere
Verbreitung von  Massenvernichtungswaffen, nicht nur der erfundenen, die
nicht und nicht zu finden sind, sondern der ganz realen, in Indien,
Pakistan, Nordkorea, das solche Waffen vielleicht sogar herstellen
wird, um sie an noch undurchschaubarere Länder zu verkaufen. Die
Risiken sind immer schwerer zu kalkulieren. Es wird alles immer
undurchsichtiger, je mehr man an dem Schleier zieht, mit dem die
Herrschenden ihre Absichten zu verbergen suchen. Es ist natürlich, dass
der Mensch seine Existenz auf etwas über sich
hinaus richtet. Aber im Fall von Massenvernichtungswaffen richtet sich
dieses
Über-Sich-Hinaus, richtet sich sein eigentlich doch so großartiger
Erfindergeist nur auf Zerstörung, bis zur Zerstörung seiner selbst. Es
ist kein Unterwegs zu einem höheren Ziel, sondern ein Unterwegs zu
einer Art Implosion allen Wissens, als ein Unterwegs zum universellen
Tod. Ich sage natürlich nicht, dass ein allgemeiner Gottverlust dahin
geführt hätte, ich
bin nicht gläubig, ich hoffe nur, dass die Macht der Geschichtlichkeit,
unseres geschichtlichen Daseins, uns nicht alle zur Selbstzerstörung
verdammen wird. Ich sehe nur einen Weg, und der ist im dichten
Unterholz nur schwer auszumachen: Die Bürgergesellschaft wird noch
rationaler werden müssen, noch wachsamer, noch analytischer, und sie
wird lernen müssen, sich noch mehr Gehör zu verschaffen als bisher. Sie
wird noch sorgsamer alles abwägen müssen; und dann werden sie sich
selbst, die Zivilen, die Citoyens,
auf die Waagschale, auf der sie bisher immer zu leicht gewogen haben,
werfen müssen. Wir werden uns selber einsetzen müssen, noch stärker als
bisher, einfach nur um zu überleben. Mehr ist an uns nicht dran. Und
mehr ist nicht
drin.

Grußadresse von Elfriede Jelinek zum Hiroshimatag
2002

Es ist heute vieles im Bewusstsein und wird diskutiert. Aber dass ein
begrenzter Atomkonflikt z.B. zwischen Indien und Pakistan derzeit
möglich ist – aber was heißt schon: begrenzt, er wäre nicht zu
begrenzen – davon ist kaum die Rede. Vielleicht weil diese Art der
Konfliktaustragung undenkbar ist, aber es ist schon öfter das
Undenkbare geschehen, und vielleicht sind
wir für den Frieden bei uns auch immer zuwenig dankbar gewesen.
Das Erkennen, dass ein atomarer Konflikt wieder möglich wäre, auch wenn
die betroffenen Staaten eine solche Möglichkeit jetzt noch, zumindest
in den offiziellen Reden ihrer Politiker, und nicht einmal dort immer,
dass sie das noch von sich weisen, aber nicht weit genug, dass dieser
Konflikt also
möglich wäre, bedeutet zwar, dass man immerhin erkannt hat, ein Mittel
zu besitzen, einen großen Teil der Menschheit auszurotten, aber warum
wird dieses Mittel nicht dafür benützt, das, was man könnte, ein für
allemal unmöglich zu machen? Weil nicht sein darf, was jederzeit sein
könnte? Das Erkennen der Gefahr scheint völlig abgetrennt davon zu
bestehen, dass man aufeinander zugeht, aber nicht als Freunde,
Diskutanten oder meinetwegen Gegner, die einen Konflikt zivilisiert
austragen, sondern als Parteien, die einander vollkommen zugrunde
richten könnten. Auf der einen wie auf der andren Seite stehen nicht
gegnerische Parteien, da steht das Absolute
selbst, und das Absoluteste ist der Tod, und der kennt keine Parteien
mehr, der kennt nur noch das Nichts. Dieser Möglichkeit der
Massenvernichtung kann nur strengste Selbstkritik entgegengesetzt
werden und ein immer wieder
erneuertes Überprüfen der eigenen Positionen, und dazu gehört auch,
dass man als etwas Reales erkennt, dass man durch den Einsatz atomarer
Waffen den Anderen vollkommen zerstören kann. Bis es keinen Anderen
mehr gibt, sondern nur das eigene Absolute. Nur hat man dann nichts
mehr davon.
Mir scheint, dass solche Konflikte, das Spiel mit dem Unmöglichen,
indem man sich und nur sich selbst absolut setzt, das Spiel mit der
atomaren Vernichtung also, wieder denkbar geworden ist und bei uns auf
Gleichgültigkeit und Interesselosigkeit trifft. Bis es uns einmal
selber trifft, aber das wäre wieder das Undenkbare, das sich aber so
lang schon
denken lässt, dass man sich daran gewöhnt zu haben scheint. Eine vage
Besorgnis dagegen ist sicher zuwenig. Sie bedeutet nur ein Ausweichen
vor der Wahrheit, dass mit der Existenz atomarer Waffen wir alle
ständig auf dem Spiel stehen und dieses Spiel auch einmal verlieren
könnten.

Grußadresse von Elfriede Jelinek zum Hiroshimatag
2001

Der Wunsch, auch noch den Weltraum zu militarisieren oder sogenannte
unüberwindbare Raketenschilde aufzubauen, sozusagen von außen
unüberwindbar zu werden, dieser Wunsch also ist eng verbunden mit dem
Verlangen, die ganze
Welt zu beherrschen, also mit dem Verlangen nach Totalität. Totaler
Schutz gegen alles ist totale Herrschaft über alles und jeden, so sehr
Staaten, die so etwas anstreben, auch passiv argumentieren mögen, daß
sie sich ja schützen und niemals selber angreifen wollen. Der nächste
Schritt würde unfehlbar sein, daß man sich selbst für unfehlbar erklärt
und seine
politischen Herrschaftsansprüche jeder internationalen Kontrolle
entzieht. Ich denke aber, die Lehre aus zwei Welt- und zahllosen
anderen Kriegen
sowie aus der Katastrophe von Hiroshima und Nagasaki muß sein,
jederzeit nach öffentlicher Kontrolle zu rufen, wenn Herrschaft zu
entgleisen droht. Und die darauf folgende unweigerliche Verbannung
atomarer, aller Waffen, die totale Abrüstung (sie ist das einzige, was
total sein darf!) wird die Menschen hoffentlich und endlich dazu
bringen, daß sie nicht ergeben irgendeinem starken Führer folgen, der
seine Herrschaft mittels Gewalt zementiert, sondern daß sich Menschen
nach anderen Kriterien organisieren, nach ihren eigenen Talenten und
Fähigkeiten und Eigenschaften, daß also ihre innere Substanz und nicht
militärische Organisation der Menschen (auch nicht „Rasse“ oder
Volkszugehörigkeit, wie immer man sie definiert) zu ihrem
Unterscheidungsmerkmal wird.

Grußadresse von Elfriede Jelinek zum Hiroshimatag
2000

Es gibt Menschen, die das Fehlen des Antagonismus
zwischen Feind und
Freund für das Ende des Politischen halten. Folgerichtig wäre eine
vollständig pazifisierte Erde zwar auf Konkurrenzen vielerlei Art
angewiesen, damit sich „etwas bewegt“ oder damit „etwas weitergeht“,
doch das Politische, das sich für diejenigen, die so denken, auf eine
Art endlosen Kampf zu reduzieren scheint, wäre für diese Leute vorbei.
Unausgesprochen schwingt hier die Verachtung von Menschen mit, die den
Krieg als politisches Mittel grundsätzlich ablehnen, man nennt sie gern
Tugendterroristen oder Moralisten, was ja inzwischen ein Schimpfwort
geworden zu sein scheint. Aber
es kann nicht sein, daß Krieg als Mittel der Politik betrachtet werden
KANN, und das würde er ja bereits, wenn jeder, der grundsätzlich und
prinzipiell gegen den Krieg ist, als einer beschimpft würde, der damit,
also indem er gegen den Krieg ist, bereits der Sache des Feindes hilft,
dem Feind also den
Weg bereitet. Es darf aber unter keinen denkbaren Umständen Krieg
geben. Es darf niemand dazu gebracht werden zu töten, nur damit es
danach, wenn angeblich wieder Ruhe eingekehrt ist, den eigenen Leuten
besser geht als den früher so genannten Feinden. Gewiß sind nicht alle
Gegensätze automatisch
aufgehoben, wenn es keinen Krieg mehr gibt, aber man wird dann
endgültig gelernt haben müssen, Konflikte anders auszutragen, nein:
anders zu denken als bisher. Erst wenn es so weit ist, wird ein Minimum
an Zivilisation überhaupt angedacht werden können.

Grußadresse von Elfriede Jelinek zum Hiroshimatag
1999

Es ist immer noch unverständlich, und es müßte gegen
die Natur sein,
daß es anscheinend immer noch Länder gibt, die glauben, ihre Konflikte
kriegerisch austragen zu müssen. Die Gewalt findet nahe unseren Grenzen
statt, aber auch, vielleicht noch beunruhigender, derzeit zwischen den
Atommächten
Indien und Pakistan.
Kriege sind etwas, das wir, schon aufgrund unserer Natur, sein lassen
müßten, damit wir selber bleiben dürfen. Aber unser Wesen scheint das
Seinlassen nicht zu sein. Es gibt immer wieder welche, die etwas
gewaltsam ändern wollen, sich etwas nehmen oder dem anderen nicht
lassen wollen. Dafür
müssen dann viele sterben. Unser interesseloses und widerwilliges
Verhalten, dagegen entschlossen einzuschreiten, und wäre es nur durch
Überzeugungsarbeit, trägt dazu bei, daß sich das nicht ändert und,
fürchte ich, nicht so schnell ändern wird. Durch dieses Seinlassen,
durch dieses „Die Dinge Lassen Wie Sie Sind“ sind wir Teilhaber, stille
oder laute, aber
niemals lautere Teilhaber an diesen schrecklichen Mechanismen. Auch
durch die Verächtlichmachung von sogenannten „Gutmenschen“, die sich
noch für die Friedensbewegung engagieren, eine Verachtung, die diesen, gewiß oft
auch ungeschickt oder pathetisch Formulierenden, entgegenschlägt,
überlassen wir bereits den Teilnehmern am Kriegerischen das Feld der
Unehre, wir überlassen sozusagen Menschen dem gewaltsamen Gebrauch
durch andere.
Ich möchte dafür plädieren, daß Menschen, die sich für den Frieden
engagieren, obwohl es vordergründig nicht „nötig“ zu sein scheint, weil
sie ja nicht gefährdet, weil sie ja in Sicherheit sind, angehört und
nicht ausgelacht werden. Daß wir nicht nur auf das Eigene beharren,
sondern freiwillig eine Teilhaberschaft an allem anbieten, was wir
haben. Das wäre
ein erster Schritt. Vielleicht gehört ja die Gleichgültigkeit des
Ungefährdeten zu unserem Leben, wie selbstverständlich, aber sie sollte
nicht selbstverständlich sein. Diese Arbeit der Teilnahme sollten wir
uns schon antun, auch wenn sie vordergründig folgenlos und sogar
lächerlich erscheinen mag.

Grußadresse von Elfriede Jelinek zum Hiroshimatag 1998

Es ist uns zu unserer Lebenszeit bereits die Erkenntnis
gekommen (sie
wurde uns schmerzhaft aufgezwungen, und andere haben dafür bezahlt),
daß es uns möglich ist, mit Massenvernichtungswaffen uns selbst
auszurotten. Diese
Erkenntnis ist eine absolute, und nichts war danach wie es vorher war.
Man sollte nun meinen, der erste Schritt nach diesem Absoluten wäre, es
aufzunehmen, zu erkennen und als Wahrheit anzunehmen. Daß von Menschen
nur mehr Schatten übrigbleiben können und sogar die Schatten noch
schmelzen
können. Aber es gibt schon wieder Staaten, für die das Erkennen dieser
schrecklichen Wahrheit und Möglichkeit kein Mittel ist, zu erkennen,
daß atomare Waffen auf keinen Fall und unter keinen Umständen und auch
nicht einmal zu Versuchszwecken eingesetzt werden dürfen. Und Erkennen
allein genügt nicht. Diese Wahrheit, die eine absolute ist, muß immer
wieder vermittelt und weitergegeben werden. Müssen wir daher die
Vorstellung aufgeben, daß Menschen erkennen können, was wahr ist? Ich
glaube das nicht.
Ich weiß aber mit Sicherheit, daß immer wieder gesagt werden muß, daß,
da wir imstande sind zu erkennen, was wahr ist, wir auch danach zu
handeln haben: Atomare Waffen sind von der Erdoberfläche zu verbannen,
ein für allemal. Das sollte uns in unsere Schranken verweisen,
angesichts des Entsetzens, das diese absolute Wahrheit bei uns auslösen
müßte, jederzeit.

 

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